VIII. Durch die Schweiz nach Italien. Idylle am Comersee. München.

[130] Am 6. Mai 1811 reiste ich mit meinem Bruder von Nördlingen ab. Meinen Eltern fiel die Trennung sehr schwer, und auch mir ging sie sehr nahe. Als ich aber die Stadt verlassen, warf ich noch einen Blick zurück nach all den Freuden und Leiden, welche dort an mir vorübergezogen, sandte im Stillen noch ein Lebewohl an alle die Freunde und Lieben, in deren Umgang ich trauliche Stunden verlebt hatte, und richtete meine Blicke muthig vorwärts. Krank, in trüber Stimmung, fast hoffnungslos kam ich nach Nördlingen, kräftig und gesund gehe ich nun meiner weitern Bestimmung und einer schönen Thätigkeit entgegen. Gebe Gott, daß sich der Himmel nicht aufs neue verdüstere und ich mich nicht in neue Trübsal verirre, nachdem ich der alten so glücklich entronnen. Unter solchen Gedanken fuhren wir still Ulm zu, wo ich meine jüngere Schwester unterbrachte. Wir verweilten in der alten Stadt mit ihrem prachtvollen Münster einige Tage und setzten dann unsern Weg bei herrlichem Frühlingswetter durch das freundliche Schwabenland nach Lindau zu Fuße weiter fort, blieben hier wieder einige Tage, machten einige Ausflüge in die schönen Umgebungen des Bodensees und warteten die Ankunft unserer Koffer ab.

Ueber den Splügen war damals die Reise noch sehr beschwerlich, da bloß ein Saumweg, der an manchen Stellen zudem[130] noch gefährlich aussah, über ihn führte. Man konnte diesen nur mit Saumthieren oder Pferden, welche an ihn gewöhnt waren, passiren. Zu diesem Behufe befand sich in Fussach, einem Lindau gegenüberliegenden Dorfe am Bodensee, eine recht gute Einrichtung. Alle Wochen einmal ging von dort ein Courier regelmäßig nach Mailand und umgekehrt. Diese Leute übernahmen die Reisenden sammt allem Gepäcke und vollständiger Verpflegung gegen den Preis von 5 Louisd'ors. Man war bei ihnen sehr gut aufgeboben und brauchte sich um gar nichts zu bekümmern. Bis Chur ging es im Wagen, von da zu Pferd oder Esel bis Chiavenna, dann über den Comersee und von diesem zu Wagen nach Mailand. Diese Reise trug einen poetischen und höchst pittoresken Charakter, denn abgesehen von den Naturschönheiten, welche der Splügen, besonders in der Via mala bietet, gewährte der Zug selbst die größte Abwechslung und die schönsten Gruppirungen auf den sich oft an schroffen Felswänden, oder an Schluchten und Abgründen wunderlich hinschlängelnden Wegen.

Hier ereignete sich unter anderm ein Vorfall, welcher verdient, erwähnt zu werden. Ich hatte einen schönen schwarzen Pudel größerer Art von ganz ungewöhnlichen Anlagen, den ich seiner Wachsamkeit wegen Cerberus nannte. Er bewachte seinen Herrn und dessen Gut mit einer unbeschreiblichen Aufmerksamkeit, ebenso wußte er Verlornes auf unglaubliche Weise zu finden. Am eigenthümlichsten aber war, daß er, so oft ich in Gesellschaft reiste, dieselbe Aufmerksamkeit jedem von meinen Gefährten zuwandte. Auf einem der schmalen Pfade, wo nur ein Pferd hinter dem andern gehen konnte, geschah es, daß Cerberus mit wildem Gebell um den ganzen Zug herum sprang, die Pferde aufzuhalten suchte, besonders das Pferd des Couriers, welcher als Führer voranritt. Dieser wurde zuletzt ungeduldig, hieb mehrmals mit der Peitsche nach dem Hunde und rief mir zu: »Wehren Sie Ihren Hund ab, wir können ja nicht weiter kommen!« Allein so gehorsam dieser sonst war, mein Rufen war vergeblich, er leistete nicht Folge, so daß ich bedenklich wurde und fragte, ob Jemand etwas verloren habe[131] oder fehle. Zugleich sah ich mich nach meinem Bruder um, welcher weit zurückgeblieben und auf seinem Pferde fest eingeschlafen war. Seinen Mantel, den er, ohne ihn zu befestigen leicht über das Pferd geworfen, hatte er verloren. Jetzt wußte ich, woran ich war. Mühsam wandte ich mein Pferd auf dem schmalen Wege und ritt zurück. Kaum hatte dies der Hund bemerkt, so lief er mir weit voraus, mein Bruder war aus seinem Mittagsschlaf indessen auch erwacht, und wir beide folgten jenem, der immer weit voraus war und von Zeit zu Zeit sich geschäftig umsah, ob wir nachkommen. Wir mußten eine ziemliche Strecke zurückreiten, bis wir dahin kamen, wo der Mantel lag. Cerberus, welcher lange vor uns angelangt war, versuchte den Mantel fortzuschleppen, aber alle Anstrengungen blieben umsonst, der Mantel war zu groß, der Hund trat im Gehen auf ihn, verwickelte sich und purzelte jedesmal ganz komisch über und über.

Man könnte von diesem merkwürdigen Thiere, bei dem diese und ähnliche Eigenschaften nicht eingeprügelt, sondern Naturanlagen, fast möchte man sagen, eine Art Hunde-Genialität waren, eine eigene Biographie schreiben, wenn es hier am Platze wäre. Ich werde jedoch bei meiner Reise nach Rußland zur Armee 1812 Veranlassung haben, nochmals darauf zurückzukommen.

Der Courier sagte nach dem soeben erzählten Vorfalle: »Fordern Sie für diesen Hund, was Sie wollen, wenn ich die Summe bezahlen kann, kaufe ich ihn!«

Am 16. Mai kamen wir nach einer langweiligen Fahrt in einer schwerbepackten, mit Menschen vollgestopften und nur mit zwei Pferden bespannten Kutsche in Mailand wohlbehalten an.

Nach dem, was im Verlaufe eines ganzen Jahres in Mailand an mir vorüber gegangen war, betrat ich diesen Ort mit einem eigenthümlichen Gefühl. Es war ein Gemisch von Furcht und Hoffnung, was mir viel Stoff zum Nachdenken gab.

Man betrachtete mich bei Hofe, da ich während einer siebenmonatlichen Abwesenheit keinem Menschen eine Zeile geschrieben und meinen Gehalt inzwischen hatte bei der Kasse stehen[132] lassen, als einen vom Tode Auferstandenen. Ich wurde freundlich empfangen und bekam meinen rückständigen Gehalt in neuen, schöngeprägten Fünffrankenthalern ausbezahlt, was mir damals sehr gelegen kam.

