das Telephon

das Telephon

[87] angebracht worden ist. »Wenn man kein Telephon hat,« meinte die Gnädige, »dann lebt man in einer großen Stadt auf dem Dorf.« Und nun liegt die Etage plötzlich in der großen Stadt und ist mit dem größten Teil von Europa verbunden, speziell aber mit den Delikatessenhändlern, den Modemagazinen, den Theatern und den guten Freundinnen in der Stadt. Der unberechenbare Nutzen liegt auf der Hand, das Ersparen von Zeit und Geld geht ins Gigantische.

Ist man daheim mit geistiger Arbeit beschäftigt, welche bekanntlich nicht ausschließlich dichterischer Art zu sein braucht, – es wäre ja entsetzlich, wenn so viele Dichter existierten! – und gedenkt man, auch ferner thätig zu sein, so ist es nötig, daß man das Telephon weit oder noch etwas weiter vom Arbeitszimmer entfernt anbringen lasse, um nicht gezwungen zu werden, fortwährend durch das Klingeln des Fernsprechers[87] und das Geschrei der Fernsprecherin unterbrochen zu werden und schließlich die Arbeit ganz einzustellen. Wer aber ein geborener Faulenzer ist oder Gott sei Dank! nicht zu arbeiten braucht, lasse das Telephon so anbringen, daß er ununterbrochen durch Klingeln und schreiendes Schwatzen zur Verzweiflung gebracht werden kann, ohne irgendwie weiter geschädigt zu werden.

Wer bereits nervös ist, braucht nur ziemlich wenig zu telephonieren, um seine Nervosität den Höhepunkt erreichen zu sehen. Ebenso ziemlich wenig zu telephonieren braucht, wer noch nicht nervös ist, um dies sicher zu werden.

Wer plötzlich zu wissen wünschen sollte, wie weit seine Geduld reiche und wie er im gegebenen Fall sich zu beherrschen imstande sei, bediene sich seines Telephons, um sich mit einem guten Freunde in einer eiligen Angelegenheit verbinden zu lassen, die Antwort »Besetzt!« zu erhalten, sich nach fünf Minuten wieder verbinden zu lassen, falsch verbunden worden zu sein, den Versuch zu machen, sich abermals verbinden zu lassen, und nach mehrmaligem Klingeln überhaupt keine Antwort zu erhalten. Wer dann nicht den Apparat mit einigen Beilhieben zertrümmert oder von der Wand reißt, kann mit Stolz sagen, daß der Himmel ihn mit einer Lammsgeduld geschlagen habe und daß er einer der mächtigsten jetzt lebenden Selbstbeherrscher sei.

Wer mit dem Amt verbunden ist und z.B. 2543 meldet, dann gefragt wird: 2573? hierauf antwortet: Nein, bitte, 2543! – nun gefragt wird: 3545?, sofort erwidert: Nein, bitte, 2543! und schließlich gefragt wird: 2523? citiere nunmehr lieber aus dem Faust: »Mißhör' mich nicht, du holdes Angesicht!« und schreie wieder: 2543, als sich zu einer befreienden Grobheit hinreißen zu lassen, denn die junge Telephonistin, in[88] deren heiligen Hallen man die Rache kennt, würde alsdann die Nummer richtig verstehen und den aus der Haut fahrenden mit einer anderen verbinden. Sobald dies geschehen, eile er an seinen Schreibtisch und schreibe, was er telephonieren wollte, auf eine Rohrpostkarte. Dann ist allen Teilen geholfen, und das elektrische Drama hat einen versöhnenden Abschluß gefunden.

Wird man durch das Telephon mit den Worten ausgezeichnet: Sie sehen, oder du siehst vortrefflich aus! so bedauere man den Anredner wegen seiner Geistesschwäche, die jeden originellen Einfall ausschließt, und nehme sich vor, dergleichen niemals zu sagen, um nicht gleichfalls für geistesschwach gehalten werden zu müssen.

Wenn man aus dem Schlaf geklingelt wird und aufstehen und an den Apparat laufen muß, um zu hören: Wie geht es Ihnen? oder: Wie geht es dir? so schimpfe man nicht gleich Rindvieh, denn dies wäre eine Beleidigung für das Rindvieh, das bekanntlich sehr nützlich ist, während der Frager ungemein entbehrlich scheint. Außerdem aber könnte der Frager plötzlich verrückt geworden sein und dann wäre der Titel Rindvieh doppelt bedauerlich.

Hat man sich eine Freundin errungen, mit der man insofern falsch verbunden ist, als die Gattin nichts von dieser Verbindung weiß, so teile man ihr bei Gelegenheit mit, daß man das Telephon abgeschafft habe. Denn da man sicher eine Frau hat, welche nach dem Klingeln immer zuerst, alles niederrennend, was ihr in den Weg tritt, und jedes Hindernis mit Leichtigkeit nehmend, am Apparat eintrifft, so kann es sein, daß sie mit den Worten: guten Tag, Dickerchen! angeredet wird. Diesen Titel haben weder die Schlanken, noch die Korpulenten gern, und er kann auch andere üble Folgen haben, unter denen das Mißtrauen, mit[89] welchem die Behauptung des Gatten, es handle sich wohl um einen schlechten Spaß, von der Gattin aufgenommen wird, eine der wenigst üblen zu sein pflegt.

Hat man viele gute Freunde, deren jeder ein Gemüt ist, so hänge man am ersten April in aller Frühe das Schallrohr ab und erst in der Frühe es zweiten wieder an.

Wird man von jemand ans Telephon gerufen, der durch die Nase spricht oder in anderer Weise von der Vorsehung bestimmt ist, sich nicht des Telephons zu bedienen, so lasse man diesen Störenfried, Stimmungsruinierer und Launenzerstörer reden und beneide während dieser Zeit unausgesetzt alle Menschen, welche kein Telephon besitzen.

Wenn man endlich das Telephon abschafft, weil man die äußerste Grenze der Nervosität, da, wo die dringendste Kaltwasserkur beginnt, erreicht hat, so ist es zu spät.

Der moderne Knigge verzichtet opferfreudig auf die Mühe, die er sich geben müßte, um einen Übergang vom Telephon zu den Kindern des Hauses zu suchen, so ehrenvoll es für ihn wäre, ihn zu finden. Dies wäre ja durch etliche kühne, gewagte Sprünge zu ermöglichen, aber der einsichtige Leser würde sie doch als das erkennen, was sie sind, und sie für überflüssig komisch erklären.

Für die Eltern ist der Tag, an welchem das erste Kind polizeilich als schulpflichtig erkannt wird, ein bedeutungsvoller. Das Kind wird dann auch seitens irgend einer Schule gewonnen, und die Eltern haben die Empfindung, daß es ein großes Glück für die Schule sei, einen so vorzüglichen Schüler aufnehmen zu können, welcher ihr durch seine erstaunlichen Fortschritte Ehre machen und ihr einen der ersten Plätze unter den Lehranstalten der Stadt sichern wird. Er ist ein auffallend wenig begabter Junge.


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1902, Bd. III, S. 87-90.
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