Größenwahnler

[82] zu nennen. Er träumt sich in eine Rolle hinein, die zu spielen er zu schwach wäre, aber schon das Träumen genügt ihm oft zu seinem Glück, da er das Unerreichbare als erreicht träumt. Mit ihm umzugehen, ohne ihn jeden Augenblick durch Aufwecken zu verletzen, ist nicht leicht.

Im Verkehr mit ihm gewöhne man sich das Schwer- oder das Vorbeihören an, wenn man nicht Lust hat, ihn fortwährend darauf aufmerksam zu machen, daß er nicht der Kaiser von Deutschland oder Goethe oder ein amerikanischer Milliardär sei. Es würde dies auch nichts nützen, denn er ist fest davon überzeugt, daß er der mächtigste Herrscher oder der größte Dichter oder der reichste Mann der Gegenwart.

Bekommt der Größenwahnler einen Orden oder einen Titel, selbst wenn dieser nicht unbedeutender gedacht werden könnte, oder eine Einladung zum Essen bei einem sogenannten Höherstehenden, so meide man seine Gesellschaft für längere Zeit, bis sein leicht zur[82] Tobsucht gesteigerter Größenwahn sich einigermaßen beruhigt zu haben scheint.

Wird er einer Dame vorgestellt, so wird er sich darüber beklagen, daß er fortwährend von Frauen verfolgt werde. Dies höre man ruhig an und dann tröste man ihn mit der Versicherung, daß diese Belästigungen in einigen Jahrzehnten ihr Ende erreichen werden. Bestreitet er dies, weil das Alter auch Casanova und andere berühmte Liebesanarchisten nicht geschützt habe, so gebe man ihm recht und sage dann, man nehme alles zurück, was man zu seiner Beruhigung gesagt habe.

Grüßt der Größenwahnler auf der Straße oder anderswo einen ihm bekannten Geheimrat, so wird er in der Überzeugung weitergehen, daß er der kommende Mann sei. Man lache ihn dann nicht aus, sondern ersuche ihn um seine Protektion, falls er ein Portefeuille erhalte, danke ihm im voraus und fürchte nicht, daß er den Dank zurückweise. Fürchtete man dies, so darf man sich sagen, daß man zum Umgang mit Größenwahnlern kein Talent habe.

Damen ist zu raten, nicht bei Tisch neben ihm zu sitzen. Denn wenn er das Unglück haben sollte, mit dem Knie an ein Tischbein zu stoßen, so wird er, da sich das Tischbein nicht zurückzieht, annehmen, daß die Dame seiner Kühnheit mit Wohlgefallen entgegenkam. Die Dame hat also, wenn sie freundlich von ihm angesehen wird, sofort an das Tischbein zu denken und ihren Nachbar in geschickter Weise auf dasselbe aufmerksam zu machen. Er wird sie dann für sehr schlau halten. Es ist ihr schwer zu raten, wie sie sich vor seinem Größenwahn schützen könnte, wenn sie einmal verurteilt ist, seine Tischnachbarin zu sein, denn schon als sie ihm den Arm gab, war er überzeugt, daß sie ihm ein Rendezvous gegeben, und wenn sie dann nach einem Toast mit ihm anstößt, so redet er sich[83] ein, sie habe ihm alles gewährt. Die Aufgabe eines rücksichtsvollen Wirtes wird es sein, ihm zur Verhütung eines Unglücks den Ehrenplatz neben einer der Großmütter des Hauses zu geben.

Geht der Größenwahnler in der Nähe eines Offiziers an einer Schildwache vorüber, welche Front macht und das Gewehr präsentiert, so wird er höflich den Hut ziehen oder doch die Finger der rechten Hand an den Hutrand legen, ohne indes überrascht zu sein. Er wird nicht weiter darüber nachdenken, sondern sich sagen, daß die Schildwache ihn kenne.

Hat man mit der Geliebten oder Frau des Größenwahnlers ein Verhältnis, so darf man darauf rechnen, daß er nicht eifersüchtig ist. Schändlich bleibt es aber doch, die Schwäche eines Menschen zu mißbrauchen.

Wird seine Gattin von ihren Gewissensbissen getrieben, ihm zu gestehen, daß er nicht der Vater ihres Kindes sei, so unterdrücke sie in der letzten Minute dieses Geständnis, denn er würde es ihr nicht glauben und ihr Geständnis Größenwahn schelten.

Findet der Größenwahnler einen Menschen, der von derselben Narrheit befallen ist, so wird er sich über ihn lustig machen und nicht begreifen, wie man so närrisch sein könne. Alle Mühe, die er sich geben würde, es zu begreifen, wäre vergeblich.

Die Anekdote vom Nabob, der sich, vom Größenwahn heimgesucht, für einen Weichensteller gehalten hat, ist erfunden. Der Größenwahn äußert sich durch das Gegenteil, die Mücke redet sich ein, ein Elefant zu sein, nicht dieser hält sich für eine Mücke, nur mit dem Unterschiede, daß man die Mücke, welche sich einbildet, ein Elefant zu sein, für ein Rindvieh hält, also durchaus nicht unterschätzt.

Man versuche nicht, einen vom Größenwahn befallenen Freund zu kurieren. Wenn Du ihn überzeugen[84] willst, daß er nicht Friedrich der Große sei, so dankt er Dir herzlich für Deinen Hinweis, erklärt, er habe auch nie daran gedacht, es zu sein, und deutet Dir durch die Blume an, daß sich sein Wesen dem Caesars nähere. Man kann also durch die ernsthafteste Kur das Leiden nur verschlimmern.

Aber bedeutend schwerer sind Versuche, die von so Vielen ausgeübte Tyrannei zu mildern, unter der wir so oft schwer zu leiden haben, ja, sie nur erträglicher zu machen: schwieriger und unerquicklicher als jeder andere Umgang ist der mit


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 82-85.
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