Zwei Tage war ich in Mailand, als ich das Haus betrat, in welchem mir durch nur zu viele Liebe so oft Kummer und Sorge bereitet wurde. Ich hatte Erkundigungen eingezogen, wie es dort stehe und erfuhr, daß alles beim Alten sei, daß Magdalena jeden Antrag für eine Versorgung zurückweise und mit Festigkeit auf meine Rückkehr harre. Mein Betragen war nicht schön, das fühlte ich. Den eigenthümlichen Charakter dieses Mädchens hatte ich noch nicht verstehen gelernt; ich hätte ihr nicht so viel Beharrlichkeit zugetraut, rechnete auf Vergessen und hatte mich getäuscht. In dieser langen Abwesenheit wäre es nicht schwer gewesen, durch Briefe dieses Verhältniß ganz abzubrechen. Aber ich fand keinen genügenden Grund dazu, da von einer Verbindung gar nie die Rede war. Eine Kränkung dieser ehrenhaften Familie widerstand meinem feinen Gefühle, obwohl die Vernunft mir sagte, daß es besser wäre, sie nicht mehr zu sehen. Mit Herzklopsen näherte ich mich am dritten Tage meiner Ankunft diesem Hause. Der erste Empfang war eben kein sehr freundlicher. Aber nicht etwa mit Thränen, welche den Mädchen so leicht ankommen, wenn sie sich gekränkt fühlen, sondern mit einer Art stolzen Bewußtseins empfing mich Magdalena. Einigen wohlverdienten Vorwürfen über mein liebloses Betragen, sie sogar über meinen Gesundheitszustand, welcher ihr so viel Sorge bereitet hatte, so lange ohne Nachricht zu lassen, konnte ich nicht entgehen. Das dauerte aber nicht lange und in kürzester Zeit war wieder alles so ganz und gar beim Alten; ihr Herz hatte sich nun einmal entschieden, sie schien wirklich mit ehernen Banden an mich gefesselt. Wahre Liebe grollt nicht lange. Desto mißlicher aber wurde jetzt meine Stellung nach dieser harten Prüfung, welche sie bestanden hatte. Der Zufall kam mir zu Hilfe.

Die Vicekönigin beauftragte mich alsbald mit zwölf kleinen Aquarellzeichnungen aus dem Kriege von 1809; ich machte die[133] Entwürfe in Mailand und nahm dann eine Einladung von meinem Freunde Francesco Artaria an, den Sommer in seiner Villa zu Blevio am Comersee zuzubringen. Hier vollendete ich die Zeichnungen: sie wurden sodann in Paris auf ein Tafelservice in Porzellan mit vielem Geschmack ausgeführt, womit die Prinzessin ihrem Gemahl auf Weihnachten eine Ueberraschung bereitete.

Nach Vollendung dieses Auftrages ließ ich mir Leinwand aus Mailand kommen und begann mein zweites großes Bild, die »Schlacht von St. Michael«. In demselben trat die Landschaft sehr hervor. Die Gebirge um Blevio, welche mit denen von St. Michael viele Aehnlichkeit haben, kamen mir dabei sehr zu statten. Man arbeitet mit viel mehr Wärme, wenn man sich bei der Natur Rath erholen kann. Ich schritt deßhalb mit dieser Arbeit bis zum Herbste sehr weit voran.

Auf Artarias Villa verlebte ich vier Monate des schönen Sommers 1811 unter sehr angenehmen Verhältnissen; diese Zeit zählt zu den herrlichsten Tagen meines italienischen Lebens. Der Comersee bietet ja bei längerem Aufenthalte ungemein viel Reizendes. Dazu kam noch, daß der Landschaftsmaler Rebell1 sich damals mehrere Monate in Blevio aufhielt und ich also die Freude genoß, mit einem Künstler verkehren zu können. Mein philosophischer Hauswirth Artaria hatte ebenfalls viele Freude an der Kunst; seine Gemahlin war eine Virtuosin auf dem Claviere und gewährte uns mit diesem manche Erheiterung; kurz, es fehlte nichts, als der Friede im Herzen. Aber mit diesem unruhigen Ding konnte ich gar nicht fertig werden. Ich[134] liebte und wollte es mir nicht eingestehen. Das Komische war dabei, daß ich immer in der Flucht mein Heil suchte, wodurch das Uebel um gar nichts besser wurde. Besonders in Mailand, wohin ich mich ein paarmal begab, schien die abermalige Trennung keine angenehmen Wirkungen hervorgebracht zu haben.

Mein immer gleich treuer Freund de Saive veranlaßte mich, eine Reise in die Schweiz zu machen. An der Seite dieses trefflichen Menschen erlebte ich abermals frohe, glückliche Tage.

