der Parvenu.

[65] Es mag vorausgeschickt werden, daß der Umgang mit dem Parvenu unter Umständen viel Vergnügen machen kann und aus diesem Grunde lohnend erscheint wie der mit dem Spiritisten.

Man vergesse niemals, daß der Parvenu nicht weiß, daß er ein Parvenu ist. Darin gleicht er allen anderen Verrückten. Wenn man ihm sagen würde, daß er ein Parvenu sei, so wird man von ihm für verrückt gehalten wie von jedem Verrückten, dem man sagte, er sei verrückt.

Der Parvenu ist ein Virtuose in der Kunst, die Aristokratie falsch zu kopieren. Dies ist das Lustige. Er hält sein Gebahren für ein echt aristokratisches, während es von dem Kenner auf den ersten Blick als Karikatur des Aristokratischen erkannt wird. Er ist von seiner Echtheit so überzeugt, daß er schließlich annimmt, der Aristokrat kopiere ihn.

Hat man die große Schadenfreude, einen Parvenu kennen zu lernen, so sage man, daß man glücklich sei, ihn endlich von Angesicht zu Angesicht zu sehen, da man schon viel von ihm gehört habe. Dies sagt man auch, wenn man noch weiter nichts von ihm gehört haben sollte, als daß er ein Parvenu sei. Hat man aber nicht die Fähigkeit, das Lachen zu beherrschen, sondern lacht man dem Redner, der etwas Lächerliches sagt, ins Gesicht, so vermeide man den persönlichen Verkehr mit einem Parvenu, denn er sagt immer etwas Lächerliches, und man käme also aus dem beleidigenden Insgesichtlachen nicht heraus.

Kann man aber, wie es ein Weltmann können muß, das Lachen so beherrschen, daß es sich nur[65] hervorwagt, wenn man es verlangt, so lasse man sich jedenfalls auf eine Unterhaltung mit dem Parvenu ein, denn dies ist häufig lohnender als eine Unterhaltung mit einem gescheidten Menschen.

Da der Parvenu dem Sport huldigt, Fremdwörter falsch zu gebrauchen, so sei man in jedem Augenblick auf die Notwendigkeit gefaßt, sie zu korrigieren. Meint er z.B. Provenienz, so sagt er z.B. Proviant, und sagt er z.B. Proviant, so meint er z.B. Providenz. Man vermeide aber selbst, Fremdwörter anbringen, um ihn nicht zu verwirren. Sagt man z.B. in dubio, so erinnert er sich nicht, auf einer seiner vielen Reisen Dubio kennen gelernt zu haben, und sagt man z.B. fraudulös, so bedauert er z.B., der Dame noch nicht vorgestellt zu sein. Leicht also ist, wie man sieht, der Umgang keineswegs.

Ist man ein Gelehrter, ein Künstler oder dergleichen, so sei man darauf vorbereitet, daß der Parvenu trotzdem durchaus freundlich ist und dadurch zu erkennen giebt, daß er Gelehrte, Künstler oder dergleichen nicht als Personen betrachtet, die nicht in die gute, d.h. in seine Gesellschaft gehören, wenn auch nicht mit demselben Recht wie Staatsmänner, höhere Militärs und Vertreter der hohen Finanz.

Hat man ihn gekannt, als er noch um das tägliche Brot mühevoll kämpfte, so erinnere man ihn nicht daran, da er behaupten wird, daß man sich irre, oder ihn mit einem Manne aus dürftigem Hause verwechsele. Dann gebe man beides sofort zu und bitte um Entschuldigung, obschon man es eigentlich nicht nötig hätte, sich wegen guten Gedächtnisses zu entschuldigen.

Da er irgend einen exotischen Orden trägt, dessen Preis man kennt, so lasse man sich gerne von ihm erzählen, welchen Verdiensten um einen in den weitesten Kreisen unbekannten Herrscher er diese Auszeichnung[66] verdanke und wie intim er mit diesem edlen König verkehre. Er wird dies alles im Einverständnis mit dem Herrn, von dem er den Orden bedeutend über den Fabrikpreis bezogen hat, mit dem stolzem Bewußtsein vortragen, die Darstellung selbst verfaßt zu haben.

Ist man ein Freund von teuren Weinen, so frage man den Parvenu nicht nach den Preisen, wenn man sein Tischgast sein sollte, denn er wird sie nennen, ohne daß man nach ihnen gefragt hat. Der Ordnung wegen ziehe man dann 50 Prozent von den Preisen ab, um der Wahrheit näher zu kommen. Man glaube überhaupt dem Parvenu jede Summe vertrauensvoll, nachdem man die Hälfte gewissenhaft abgezogen hat.

Hat man den Parvenu um einen größeren Beitrag zu mildtätigen Zwecken zu bitten, so wird man ihn unter der ausdrücklichen Bedingung erhalten, daß nichts davon in die Zeitung komme, weil er ganz bestimmt weiß, daß es jedenfalls veröffentlicht wird.

Wenn man weiß, daß der Parvenu alle Bilder, die seine Wände schmücken, in den Gemäldeauktionen kauft, so frage man ihn nach der Herkunft, um von ihm zu erfahren, daß er sie von seinen Lieblingsmalern, die er freilich nur dem Namen nach kennt, habe malen lassen. Nebenbei sei bemerkt, daß er in der Malerei die goldenen Rahmen am höchsten schätzt.

Ist der Parvenu Mitglied eines aristokratischen Klubs geworden, so meide man ihn einige Zeit. Denn er ist von dieser Ehre in einen Rausch versetzt, der ihn unberechenbar macht und in dem er sich leicht zum Umsichhauen hinreißen läßt. Erst wenn ihm in dem Klub eine größere Summe im Spiel oder in Wetten abgenommen ist, wird er wieder ruhiger.

Würde er mit Hilfe der Geldverlegenheit Konsul eines in gar keiner Verbindung mit Europa stehenden Staates, den man auf der Landkarte vergeblich sucht, so hat er das Höchste erreicht, von dem er in seinen[67] kühnsten Träumen träumte, und es giebt dann für ihn keine Gesellschaft, von der er behauptet: »Wir waren unter uns,« da es wohl kaum einen Kreis giebt, der ausschließlich aus Staatsmännern besteht.

Will man seine Gunst erringen, so sage man ihm, daß Napoleon, bevor er Kaiser wurde, Konsul gewesen ist. Das wußte der Parvenu bisher nicht, worauf man es ihm im Konversations-Lexikon schwarz auf weiß zeigt. Dann schafft er sich dieses Werk an, und der Band, der den Artikel Napoleon enthält, liegt nunmehr auf seinem Frühstückstisch immer aufgeschlagen.

Ist man leider einer seiner ärmeren Verwandten, so hüte man sich, ihm ein wohlgetroffenes photographisches Porträt zu schenken, denn er giebt es seinem Portier, damit er das Original regelmäßig abweise.

Will man dem Parvenu ein besonderes Vergnügen bereiten, so mache man sich in seiner Gegenwart über die Parvenus lustig. Dann wird er mit großem Behagen beistimmen und über seinesgleichen viel strenger urteilen und schelten, als man dies selbst tut. Der Parvenu ist immer der einzige Mensch, der nicht weiß, daß er ein Parvenu ist.

Eine der wenigen Vorzüge, vielleicht der einzige, den man ihm nicht absprechen kann, ist der: Man kann ihm ausweichen. Dies tatsächlich zu bewerkstelligen, ist eine sehr angenehme Unterhaltung überall, wo der Parvenu sich zeigt. Während nun der Parvenu in allen Zeiten existierte und jeden gebildeten Menschen durch Art und Unart ärgert und jedem gebildeten Menschen, der ihm nicht ausweichen konnte, lästig wurde, ist


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 65-68.
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