II. Anstand im religiösen und kirchlichen Leben.

[13] Da Gott zuerst die Ehre gebührt, so möge die folgende Anleitung zur praktischen Uebung des Wohlanstandes auch mit dem wohlanständigen Verhalten und Benehmen gegen Gott beginnen. Es könnte zwar überflüssig erscheinen, daß in einem Anstandsbüchlein vom Benehmen gegen Gott geredet wird; sollte man doch meinen, daß ein anständiges Benehmen gegen Gott beim Christen sich von selbst versteht. Wir meinen aber hier nicht das Benehmen gegen Gott an und für sich, sondern die Aeußerung der Ehrfurcht gegen Gott überhaupt und besonders gegen göttliche, d.h. mit Gott in Beziehung stehende Dinge und Personen, als da sind, Glaube, Religion, Sakramente und Sakramentalien, die Heiligen Gottes, vorab das Benehmen im Hause Gottes. Wenn man sieht, wie viele katholische Christen wähnen, vor Gott dürfen sie den Anstand ganz außer acht lassen,[13] wie sie deshalb in der Unterhaltung, im Verkehr mit Gott, d.h. im Gebete, sich ganz und gar gehen lassen und Stellungen annehmen, die sie selbst vor ihresgleichen anzunehmen sich schämen würden, wie sie dulden, daß über alles, was ihnen heilig ist und sein muß, gespottet wird, wie sie nicht wissen, wie sie sich im Hause Gottes und an anderen geweihten Orten benehmen sollen, dann wird man es begreiflich finden, daß wir diesem Gegenstande einen hervorragenden Platz in diesem Büchlein anweisen. Oder soll man denn nur den Menschen mit Anstand und Ehrfurcht begegnen, Gott aber nicht? Soll man das, was man einem hochgestellten Menschen gegenüber für geboten hält, Gott gegenüber außer acht lassen dürfen? Keineswegs! Gott, dem höchsten Herrn, dem König aller Könige, soll man vor allem mit Anstand und Ehrfurcht entgegentreten. Der gläubige, der katholische Christ wird deshalb nie und nimmer, wo er auch sei, ob allein oder in Gesellschaft von anderen, die Ehrfurcht gegen Gott verletzen, er wird es als Gewissenspflicht und Ehrensache ansehen, vor allem Gott und göttlichen Dingen die gebührende Ehrfurcht zu erweisen. Er wird seine innerste gläubige, katholische Gesinnung auch im äußeren Leben hervortreten lassen. Er wird in seinem ganzen Auftreten, im Gehen und Stehen, im Knieen und Beten, im Blick und in der Haltung, in den Bewegungen und Handlungen zeigen, welch tiefe Verehrung und Liebe gegen Gott, welche Anhänglichkeit und Begeisterung für die heilige Kirche und ihre Heilsaufgabe in ihm lebt,[14] kurz er wird sich überall als echten, wahren, überzeugungstreuen katholischen Christen zeigen. Näherhin seien hierüber folgende Punkte angeführt.

1. Erweise Gott die höchste Ehre, weil Er das höchste Gut ist; erweise Ihm alle Ehre, weil alles Gute von Ihm kommt, und weil alles, was in dieser Welt ehrwürdig ist, es nur deshalb ist, weil es den Beifall Gottes hat. Wie die Strahlen von der Sonne ausgehen, so geht alles Ehrwürdige und alle wahre Ehre von Gottes Heiligkeit, Herrlichkeit und höchster Ehrwürdigkeit aus.

2. Thue daher alles zur Ehre Gottes; die Ehre Gottes sei Endzweck und Richtschnur Deines Handelns. »Ihr möget essen oder trinken, oder sonst etwas thun, thuet alles zur Ehre Gottes« (1 Kor. 10, 31).

3. Bete regelmäßig Dein Morgen- und Abendgebet, heilige Dein Tagewerk durch eine gute Meinung, mache den Vorsatz, das Gute zu thun und das Böse zu meiden, danke dem lieben Gott am Abend für die Wohlthaten des Tages, bitte um Verzeihung für die tagsüber begangenen Fehler und Nachlässigkeiten, empfiehl Dich allezeit dem Schutze Gottes.

4. Bete vor und nach Tisch Dein Tischgebet; Du bist das Gott, dem Geber alles Guten, schuldig und Du drückst dadurch Deinen Glauben an Deinen Schöpfer, Deine Ehrfurcht und dankbare Liebe gegen Ihn aus. Selbst der Heiland hat den Tisch nicht verlassen, ohne Seinem himmlischen Vater gedankt zu haben.

5. Rede beim Essen nichts, was Gott beleidigt.[15] Welcher wohlerzogene Gast würde sich erlauben, den guten Gastgeber an seinem eignen Tische zu beleidigen? Beim Essen bist Du aber nicht an Deinem eignen, sondern an des Herrn Tische, Du issest Sein Brot und trinkest Seinen Wein.

6. Ehre Gott durch pünktliche, gewissenhafte Erfüllung Deiner Standespflichten. Erfülle Deine Pflichten aus Gehorsam gegen Ihn in der frommen Absicht, dadurch Gott in den Menschen zu ehren, zu lieben, Ihm zu dienen und zu gehorchen.

7. Ehre, was Gott geehrt wissen will: den Namen Gottes, das Wort Gottes, die Religion, die Kirche, den Gottesdienst, die Heiligen Gottes, das Haus Gottes, religiöse Bilder und Statuen, die Reliquien der Heiligen, das Gebet und endlich die von Gott verordnete Einrichtung der menschlichen Gesellschaft. Der Verächter des Heiligen verrät Gottlosigkeit, Lauigkeit gegen Gott und sein eignes Heil, Unglauben, Verachtung Gottes, Lieblosigkeit gegen andere Menschen, denen diese Gegenstände heilig sind, Unvernunft, Roheit und schlechte Erziehung.

8. Spotte nicht über Religion und mache die Religion und das Wort Gottes, die Heilige Schrift, nie zum Gegenstand unziemlicher Scherze. Laß Dich auch in geselliger Unterhaltung, wenn Du es irgendwie vermeiden kannst, nicht in Gespräche über Religion und religiöse Gegenstände ein; namentlich nicht mit Unbekannten und Dir bekannten Andersgläubigen; in der Regel wird dadurch der Religion nicht genützt, sondern geschadet. Wirst Du von irgendwem zu solchen[16] Gesprächen herausgefordert, so bekenne offen und männlich Farbe, ohne jedoch den Gegner zu verletzen.

9. Ehre die Heiligen als die Lieblinge Gottes auch in ihren Bildern. Gehst Du an der Statue oder dem Bilde eines Heiligen vorbei, so entblöße ehrfurchtsvoll das Haupt oder bekunde Deine Verehrung durch eine ehrerbietige Verneigung. Dies hat natürlich vor allem und in erster Linie vor den Bildern des Gekreuzigten zu geschehen.

10. Ehre die Diener der Religion die Priester. Begegne ihnen mit Ehrfurcht und Achtung und grüße sie immer ehrerbietig und zuerst. Der Gruß gilt nicht der Person, sondern dem Amte. Rede daher auch nichts Böses von einem Priester, mag er in seinem persönlichen Benehmen sein, wie er will. Richte Dich nicht nach seinen Handlungen, sondern nach seinen Worten.

11. Bekenne, wo Du bist, mannhaft und ohne Menschenfurcht Deinen Glauben:

a) Bist Du während des Aveläutens auf der Straße, so entblöße das Haupt, bete den Englischen Gruß, und bedecke Dich erst dann wieder, wenn Du Dein Gebet beendigt hast. Bete den Englischen Gruß auch, wenn Du läuten hörst, in der Gesellschaft, wenn auch unauffällig.

b) Begegnest Du einem Priester, der das Allerheiligste zu einem Kranken trägt, so kniee in angemessener Entfernung nieder, empfange den heiligen Segen und erhebe Dich erst dann, wenn der Priester vorüber ist.[17]

c) Begegnest Du einer Prozession, einem Wallfahrtszug oder einem Leichenzug, so gehe mit entblößtem Haupte und in anständiger, ehrerbietiger Haltung vorüber.