Wir gingen von Como über das freundlich gelegene Varese, den Luganersee, Lago Maggiore, Bellinzona nach Airolo am Fuße des St. Gotthard. Von da nahmen wir unsere Richtung durch ein Thal, das sich am Fuße der Gebirge hinzieht, welche das Walliserland begränzen. Mein Freund hatte eine vorzügliche Gebirgskarte bei sich, nach der er behauptete, es müsse von Airolo ein Weg über jene Gebirge in das Wallis führen. In Airolo aber wollte niemand etwas von einem solchen Wege wissen, doch wurde uns bemerkt, daß wir einige Stunden links ein kleines, fast von lauter Gebirgsjägern bewohntes Dorf finden würden, welche uns vielleicht bessere Auskunft geben könnten. Wir fanden in diesem in der That fast jedes Haus mit Emblemen erlegter Bären, Wölfe und Luchse geziert und nach langem Umfragen auch einen alten, stämmigen Jäger, welcher uns sagte, nach Wallis zu kommen wäre wohl möglich, aber von einem Weg sei keine Rede. Er selbst sei vor vielen Jahren einmal hinübergegangen; wenn wir den Muth dazu hätten und ihn gut bezahlten, so wolle er uns führen. Dabei betrachtete er aber mit mitleidigem Lächeln und Kopfschütteln unsere Garderobe, besonders unsere Fußbekleidung; die Herren, meinte er, schienen ihm eben gar zu fein für eine solche Parthie.

Diese Bedenklichkeilen reizten uns aber mehr, als sie uns abschreckten; wir beide, de Saive und ich, fanden Geschmack an wagehalsigen und abenteuerlichen Dingen, und somit wurde die Reise angetreten. Zuerst führte der Weg über Stock und Stein, inzwischen über glatte, sehr steile Grasmatten bis zu[135] einer bedeutenden Höhe, dann aber kamen wir in einen großen Lärchenwald, dessen Bäume meist schon ganz kahl standen. Die Oberfläche des Bodens bestand aus herabgefallenen Nadeln und war glatt wie Glas, so daß man zwei Schritte vorwärts und einen wieder dabei rückwärts machte, von Zeit zu Zeit aber auch über und über stürzte, was sehr ermattete, zumal die Steigung stets sehr steil blieb und diese Passage lange dauerte. Hieraus ging es über ungeheueres Geröll und schroffe Felsenmassen bis zu einer Höhe, wo alle Vegetation ein Ende hatte. Weiße Felsen ragten hier in pyramidaler Form in Spitzen endend und einem gothischen Bau nicht unähnlich in das dunkle Blau des Himmels empor, kein Wölkchen zeigte sich am Horizont und das Blau schien beinahe schwarz, die Mittagssonne brannte fürchterlich auf diese lichten Felsen, so daß es uns das Wasser aus den Augen trieb. Zuletzt geriethen wir auf eine ungeheure Schneefläche; diese aber hätte uns beinahe das Leben gekostet. Wir kamen an eine ziemlich stark ansteigende Stelle, bei welcher der Schnee durch einen furchtbaren Riß gespalten war, der in eine unergründliche, schwarze Schlucht blicken ließ. Diesen mußten wir umgehen, der Führer ermahnte uns, möglichst tief in den Schnee einzutreten, um nicht zu rutschen und bemerkte, wer da hinunterfiele, würde das Tageslicht nie mehr erblicken!

Zur größeren Vorsicht gab er mir seinen großen Gebirgsstock, da er auf meine Fußbekleidung nicht viel Vertrauen setzte, die Sohlen ohne Nägel waren glatt geworden. Ich glitt aus, fiel und rutschte nun eine geraume Strecke bergab, schnurgerade der unheimlichen Kluft zu, hatte aber noch soviel Geistesgegenwart, im Rutschen fortwährend den Stachel des Stockes in den Schnee hineinzustoßen. Endlich hielt er fest, der Führer rief mir zu, mich um Gotteswillen nicht zu bewegen, er werde mich holen. Er trat mit seinen großen Bergschuhen eine förmliche Treppe in den Schnee, hob mich auf und führte mich wieder herauf. So rettete mich die Vorsicht dieses Mannes und sein Stock vor dem furchtbaren Tode, lebendig begraben zu werden.[136]

