XII. Benehmen gegen Damen.

[155] Das Benehmen im Umgang mit Damen ist, soweit Gelegenheit hierzu geboten war, in den bisherigen Kapiteln gestreift worden. Wir lauben aber, daß es ganz am Platze ist, wenn wir in den folgenden Punkten noch einmal eine Hauptübersicht über dasselbe geben.

1. Der Grund, auf welchem sich unser Benehmen gegen Damen aufbauen soll, soll die Achtung sein, welche der Mann der Frau schuldig[155] ist. An der Art, wie ein Mann den Damen begegnet, wird man sicher den Grad seiner Bildung erkennen.

2. Der gebildete Mann wird deshalb nie vergessen, daß er den Damen stets mit liebenswürdigster Zuvorkommenheit gegenüber zu treten und ihnen auch allzeit hilfreich beizuspringen hat. Höflichkeit und Dienstfertigkeit gegen alle muß die Richtschnur seines Auftretens gegen Damen sein. Er zeige sich jedoch in Erweisung dieser und jener Dienste und Gefälligkeiten nicht zu übereifrig, das könnte seinem und dem Rufe der Dame schaden, denn die Welt unterlegt einem allzugroßen Diensteifer gar oft falsche Beweggründe.

3. Sprich eine Dir nur durch die Gesellschaft bekannte Dame auf der Straße nicht an und verlange auch nicht, sie zu begleiten. Die Dame müßte sich in diesem Falle unter schicklichem Vorwande möglichst schnell entfernen.

4. Bringe das Gespräch nicht auf Dinge, welche Damen unangenehm berühren müssen, oder brich es, wenn es durch irgend einen Umstand eine solche Wendung genommen hat, sofort wieder ab. Dergleichen unangenehme Gespräche werden Dir nur selten verziehen und bringen Dich in den Ruf der Rücksichtslosigkeit.

5. Schmeichle den Damen nicht. Eine Dame der guten Gesellschaft wird immer das wirkliche Lob von der Schmeichelei zu unterscheiden wissen und sich danach ihr Urteil über den Schmeichler bilden, und dies wird immer ungünstig für denselben lauten, denn die Dame muß annehmen,[156] daß er sie entweder für ungebildet oder eitel hält, oder daß er sich selbst bisher in einem ungebildeten Damenkreise bewegte, wo man mit solcher Unterhaltung zufrieden war.

6. Rede nicht von dem Alter einer Dame, noch weniger aber frage danach; überhaupt unterlasse alle Fragen nach den persönlichen Verhältnissen einer Dame. Bekrittle die anwesenden Damen nicht.

7. Beobachte in der Unterhaltung mit Damen immer und überall die größte Vorsicht. Der Ton sei harmlos und ungezwungen, aber stets höflich und achtungsvoll.

8. Im öffentlichen Verkehr gebührt einer Dame stets der Vortritt; nur beim Aussteigen aus einem Wagen geht der Herr voran, um ihr dann beim Aussteigen behilflich sein zu können; ebenso beim Besteigen von Treppen (siehe Seite 111), sowie an Plätzen, die irgendwelche Unsicherheit, oder auf Wegen, die Schwierigkeiten bieten. Auch in Wirtshäusern muß der Herr der Dame vorangehen, um für sie einen passenden Weg zu bereiten. Jedenfalls aber öffnet der Herr der Dame die Thüre, um sie vorher eintreten zu lassen.

9. Begleitest Du eine Dame, so lasse sie an Deiner rechten Seite gehen; bei zwei Damen lasse die ältere in der Mitte, die jüngere rechts von der älteren gehen, Du selbst gehe an der linken Seite der älteren.

10. Die Damen sind immer zuerst zu grüßen.

11. Siehst Du eine Dir bekannte Dame in Begleitung eines Herrn, so mußt Du Dich mit[157] einem achtungsvollen Gruß begnügen, jede weitere Aufmerksamkeit aber unterlassen. Willst Du der Dame dennoch einen Dienst erweisen, sei es, daß Du ihr einen Stuhl anbieten oder einen besseren Platz, den Du zufällig inne hast, abtreten willst, so wende Dich an den Begleiter der Dame, und dieser wird entscheiden, ob er zum Nutzen der Dame das Anerbieten annehmen soll oder nicht.

Quelle:
Vogt, Franz: Anstandsbüchlein für das Volk. Donauwörth [1894] [Nachdruck Donauwörth 21987], S. 155-158.
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