12. Ehre das Haus Gottes, die Kirche. In der Kirche stehst Du unmittelbar vor dem Angesichte Gottes. In ihr wohnt Jesus Christus selbst, der Welterlöser, unser allerhöchster König und Herr. Beachte daher nirgends strenger den Anstand, als in der Kirche. Es gibt für den Christen keinen ehrfurchtgebietenderen Ort, und wer das Haus Gottes verachtet, verachtet sein väterliches Haus und gibt einen Beweis seines lauen und undankbaren Herzens. Willst Du wirklich, wie es der Heiligkeit des Ortes und der Handlung entspricht, andächtigen und gehobenen Gemütes in der Kirche und beim Gottesdienste sein, so beachte folgendes:

a) Vor allem erscheine rechtzeitig in der Kirche; Du bist das den anderen Andächtigen schuldig, die Du durch ein zu spätes Eintreffen in ihrer Andacht und Sammlung stören würdest.

b) Sei weder nachlässig noch auffallend, sondern ordentlich, reinlich und züchtig gekleidet.

c) Sammle Dich bereits auf dem Wege zur Kirche, indem Du Dich aller weltlichen Gespräche enthältst, jedenfalls aber vor dem Betreten des Gotteshauses jeden weltlichen Gedanken aus Deinem Inneren verbannst und bedenkst, vor wem Du zu erscheinen hast.

d) Tritt ehrfurchtsvoll und still in die Kirche ein, nimm sofort das Weihwasser, besprenge[18] Deine Stirne und mache mit Andacht und Ehrerbietung das heilige Kreuzeszeichen und zwar mit der ganzen Hand, nicht zu rasch und leichtfertig oder indem Du nur, wie manche Leute, mit dem Finger etliche Male auf die Brust tippst Trittst Du mit einem anderen, besonders mit Vorgesetzten oder Hochgestellten ein, so nimm das Weihwasser und biete es, bevor Du Dich selbst besprengst und bekreuzigst, zuerst dem Begleiter an. Dasselbe soll man übrigens auch gegen Seinesgleichen und gegen Niedrigerstehende thun. Durch diese liebevolle Handlung gibt man den Beweis, daß in der Kirche kein Unterschied der Stände besteht und vor Gott alle gleich sind.

13. Hierauf gehe ruhig, ohne Störung zu verursachen und ohne jemand zu grüßen, – denn in der Kirche grüßt man nicht – an Deinen Platz, mache mit dem rechten Fuß eine Kniebeugung bis auf den Boden, nimm dann in der Bank Platz, kniee nieder und begrüße den verborgenen Gott im Sakramente.

14. Kommst Du während des sakramentalen Segens, so kniee sofort beim Eintritt nieder und gehe erst dann an Deinen Platz, wenn die heilige Handlung vollendet ist.

15. Dränge Dich nicht vor anderen in eine Bank. Findest Du Deinen gewöhnlichen Platz besetzt, so bestehe nicht darauf, daß er Dir abgetreten werde. Einen Beweis der Nächstenliebe kannst Du hingegen bei Ueberfüllung der Kirche[19] dadurch geben, daß Du bei einem etwa noch übrigen Platze bescheiden zurücktrittst oder den bereits eingenommenen Platz einem alten Mütterlein, oder einer anderen schwachen oder kranken Person überlässest, die sonst stehen müßte.

16. Achte ganz besonders auf Deine Haltung in der Kirche. Dieselbe sei demütig und bescheiden. Kniee schön und anständig. Die Kniee zu weit auseinander halten, auf einem Knie knieen, während das andere Bein auf der Kniebank aufgestellt wird, die Füße übereinander legen ist unanständig. Beim Stehen die Hände in die Tasche stecken oder auf den Rücken legen, sich über die Lehne des Betstuhls zu beugen usw. ist abscheulich.