Von jener Stelle an hatten wir bald den höchsten Punkt erstiegen, dann ging es abwärts. Nun befiel uns der Muthwillen, auf einem Stocke reitend bergab zu kutschiren. Das ging auch einige Zeit recht lustig, plötzlich aber verschwand de Saive, welcher voraus war, sich nicht mehr halten konnte und über eine ungefähr 20 Fuß hohe Felswand hinabstürzte. Er that sich sehr weh und setzte nicht ohne Beschwerden den Weg weiter fort. Tiefer unten stellte sich uns ein ziemlich breiter, wilder Bergstrom entgegen, der voll von Felsstücken und grobem Gerölle war. Unser Führer trug uns einen nach dem andern auf dem Rücken hinüber. Mein Pudel, der sonst gerne in das Wasser ging, bemerkte wohl, daß er einer solchen wilden Strömung nicht Widerstand leisten könnte und lief unter jämmerlichem Geheul am Ufer auf und ab. Als aber ich hinübergetragen und kaum am anderen Ufer angelangt war, stürzte er sich mit einem gewaltigen Sprung in den Bergstrom, der ihn mit sich fortgerissen hätte, wenn ihm nicht unser Führer zu Hilfe gesprungen wäre. Gegen Abend kamen wir nach Guttannen, wo wir unser Nachtquartier aufschlugen und de Saive mehrere Tage in Folge seines Sturzes das Bett hüten mußte. Von hier nahmen wir den Weg dicht über die Furka nach dem schönen Haslithale mit seinen prächtigen Wasserfällen (den Aarfall hatten wir vorher schon aufgesucht), gingen über den Brienzer und Thuner See und kehrten über den Simplon, Domo d'Ossola und den schönen Lago Maggiore nach Mailand zurück.

Diese Gegenden, besonders das Haslithal, haben nicht umsonst einen so großen Ruf; nirgends fand ich soviel Großartiges auf einem Punkte vereinigt: wunderschöne Matten, üppige Gründe von Bächen durchzogen, mit Obst- und anderen Bäumen übersäet, reinliche, hübsche Wohnhäuser, sehr wohlgenährtes Vieh auf den Weiden, ein kräftiger, gut gekleideter, stattlicher Menschenschlag erregte auf dieser Wanderung die angenehmsten Eindrücke. Großartige Wasserfälle und majestätische Berge, wie die Jungfrau und andere, die nah und fern ihre stolzen Häupter in die Wolken emporheben, fügen zu dem Anmuthigen das Ernste und Imposante.[137]

Damals war dieses schöne Gebirgsland noch nicht ein Promenadeplatz für ganz Europa geworden: Engländer, welche alles vertheuern und mit dem rothen Buch in der Hand reisen, sah man gar nicht. Das Landvolk in der Schweiz hatte damals noch viel von der Einfachheit der guten, alten Sitten behalten und man fühlte sich in ihren reinlichen Behausungen recht behaglich. Selbst jetzt nach 48 Jahren denke ich darum gerne an diese Reise zurück.

Auf dem Rückwege verweilten wir noch auf den borromäischen Inseln, trennten uns in Como und de Saive ging nach Mailand, ich nach Blevio, um mit frischem Muthe an meinem Bilde weiter zu arbeiten. Aber ganz wollte es mir nicht gelingen, jene Ruhe und Heiterkeit des Geistes festzuhalten, welche auf dieser Reise in mir wohnte. Ich erhielt aus Mailand beunruhigende Nachrichten über das Befinden meiner Freundin Magdalena, welche manche Stunde dieses schönen Aufenthaltes trübten. In der Schilderung dieses Verhältnisses wird vieles unbegreiflich erscheinen. Auf dem Standpunkte, wo wir Beide uns befanden, gibt es keine Halbheit. Nur ein Vorwärtsgehen oder ein gänzliches Abbrechen kann einem solchen Zustande ein Ende machen. Das Erstere wollte ich nicht, weil ich fand, daß es nicht an der Zeit wäre zu heirathen; das Letztere fiel mir zu schwer, weil es mit meinem Zartgefühle im grellsten Widerspruche stand. Der einzige Mittelweg schien mir eine lange Entfernung; deshalb suchte ich immer hierin mein Heil. Aber meine Abwesenheit war immer zu kurz und ich mußte doch wieder nach Mailand zurück, wenn ich Italien und meine Stellung nicht ganz verlassen wollte, was doch auch der Ueberlegung werth war.

Gegen Ende August machte ich mit de Saive einen zweiten Ausflug in die Schweiz. Diesmal führte uns der Weg über den St. Gotthard an den Vierwaldstädter See. Wir wohnten in Flüelen und machten von dort aus schöne Ausflüge in der Umgebung des Sees. Acht Tage verstrichen uns nur zu schnell, und wir mußten, da der Urlaub meines Freundes zu Ende ging, uns mit schwerem Herzen auf den Rückweg begeben.[138]

Am Abend vor der Abreise verfiel ich in ein ernstes, tiefes Nachdenken. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft drängten sich zusammen und der Streit so vieler, theilweise widersprechender Gefühle führte zu dem Entschlusse, nicht mehr nach Italien zurückzukehren. Es kostete meinem Freunde, der dadurch in peinliche Verlegenheit versetzt wurde, große Ueberredung. Erst der nächste Morgen brachte eine ruhigere Stimmung. Ich stand am Scheidewege einer neuen Lebensperiode.

Schon längst hatte Artaria mir das häusliche Glück recht schön geschildert. Dies that er auch bei meiner Rückkehr nach Como. Ebenso redete mein Bruder, den ich immer noch bei mir hatte, mir ins Gewissen, das liebe Geschöpf doch nicht so lange zu quälen und mich dazu. Es war ihm unbegreiflich, wie ich, der doch in der Lage war, einen häuslichen Herd gründen zu können, die Sache so verzögern könne. Nach langem Ueberlegen und Kämpfen mit mir selbst beschloß ich, endlich einen entscheidenden Schritt zu thun.

Gegen Ende September begann die Weinlese des berühmten Eilferweines. Mein Freund Artaria, welcher im Hause ihrer Eltern nicht fremd war, lud in seinem und seiner Gemahlin Namen Magdalena ein, die Zeit der Weinlese bei ihnen zu verweilen. Er selbst mit seiner Frau wollte sie dann nach Mailand zurückbringen. Mein Bruder wurde mit diesem Briefe und einigen Zeilen von mir nach Mailand geschickt mit der Weisung, sie zu begleiten, im Falle die Eltern darauf eingingen.

Zwei Tage verstrichen. Am dritten saß ich ganz ruhig an meiner Staffelei und dachte: heute kommt sie auf keinen Fall, denn es stürmte fürchterlich und der See tobte und schäumte. Kein Schiff ließ sich auf dem ganzen See blicken. Plötzlich rief Artaria meinen Namen und ehe ich noch an das Ufer gelangen konnte, flog sie in meine Arme. Mit klopfendem Herzen lag sie an meiner Brust, ihre Wange glühte, ihr feuriges Auge strahlte; es waren seelenvolle Blicke, welche mehr sagten als tausend Worte. Welche Feder wäre fähig, die beseligenden Gefühle zu schildern, welche so lange in tiefer Brust verschlossen geblieben. In solchen Augenblicken bedarf es keiner Erklärungen,[139] wo das Herz so laut spricht. So können auch nur Menschen lieben, deren Herzen sich rein erhalten haben, deren Neigung auf gegenseitiger Achtung und Vertrauen beruht und deren jugendliche Kraft sich in ihrer ganzen Schärfe erhalten hat.

