Das Benehmen bei Tisch.

[34] Die Vorschriften des guten Tones über das Benehmen bei Tisch ließen sich ins Unendliche ausdehnen. Gerade hier gibt es so vieles zu beachten, welches ungebildete Leute übersehen, was den gebildeten jedoch zur zweiten Natur geworden ist. Da nun meine jungen Freudinnen das Glück gehabt, schon im zartesten Alter zu einem ordentlichen Benehmen bei Tisch angeleitet zu werden, darf ich hier wohl manches übergehen, dennoch will ich nicht zu kurz sein, weil die Ansichten über den guten Ton auf diesem Gebiete in den einzelnen Familien oft auseinander gehen. Ich will bei den nachfolgenden Vorschriften den goldenen Mittelweg einhalten.

Setze dich nicht zu weit und auch nicht zu nahe an den Tisch; die Hände lege ruhig, nur bis zum Gelenke, auf den Tisch.

Die Serviette breite halbentfaltet auf den Knien aus; es ist unstatthaft, sie am Halse zu befestigen. Das sog. englische Essen (mit Messer und Gabel) ist im Familienkreise nicht geboten.

Sei gegen ältere Personen sehr gefällig und aufmerksam. Vielleicht fällt dir, als der ältesten Tochter, das Anreichen, Eingießen usw. zu, – hierbei[34] richte dich nach den in deinem Kreise herrschenden Sitten.

Am Familientische werden die Eltern, namentlich der Vater, stets zuerst bedient. In Frankreich jedoch ist es unter allen Umständen die Mutter. Ist ein Gast zugegen, so hat dieser natürlich den Vorzug.

Bist du selbst in einem kleinen Kreis, z.B. in der Familie einer Freundin zu Gast, so bitte freundlich und bescheiden, dich als ein Kind des Hauses anzusehen und dich deshalb nicht zuerst zu bedienen.

Auch den ständigen Hausgenossen, den Beamten und höheren Angestellten des Hauses, welche die Familie zu Tische zieht, lasse den Vorrang.

Älteren und fremden Personen reiche die Schüsseln diensteifrig hin, bis sie sich bedient haben; beanspruche diese Gefälligkeit jedoch nicht für dich.

Für die Bedürfnisse der Tischgenossen habe, stets ein offenes Auge; es ist peinlich, wenn diese sich bald dies, bald das selbst erbitten müssen.

Fange nicht an zu essen, ehe die älteren Personen begonnen haben.

Messer, Gabel und Löffel dürfen nicht zu weit unten am Stile angefaßt und krampfhaft festgehalten werden.

Unter keinen Umständen ist es gestattet, das Messer zum Munde zu führen. Fisch und eingemachte Früchte werden nicht mit dem Messer zerlegt; bei ersterem bedient man sich der Gabel, bei letzteren eines Dessertlöffels.

Bei Spargel, Krebsen und Geflügel ist der Ge, brauch der Finger gestattet.[35]

Wirst du mit der Gabel allein nicht fertig und ist der Gebrauch des Messers nicht gestattet, so nimm ein Stückchen Brot zur Hilfe und zwar in die linke Hand.

Es ist unfein, in den Pausen mit Messer, Gabel und Löffel zu spielen, oder auch den Serviettenring hin und her zu drehen.

Unausstehlich finde ich es, das Brot in Gedanken zu zerkrümeln und gar über den Tisch zu werfen. Brot und frisches Obst wird mit der Hand von der Schüssel genommen, alle anderen Speisen mit dem Löffel oder der Vorlegegabel.

Nimm stets einfach und unauffällig das Nächstliegende.

Knochen, Fruchtkerne und sonstige Abfälle lege abseits auf den Teller, nicht in den umgelegten Löffel oder gar auf das Tischtuch. Sie dürfen auch nicht mit der Hand aus dem Munde geholt werden, sondern mit der Gabel oder dem Löffel. Das gilt sedoch nicht von jenen Speisen, bei denen der Gebrauch der Finger gestattet ist, und bei frischen Früchten, die ja auch mit der Hand zum Munde geführt werden.

Früchte – Äpfel und Birnen, werden zuerst tn Viertel geteilt und dann der Länge nach geschält.