17. Falte die Hände andächtig und schön, entweder die Handflächen vor der Brust aneinander gelegt oder die Finger ineinander geschlungen. Letztere Stellung ist ganz besonders die eines demütig und inbrünstig Flehenden.

18. Während des Gottesdienstes kümmere Dich nur um Gott und folge mit Andacht und Aufmerksamkeit der heiligen Handlung; sei andächtig aus Herzensgrund, aber zeige Dich nicht auffällig, d.h. frömmle nicht. Uebertriebene Frömmelei wirkt störend auf die anderen Andächtigen.

19. Mache überhaupt keine Störungen. Lache nicht, schwätze nicht, schaue nicht unnötig umher, spiele nicht mit Rosenkranz oder Gebetbuch, wühle nicht in den Haaren, nicke anderen nicht zu, spucke nicht auf den Boden und vermeide alles unnötige Geräusch durch Räuspern oder Reinigen der Nase. Laß Dich anderseits aber auch durch die Störungen[20] anderer nicht von der Andacht abziehen. Es ist betrübend, beobachten zu müssen, daß hundert Gesichter sich umdrehen, wenn hinten in der Kirche eine noch so kleine Störung sich kundgibt.

20. Das beste Mittel, Dich vor Zerstreuungen zu bewahren und der heiligen Handlung andächtig und gesammelt beizuwohnen, ist, daß Du ein gutes Gebetbuch mitnimmst. Dies ist besonders jungen Leuten zu empfehlen, die noch nicht im stande sind, aus sich selbst längere Zeit zu beten.

21. Verlaß das Gotteshaus nicht, ehe der Gottesdienst zu Ende und der Priester vom Altare abgetreten ist. Gehe bescheiden, ohne Störungen zu verursachen, aus der Kirche fort.

22. Besuchst Du ein katholisches Gotteshaus, um es zu besichtigen, so vergiß auch da nicht, wo Du bist und vor wem Du stehst. Unterlaß nie weder beim Eintritt noch beim Austritt, Deinen Heiland im Tabernakel zu begrüßen; mache vor dem Altar, in welchem das Allerheiligste aufbewahrt ist, eine Kniebeugung, beim Vorübergehen an den anderen Altären eine ehrerbietige Verneigung. Während eines Gottesdienstes in einer Kirche herumzugehen, ist unschicklich.

23. Besuchst Du behufs Besichtigung ein Gotteshaus einer anderer Konfession, so benimm Dich auch hier allzeit anständig. Kommst Du während eines Gottesdienstes, so wirst Du manches Neue und Ungewohnte sehen. Gib darüber, Deiner Verwunderung nicht Ausdruck, noch weniger lache oder spöttle darüber. Was uns verwundert, ist anderen heilig, und wir würden diese durch unser[21] Benehmen aufs tiefste verletzen. Dies widerstreitet aber der christlichen Nächstenliebe und wäre ein Beweis von Roheit des Herzens und des Geistes.

24. Auch der Friedhof ist ein heiliger Ort, den man weder durch Ungezogenheiten (Lärmen, Raufen usw.), noch durch einen gemeinen Brauch, indem man ihn als Weg oder Spielplatz benützt, entweihen soll.

25. Geheiligte Orte oder deren Umgebung auf irgend eine Weise zu verunreinigen, mit Namen zu besudeln usw., verletzt das religiöse Gefühl und die Ehrfurcht, die man geheiligten Gegenständen schuldig ist. Man sollte freilich meinen, daß eine solche Bemerkung überflüssig sei; sieht man aber oft Kirchen und Kapellen, Bildstöcklein und deren Umgebung an, so wird man es wohl gerechtfertigt finden, wenn wir auch hierüber etwas sagen.

Dies sind die vorzüglichsten Regeln eines anständigen Benehmens gegen Gott und göttliche Dinge. Es sei Deine süßeste Freude, diese Regeln Dir anzugewöhnen und treu und beharrlich zu üben.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 13-22.
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