Von nun an verlebten wir hier während eines zwölftägigen Aufenthalts eine wahrhaft selige Idylle. Die grundsätzlich um mein Herz gezogene Eisrinde schmolz, die Arbeit ruhte. Daß diese Verwandlung die Geliebte unbeschreiblich glücklich machte, ist leicht denkbar. Auch ihr Charakter zeigte täglich neue Vorzüge und vor allem ein durchaus kindliches Gemüth und eine seltene Anmuth. Froh wie die Kinder durchwandelten wir mit ihrem älteren Bruder, welcher sie begleitet hatte, Hand in Hand die schöne Umgebung dieses Sees und die Gebirge, welche ihn umschließen. In den Frühstunden besuchten wir die Weingärten und labten uns an den vorzüglichsten Trauben. Die vollen Kehlen der Winzer schallten in munteren Liedern mit den ersten Strahlen der Morgensonne uns entgegen. Die Leute hatten ihre Freude an uns, weil wir beide so frisch und jung waren, und wer unser Verhältniß nicht kannte, hielt uns für Geschwister. Wir liebten uns, trugen es aber nicht zur Schau.

Das Wetter war fortwährend prachtvoll und jeder schöne Tag wurde zu Wasser und zu Lande ausgenützt.

Gleich den Tag nach ihrer Ankunft schrieb ich nach Mailand an die Eltern und bat um die Hand ihrer Tochter. Dann unterrichtete ich von diesem Schritte auch meine Eltern. Sie hatten längst schon gewünscht, daß diese Verbindung zu Stande kommen möchte. Mein gemüthlicher Hauswirth und seine Frau trugen redlich dazu bei, uns diese Tage so angenehm wie möglich zu machen. Auch hielten sie ihr Wort und begleiteten Magdalena nach Mailand.

Der Abschied war kein thränenreicher. Mit demselben vertrauensvollen Blicke, wie sie gekommen war, dankte sie, reichte mir treuherzig ihre kleine, feine Hand und sagte: »Auf baldig Wiedersehen!«

Ein paar Wochen verweilte ich noch in Blevio, um mein[140] Bild möglichst vorwärts zu bringen. Lachen mußte ich jetzt über mich selbst, wenn ich an meine Heirathsscheu und meine Flucht über alle Berge dachte, um meine Freiheit nicht zu verlieren und mich nun so überaus glücklich fühlte. Unwillkürlich fielen mir die Verse ein:


Ueber die Berge mit Ungestüm

Vor der Liebe ein Jüngling lief,

Glaubte, sie wäre dicht hinter ihm –

Aber sie saß ihm im Herzen tief

Und ließ sich mit schelmischem Wonnebehagen

Ueber die Berge schaukeln und tragen.


Es war eine große Verwandlung in meinem Innern vor sich gegangen; einig mit mir selbst, wie ich es jetzt war, arbeitete ich noch ein paar Wochen eifrig und mit gutem Erfolge an meinem Bilde, packte dann zusammen und ging am 14. Oktober nach Mailand. Daselbst konnte ich aber nur wenige Tage verweilen, denn zu Montechiario, nahe bei Peschiera, wurde ein großes Lager bezogen, wohin Prinz Eugen sich begab und ich schicklicherweise nicht zurückbleiben konnte. In den ersten Tagen zeichnete ich, was ich für gut fand, dann trieb ich mich den größten Theil der Zeit in den schönen Umgebungen herum. Das köstliche Wetter und meine innerliche Heiterkeit machten mich außerordentlich glücklich. So herrlich glaubte ich Italien noch nie gesehen zu haben.

Da das Lager wider Vermuthen länger dauerte, so ging ich nach Mailand zurück, weil mir viel daran lag, mein Bild im Laufe des Winters zu vollenden. Ich arbeitete jetzt mit großem Eifer und nützte meine Zeit gut aus. Die Abendstunden verbrachte ich meistens im trauten Familienkreise meiner Braut.

