XI. Von dem Benehmen beim Reisen.

[151] Obschon bei Reisen ein jeder so gut als möglich auf seine eigne Bequemlichkeit bedacht sein[151] kann, so darf man dennoch die Rücksichten der Höflichkeit nie ganz außer Acht lassen und darf niemals glauben, in der Fremde sei es gestattet, den wohlerzogenen Menschen auszuziehen und einen anderen, aber keinen besseren, anzuziehen. Auch für das Reisen gilt in hervorragendem Maße der Satz: » Was Du nicht willst, daß man Dir thu', das füg' auch keinem andern zu.« Wie es uns angenehm berührt, wenn wir einem freundlichen, rücksichtsvollen Menschen begegnen, so wird es auch andere freuen, wenn wir gegen sie zuvorkommend sind und ihnen, wo wir können, Liebesdienste erweisen.

Gewöhnlich reisen wir heutzutage im Postwagen oder auf der Eisenbahn. Da gilt nun folgendes:

1. Beim Einsteigen in den Postwagen oder ein Eisenbahncoupé überhaste Dich nicht, dränge nicht andere zurück, um einen besseren oder den besten Platz zu bekommen, nimm im Wagen nicht mehr Raum ein, als Du brauchst, strecke die Füße nicht über die Sitze aus, bringe Dein Handgepäck so unter, daß Du keinen der Mitreisenden belästigst, kurz, mache es Dir zum Grundsatz und zur Hauptregel, den Mitreisenden gegenüber die möglichste Rücksicht walten zu lassen.

2. Beim Einsteigen grüße durch ein leichtes Lüften der Kopfbedeckung.

3. Beim Ein- und Aussteigen sei namentlich den Damen behilflich, besonders Frauen mit Kindern, ebenso kranken, leidenden und gebrechlichen Menschen. Es ist Pflicht eines gebildeten[152] Menschen, gegen ein- und aussteigende Reisende möglichst zuvorkommend zu sein.

4. Als die besten Plätze gelten diejenigen, auf welchen man rücklings fährt, und unter diesen wieder die Eckplätze, weil man da weniger der Zugluft ausgesetzt ist. Es ist Ehrensache, älteren Personen, Vorgesetzten und Höhergestellten die besseren Plätze zu überlassen, beziehungsweise ihnen anzubieten.

5. Sei nicht eigensinnig und hartnäckig in Bezug auf das Oeffnen und Schließen der Fenster. Ist ein Fenster geöffnet und Du bemerkst, daß es dem einen oder anderen der Mitreisenden nicht zusagt, so schließe es sofort, so gerne Du es auch offen sehen möchtest.

6. In einem öffentlichen Wagen zu essen, ist im allgemeinen nicht passend. Bei einer langen Reise oder bei Benützung von Schnellzügen wird es sich indes wohl kaum vermeiden lassen; in diesem Falle iß aber ohne Aufsehen und sorge beim Antritt der Reise schon dafür, daß die Speisen ordentlich und appetitlich verpackt sind. Einem Mitreisenden, der Dir bekannt ist, oder mit dem Du Dich in ein Gespräch eingelassen hast, darfst Du nur Obst, Zuckerwerk oder Gebäck anbieten, nicht aber andere Speisen. Die Umhüllung oder die Speiseüberreste auf Bahnhöfen zum Wagenfenster hinauszuwerfen, ist nur nicht unanständig, sondern verstößt auch gegen das Bahnreglement. Packe sie sauber zusammen, bis Du Gelegenheit hast, Dich ihrer auf anständige Weise zu entledigen. Flaschen darf man nie hinauswerfen, man lasse sie im Netze liegen.[153]

7. In einem Postwagen soll man gar nicht rauchen; aber zu verlangen, daß man auch in einem Eisenbahnwagen nicht rauche, dürfte doch wohl etwas zu weit gegangen sein; lege Dir hier aber möglichste Beschränkung auf und rauche wenigstens nicht, wenn Du einer Dame gegenüber sitzest, ohne dieselbe vorher um Erlaubnis gebeten zu haben.

8. Im Anknüpfen eines Gespräches mit einem Mitreisenden sei vorsichtig; es ist rätlich, sich auf die nötigsten Worte, wie auf das Entbieten der Tageszeit zu beschränken. Uebrigens wird gegen ein höfliches und kurzes Gespräch im allgemeinen nichts einzuwenden sein, nur befleißige Dich der größten Zurückhaltung. Wie oft schon hat Redseligkeit im Eisenbahncoupé bittere Reue zur Folge gehabt. Gänzlich von der Unterhaltung sind auch hier ausgeschlossen Fragen nach und Erzählen von persönlichen Ereignissen.

9. Bei Besichtigung von Denkmälern, Kirchen, Gemälde- und sonstigen Sammlungen besichtige wohl alles, aber berühre nichts. Schreibe auch nicht überall, wo Du gewesen bist, Deinen Namen hin, das ist ein Zeichen von Eitelkeit und Wichtigthuerei. »Die Namen der Narren stehen an allen Sparren.«

10. Daß man sich in Aborten von Bahn- und Gasthöfen der größten Ehrbarkeit und des größten Anstands befleißigen soll, daß man ganz besonders hier das Anschreiben seines Namens oder das Aufdrücken des Stempels vermeiden soll, versteht sich für den, der halbwegs Gefühl für seine[154] persönliche Würde, für Anstand und Ehrbarkeit hat, von selbst.

11. In Deinem Absteigequartier, im Gasthof, Hotel usw. darfst Du ziemlich frei und ungeniert verkehren; doch laß auch hier die gewöhnlichen Anstandsrücksichten nicht außer acht. Dein Betragen sei geräuschlos und rücksichtsvoll. Vergiß nie, daß andere vielleicht der Ruhe pflegen wollen, während Du dieses Bedürfnis nicht fühlst, und vermeide deshalb alles laute Rufen auf den Gängen usw.

12. Ueberhaupt gelten für das Absteigquartier, wenn es ein Gasthof ist, alle Regeln, die wir in dem Kapitel »Benehmen im Wirtshaus« angeführt haben; ebenso über das Benehmen an der Table d'hôte alles, was wir über das Essen gesagt haben. Angeführt sei nur noch das eine: Begleiche bei der Abreise Deine Rechnung, ohne zu feilschen oder zu zwacken und gönne den Bediensteten gerne das obligate Trinkgeld.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 151-155.
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