Die emanzipierten Damen

Die emanzipierten Damen

[43] eines Besseren zu belehren und dem weiblichen Geschlecht zu erhalten, indem man sich auf ihren Standpunkt stellt und ihnen beisteht, da Frauen in anderer Weise überhaupt nicht zu überzeugen sind.

Ist man in einer Gesellschaft mit einer oder mehreren Emanzipierten zusammengetroffen und werden diese von Verehrern des Ewig-Weiblichen hart bedrängt und von anderen Gegnern ihrer Unweiblichkeit bekämpft, so nehme man sich dieser Bedrängten und Bekämpften an. Man behaupte, die emanzipierten Damen gingen ihm noch lange nicht weit genug, und daß sie im Interesse ihrer endlichen Befreiung von den Ketten, mit denen die Männerwelt sie grausam belaste, vieles mehr zu erreichen suchen müßten. Die Universitäten besuchen, die Doktorwürde erlangen und an den Eisenbahnschaltern sitzen, ja selbst die Decken der elektrischen Straßenbahnwagen erklettern zu dürfen, damit sei noch nichts erreicht. Das sei alles nur halbe Agitation. Die Frauen und Mädchen müßten auch Soldaten und Matrosen werden können. Man sähe nicht ein, weshalb allein die Männer der Ehre teilhaftig sein sollten, von den Unteroffizieren geschuriegelt zu werden und als Matrosen fortwährend in Lebensgefahr zu schweben. Auch die Frauen und Mädchen müßten verlangen, als Soldaten von ihren Vorgesetzten mißhandelt und wegen der kleinsten Vergehen gegen die Disziplin mit den schwersten Strafen auf den Weg der Besserung zurückgeführt zu werden. Auch sie hätten ein Recht auf die Strapazen des Drills, des Wachdienstes und der Manöver, auch sie das Recht auf das Vergnügen, stundenlang auf Posten zu stehen, vor allem aber müßten sie nach der Ehre[43] streben, mit Hilfe der neuen Waffen im Kriege zu Hunderten über den Haufen geschossen, oder verstümmelt zu werden, Festungen und Schanzen zu stürmen und gegen feuerspeiende Batterieen geführt zu werden.

Man schildere dann den Dienst auf Kriegs- und Handelsschiffen in derselben verlockenden Weise und versäume nicht, auf das beneidenswerte Los der Invaliden hinzuweisen, das bisher nur den Männern zufalle, die vom Staat eine Pension zu einem sorgenlosen Alter beziehen.

Man betone, wie entwürdigend es für die Frauen sei, wenn ihnen nur die Führung des Hauses, die Erziehung der Kinder und die Aufgabe, den Männern nach dem Kampf ums Dasein Erholung am häuslichen Heerd zu bereiten, zugewiesen werde, anstatt ihnen einen Platz unter den Eisenbahnschaffnern, den Steinträgern, den Arbeitern der Bergwerke und den Feuerwehrleuten zu sichern. Man weise darauf hin, daß Frauen von der Natur zu anderer Tätigkeit als zum Massieren und Novellendichten geschaffen seien.

Findet man für diese Auffassung den Beifall der Damen, so meide man alsdann deren Umgang und ziehe den Verkehr in den Frauen-Irrenhäusern vor, in denen man vernünftigere Frauen finden wird.

Lernt man eine Dame kennen, welche sich der Schriftstellerei derart fernhält, daß ihr kein Roman, keine Novelle, kein Feuilleton, kein Aufsatz über den Segen der Frauenbewegung, ja, nicht einmal eine Reiseskizze vorgeworfen werden kann, so bewundere man sie schleunigst und lege sich ihr sofort zu Füßen, oder biete ihr gleich Herz und Hand an. Denn morgen ist es vielleicht schon zu spät.

Hat man das Glück, mit einem Fräulein Doktor der Medizin zu verkehren, zu welchem man Vertrauen hat, und hat man dann das Unglück, krank zu werden, so wende man sich an einen tüchtigen männlichen Arzt,[44] zu welchem man gleichfalls Vertrauen hat. Ist man dann wieder hergestellt und trifft man das Fräulein Doktor auf einem Ball, so tanze man den ersten Walzer mit ihr.

Soll man sich einer schweren Operation unterziehen und kennt man Damen, welche als Doktoren der Chirurgie vielgenannt sind, so lasse man sich getrost in eine Klinik bringen, welche von einem gleichfalls vielgenannten männlichen Chirurgen geleitet wird.

Soll man sich massieren lassen, so lese man fleißig einige hundert Inserate von sich empfehlenden Masseurinnen und lasse sich dann, um sich nicht die Polizei auf den Hals zu laden, vom Hausarzt die Adresse eines tüchtigen Masseurs geben.

Verliebt man sich in eine geistvolle Romanschriftstellerin derart, daß man nicht ohne sie leben kann, so heirate man ein wohlerzogenes Mädchen. Ist man aber kein Freund eines vollkommenen Familienlebens, so heirate man eine edle, für das Menschenwohl erglühende Dame, welche mitten in der Frauenbewegung steht.

Seltener, ganz bedeutend seltener als derlei Frauen und Mädchen trifft man in der Gesellschaft einen


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 43-45.
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