die Tyrannin.

[89] Anders als die Tyrannei des Mannes ist die der Frau und um so gefährlicher, als die Herrschaft der Frau schon durch das Ewig-Weibliche, durch ihre Schönheit und unsere Schwäche eine fest gegründete, unwiderstehliche ist. Gesellt sich zu ihrer unbestrittenen Herrschaft die Tyrannei, dann ist es sehr schwer, nicht deren Opfer zu werden.

Man ist verloren, wenn man meint, die weibliche Tyrannei durch Sanftmut und Geduld abschwächen, oder gar besiegen zu können. Man päppelt sie damit nur größer, wenn sie überhaupt größer werden kann. Man denke an die Erfahrungen, die man schon in der Jugend, dann allerdings ohne Nachdenken, gesammelt hat. Als man noch Knabe war, wurde man ganz gewiß von der mit einem Fuß im Backfischalter stehenden Schwester tyrannisiert, falls dieser die Tyrannei angeboren war. Denn die Kleine fängt sehr früh an, ein tyrannisches Häkchen zu werden und sich zur Vollkommenheit auszubilden. Daß man von ihr gehauen worden ist, erinnert man sich wohl noch genau, auch daß man sich nicht wehren durfte, denn dies galt für unritterlich, was ihr sehr gelegen kam. Der erste Schritt zur Vorbereitung für die Stellung als Gattin. Sie hat dann de Vorzug, einen gebildeten Mann zu[89] haben, der sich nicht zur Wehr setzt. Natürlich handelte es sich nur in den seltensten Fällen um Prügel, aber das, was der Gatte dann ohne Gegenwehr zu ertragen hat, ist oft schlimmer.

Hat man allerlei Sünden begangen und wünscht, sie abzubüßen, um dann ein neues Leben zu beginnen, so verliebe man sich in eine Tyrannin, welche in der Ausbildung begriffen ist. Man lernt sehr rasch und bald die Hölle auf Erden kennen und geht geläutert aus dem Verhältnis hervor.

Man wird eine Tyrannin am sichersten an ihrem liebenswürdigen Wesen erkennen, welches das Netz ist, mit dem der Schmetterling gefangen wird. Sie ist nicht sofort Tyrannin, sondern das Gegenteil, und so entkommt man ihr um so seltener. Sie unterscheidet sich dadurch wesentlich von dem Tyrannen, welcher mit derselben Unliebenswürdigkeit beginnt, welche er repräsentiert.

Wenn man die Tyrannei einer Dame ganz besonders unangenehm spürt, so wird sie es merken und versichern, daß sie von jeher das Opfer ihrer Nachgiebigkeit sei, und jammern, daß man stets ihr mildes Wesen mißbrauche. Hierauf wird man im weiteren Verkehr die schlimmsten Erfahrungen machen und immer dieselbe Klage von ihren Rosenlippen vernehmen.

Die Tyrannei der Frau hat die originelle Eigenschaft, daß die Frau immerfort die Unterdrückte zu sein versichert und erklärt, unter der Tyrannei des Mannes unsäglich zu leiden. In der Blütezeit ihrer harten Herrschaft geht sie traurig einher und stöhnt unter dem Druck des Fußes, den ihr der Mann auf den Nacken gesetzt hat. In den Augen ihrer naiven Freundinnen ist sie tief beklagenswert und gilt ihr aller Energie beraubte Gatte als ein Tiger in Menschengestalt. Hört man also von einem solchen[90] Tiger sprechen, so schaue man ihn einmal genauer an, wenn man ein geduldiges Schaf kennen lernen will.

Ein solcher Tiger hat sich geweigert, seine Gattin in eine Gesellschaft zu begleiten, weil er sich erfahrungsgemäß daselbst sträflich langweilt. Wie ein Mops, versichert der Tiger. Aber seine Gattin bat ihn mit Tränen, die sie über seine Tyrannei vergossen hat, – die bekannte Krokodilstränensorte, – und er begleitet sie in die gefürchtete Gesellschaft. Die geknechtete Dame hat sich aber leider im Laufe des Abends selbst derart gelangweilt, daß sie entsetzt und früher als gewöhnlich ihren Gatten zwingt, den Heimweg anzutreten. Es ist ihr nicht der Hof gemacht worden, ihr Kostüm hat angesichts der Kostüme anderer Damen keinen Eindruck gemacht, sie hat einen Walzer auslassen müssen, und ihr Tischnachbar war ein Esel. Nun sitzt sie mit ihrem Tiger in der Droschke und ergreift das Wort zu einer erregten Gardinenpredigt, in der es u.a. heißt: »Soll ich mir wirklich Deine Tyrannei länger gefallen lassen? Weshalb hast Du mich gezwungen, diese grauenvolle Gesellschaft zu besuchen? Hast Du eine Ahnung davon, wie ich mich gelangweilt habe? (Nach einem längeren Gähnen und Seufzen.) Hätte ich mich nicht zu Hause wohlgefühlt? Wie kommt es, daß Du das Haus so konsequent meidest? Hältst Du es für möglich, daß ich Deine Tyrannei länger ruhig ertrage? (Der Gatte schweigt und raucht.) Rauche nicht, ich ersticke! (Der Gatte wirft die Zigarre aus dem Fenster.) Du tust immer das Gegenteil von dem, was ich will! (Seufzen und Gähnen.) Schrecklich!«

Eine furchtbare Waffe der weiblichen Tyrannei ist die Träne. Kein Marterwerkzeug des Mittelalters hat so unfehlbar gewirkt und kein Geschoß der modernen Kriegskunst trifft so sicher wie die Träne, zu welcher das weibliche Geschlecht greift, wenn keine der gewöhnlichen[91] Waffen den Gegner zur Strecke bringen half. Dann schwingt die Frau die Träne, und es kann Viktoria geschossen werden. Der erfahrene Mann merkt das Nahen dieses entscheidenden Augenblicks genau und weiß, daß jeder weiter Widerstand vergeblich ist. Die Träne des Weibes ist die Ohnmacht des Mannes. Wenn der Staat die Aufgabe hätte, den Ehemännern zur Seite zu stehen und ihre Stellung in der Ehe vor den schlimmsten Angriffen zu bewahren, so müßte er den Waffenschein auch für die Tränen der Frauen einführen und jede Frau bestrafen, welche weint, ohne einen Waffenschein gelöst zu haben.

Ist man der Gatte einer Tyrannin und segnet man trotzdem das Zeitliche, so darf man dies in der beruhigenden Überzeugung tun, daß die trauernde Witwe sagen wird: »Mein geliebter, unvergeßlicher (folgt der Vornamen des Seligen) war ja ein Tyrann, und ich habe schwere Zeiten an seiner Seite verlebt, aber es war, das muß ich ihm lassen, ein guter Mann.« Hierauf wird die Witwe um des vielen Kummers willen, von dem sie heimgesucht gewesen ist, allgemein bedauert.

Außer solchen Tyrannen und Tyranninnen, welche auf dem Gebiet des Alleinherrschens gefürchtet und unangenehm sind, gibt es auch Persönlichkeiten, welche in anderer Weise und auf einem uns entfernten Gebiet den Tyrannen spielen, und zwar durch die Sonderbarkeit und Merkwürdigkeit ihres Berufes, in welchem sie durch keine Laien zu kontrollieren sind. Eine solche Persönlichkeit ist


Quelle:
Stettenheim, Julius: Der moderne Knigge. Berlin 1903, Bd. IV, S. 89-92.
Lizenz:
Kategorien: