H. Gegen Fremde.

[63] 66. Dem Fremden sollst Du eben jene Liebe und Höflichkeit erweisen, die Du wünschest, daß sie Dir erwiesen werde. Es ist das wiederum Eoltes Gebot, denn im Fremdling haben wir unsern Herrn und Erlöser Jesum Christum zu verehren.

67. Erweise dem Fremden an öffentlichen Orten die allgemein gebräuchliche Höflichkeit, zeige Dich, wenn Du von ihm angesprochen und gefragt wirst, gefällig und freundlich, gib ihm willige Auskunft, soweit es die Klugheit zuläßt.

68. Vermeide dem Fremden gegenüber alles neugierige Forschen, woher er kommt, wohin er geht, nach den Ursachen seines Aufenthalts usw.[63] Solche Fragen sind lästig und können dem Fragesteller eine unliebsame Abweisung zuziehen.

69. Vermeide auch alle Zudringlichkeit; stiere einen Fremden nicht an wegen der ungewohnten Erscheinung in Sprache und Kleidung.


I. Gegen Menschen von verschiedener Gemütsart.

70. Menschen von besonderer Gemütsart wollen auch besonders behandelt sein. Zu diesem Behufe muß man natürlich den Charakter dessen erkennen, mit dem man es zu thun hat.

71. Der Herrschsucht und dem Ehrgeiz weiche überall aus, sie werden Dich bei Deiner Annäherung nur zurückstoßen.

72. Eitlen Menschen gegenüber erniedrige Dich nicht zu Frondiensten oder zur Schmeichelei.

73. Dem Hochmut und der in seinem Gefolge marschierenden Dummheit drehe den Rücken oder bezahle mit gleicher Münze.

74. Empfindlichen Leuten sollst Du eher zu viel als zu wenig Aufmerksamkeit erweisen und ihnen nicht Anlaß zur Verstimmung geben. Hast Du dies gethan, so mache Dein Versehen durch eine kurze, freundliche Erklärung wieder gut, denn der sehr empfindliche Mensch ist auch sehr leicht versöhnlich.

75. Dem Eigensinn gib nach, bis er selbst sich eines Besseren besinnt; der Zanksucht weiche ganz aus oder jage sie durch Kaltblütigkeit in die Flucht. Den Jähzorn bringe durch Nachgiebigkeit und Sanftmut zur Vernunft.

76 Lügnern und Ränkeschmieden tritt[64] mit kühner Entschlossenheit und Ueberlegenheit gegenüber und zwinge sie durch Fragen zu bestimmten Antworten.

77. Müßiggängern und Schmeichlern nimm durch ein höfliches, aber kaltes und abgemessenes oder gleichgültiges Betragen jede Möglichkeit zu einer vertraulichen Annäherung.

78. Schwache, dabei aber gutmütige Menschen verachte nie, sondern leiste ihnen im Gegenteil, wo es Dir möglich ist, Beistand und muntere sie auf.

79. Dem Laster weiche aus und zeige ihm, wenn es Dir auch im gefälligsten Gewande naht, offen Deinen Abscheu.

80. Zum Schlusse dieses Kapitels mögen noch folgende allgemeine Regeln über den Umgang hier Platz finden:

a) Mache Deinen Wert geltend. Die Fähigkeiten, Kenntnisse und Tugenden, kurz alle vorteilhaften Seiten, in deren Besitze Du Dich durch den Umgang mit Dir selbst sicher weißt, zeige zu solcher Zeit, wo Du mit diesen Gütern Dir und anderen nützlich werden kannst, und setze sie vor solchen Leuten ins rechte Licht, welche Beruf und Macht dazu haben, Dir zu ihrer Anwendung zu verhelfen.

b) Suche eigne und fremde Mängel zu verdecken; vergiß nie, daß jeder Mensch seine Fehler hat und daß auch Du nicht vollkommen bist.

c) Halte Wort und Ordnung. Versprich nicht leicht etwas. Hast Du es aber einmal[65] gethan, so laß Dich durch nichts von der Erfüllung Deines Versprechens abbringen. Dadurch wirst Du Dir die Achtung aller Menschen im hohen Grade erwerben. Diese Wahrhaftigkeit walte überall in Deinem amtlichen, bürgerlichen und häuslichen Leben, welches sich dann in seiner gleichmäßigen Ordnung zu Deiner eignen und Deiner Mitmenschen Befriedigung gestalten wird.

d) Was Du bist und thust, das sei und thue ganz. Jede Halbheit entwürdigt den menschlichen Charakter und zieht uns Feinde zu.

e) Sei vorsichtig in Deinen Mitteilungen. Oeffne nicht jedem Dein Herz, Du würdest ihm dadurch schnell Deine Schwächen bemerkbar machen, ihm Veranlassung geben, sie zu mißbrauchen. Spiele aber auch nicht den Geheimniskrämer. Sei zwar offen, aber prüfe die Person zuvor; ist sie Deiner Aufmerksamkeit nicht würdig, so ziehe Dich schweigend zurück. Sodann beschränke Deine Mitteilungen auf Dinge, die Nutzen und Vergnügen gewähren und lasse sie nicht zu leeren Komplimenten und faden Schmeicheleien herabsinken.

f) Halte ein für allemal fest an Dei nen Grundsätzen, ob Du mit hoch oder nieder, mit reich oder arm verkehrest.

Geradheit, Redlichkeit, wahre Menschenliebe, Würde und Beständigkeit in unseren Handlungen zu zeigen, das ist das sicherste Mittel, uns allgemeine Achtung zu erwerben.[66]

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 63-67.
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