Pfirsiche, Aprikosen und Pflaumen breche in der Mitte entzwei; Apfelsinen werden geschält und in einzelnen Teilen abgelöst. Feigen und Datteln ißt man von der Hand weg. Kirschen nimmt man bei den Stengeln; große Erdbeeren werden gleichfalls am Stiel geommen, kleinere Walderdbeeren mit kleinen Löffeln gegessen.[36]

Nüsse, Mandeln, Maronen ißt man mit den Fingern. Das Brot wird auch mit den Fingern gebrochen; sorge soviel wie möglich, daß du nicht zu große Stücke übrig lässest.

Tropfen von Frucht- oder Bratensauce, die auf das Tischtuch gefallen, dürfen mit etwas weichem Brot aufgetupft werden.

Hast du durch irgend eine Ungeschicklichkeit deinen Nachbar belästigt, so bitte sehr höflich, doch nicht zu weitschweifend um Entschuldigung.

Mache auch kein Aufhebens, wenn andere dir gegenüber ein kleines Unglück gehabt haben, z.B. dein Kleid zu beflecken.

Auch sprich nicht davon, wenn du in den Speisen etwas findest, was durch unglücklichen Zufall hineingekommen. Wechsle ohne Aufsehen den Teller. Ich erinnere mich noch, daß es mich einst sehr peinlich anmutete, als ein junges Mädchen wegen einer toten Fliege, die sie im Salat gefunden, ein großes Geschrei anfing und nichts mehr genießen wollte. Sie war nicht zartfühlend genug, um zu empfinden, daß dieses Benehmen eine Rücksichtslosigkeit gegen den Gastgeber enthielt.

Ist eine Speise mißraten, verbrannt, versalzen, so klage nie laut und mürrisch darüber; andrerseits aber lobe auch besonders schmackhafte Speisen nicht. Letzteres gilt jedoch nur für größere Gesellschaften, nicht für den Familientisch.

Wird zum Essen Wein oder Bier gereicht, so wartet man mit dem Eingießen bis nach der Suppe.[37]

Fülle die Gläser nicht bis zum Rande, und ebenso wie das Essen langsam und leise geschehen muß, so auch das Trinken. Es ist häßlich, ja unweiblich, wenn ein junges Mädchen sich rühmt, das Glas auf einen Zug leeren zu können.

Am Familientisch wird nach beendeter Tafel die Serviette zusammengefaltet.

Auch beim Kaffee- und Teetrinken halte auf ein seines Benehmen. Kühle das Eingegossene nie ad, indem du hineinbläst oder es in eine Untertasse schüttest. Junge Mädchen sollten nicht wie alte Mütterchen Brot und Gebäck einbrocken. Zwieback und Backwerk werden gebrochen, und nimmt man beides mit der Hand vom Teller. Dasselbe gilt vom Zucker.

Das Butterbrot soll, wenn es zu groß ist, mit dem Messer durchgeschnitten werden.

Das Belegen des Butterbrotes geschieht mit der Gabel; beim Essen desselben darfst du dich der Finger bedienen; viele führen indes die belegten Stücke mit der Gabel zum Munde, die dabei in die linke Hand genommen wird.

Manche Leute versehen ihr Fleisch mit Gewürzen. Salz, Pfeffer usw. Ich sehe es nicht gern, wenn ein junges Mädchen regelmäßig solcher Zutaten sich bedient. Geschieht es, so sorge, daß du einen kleinen Vorrat der Gewürze auf dem Teller hast, und richte jedes Stückchen einzeln zu.

Weder Brot noch Kuchen darf eingetaucht werden. Eine Ausnahme macht der Zwieback, der in Kaffee und Schokolade leicht angefeuchtet werden darf.[38]

Ein Ei wird gegessen, indem man die Spitze abschlägt, auf den Teller legt und die Schale zerdrückt.

Zeige nie beim Essen und Trinken Hast und ein gewisses Wohlbehagen.

Als eine Hauptregel möchte ich dir sagen: Iß und trink, wenn du allein oder im Familienkreise bist, in einer Weise, wie du es im wesentlichen auch in großen Gesellschaften tun würdest Im wesentlichen sage ich – einige Äußerlichkeiten kommen dort freilich hinzu, wie du später hören wirst. Gewöhnst du dich daran, so wird dein Auftreten ein ungezwungenes und sicheres sein und du brauchst nicht zu fürchten, den Schein der Unbeholfenheit und Unhöflichkeit auf dich zu laden.[39]

Quelle:
Tante Lisbeth: Anstandsbüchlein für junge Mädchen. Regensburg 4[o.J.]., S. 34-40.
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