Mein erstes Gesuch an den Vicekönig um Heirathsbewilligung wurde nicht genehmigt. Nun nahm sich mein theurer Freund de Saive der Angelegenheit ernstlich an, wartete einen günstigen Augenblick ab, in welchem er den Prinzen in einer recht guten Stimmung fand und erwirkte so die gewünschte Erlaubniß zu meiner Verbindung. De Saive traute übrigens der Entschiedenheit meines Charakters zu, daß wenn zu viele[141] Schwierigkeiten gemacht würden, mir eines schönen Tages die Lust kommen könnte, zusammen zu packen, meine Braut mitzunehmen und meiner Stellung bei Hofe Lebewohl zu sagen. Ich hätte dies jetzt um so leichter thun können, als die Zukunft meiner Frau auch durch einiges Vermögen gesichert war.

In frühester Jugend schon hatte ich zwei Dinge gelernt, welche Charakter eines Mannes eine große Selbständigkeit und Festigkeit geben. Sie heißen Entbehren und Arbeiten. Wer diese richtig erfaßt und etwas gelernt hat, wodurch er sich eine Existenz zu gründen im Stande ist, wird niemals ängstlich in die Zukunft blicken. Mit dem Muth, welchen sie uns einflößen, habe ich oft Schritte gethan, welche ein Anderer kaum zu denken wagt, und selbe immer glücklich zum Ziele geführt. Nie beschlich mich die Sorge, durch eine Anstellung meine Zukunft zu decken; ich war mir meiner Kraft bewußt und Arbeit war mir schon zur Lust geworden.

Nun nachdem die ersehnte Erlaubniß des Vicekönigs erfolgt war, ergab sich der Abschluß der Civilehe ohne Schwierigkeit; dagegen begannen erst die Monate lang dauernden Plagereien wegen der kirchlichen Trauung, wobei der Umstand erschwerend wirkte, daß ich Protestant war und demnach eine Verschiedenheit der Religion bestand, weßhalb ganze Stöße Papier verschrieben und bezahlt werden mußten. Endlich riß mir die Geduld. Da mir aus Rücksicht auf meine Schwiegereltern die bloße Civilehe nicht genügte, so machte ich ihnen den Vorschlag, ihre Tochter mit einem wackern alten Onkel als Bevollmächtigten der Eltern und in Begleitung meines Bruders nach München reisen zu lassen. Mein Bruder leitete in München das Nöthige ein, und sobald ich Nachricht erhielt, daß kein weiteres Hinderniß meiner Trauung im Wege stehe – erst später erfuhr ich, daß ich es den loyalen Gesinnungen des vortrefflichen alten Königs Max zu danken hatte – nahm ich Urlaub und eilte nach München, wo ich drei Tage nach meiner Ankunft mit meiner Magdalena Sander kirchlich getraut wurde.

Vor meiner Abreise von Mailand brachte ich mein Bild von der Schlacht bei St. Michael zur Vollendung. Es war[142] trotz so mancher Störungen eines meiner besten Werke und machte meinem gnädigsten Herrn große Freude. Ich war angewiesen, das Bild in einem Saale der Villa Napoleone aufzustellen, als eben ein Theil des Hofes dort versammelt war. Nahezu eine Stunde stand ich so allein vor meinem Bilde und fühlte eine entsetzliche Unzufriedenheit mit meiner Leistung. Plötzlich öffneten sich die Flügelthüren, der Prinz trat mit seiner Gemahlin und übrigen Begleitung ein, verweilte sehr lange vor dem Bilde, erklärte seiner Gemahlin alles und bezeugte seine größte Zufriedenheit. Es konnte mir unter diesen Verhältnissen an Beglückwünschungen nicht fehlen, welche mich nicht rührten, weil sie doch nur das Echo von oben waren. Nachdem der Hof sich entfernt hatte, eilte de Saive noch einmal zurück und sagte: »Das muß Sie doch recht freuen!« – »Ja,« sagte ich, »es freut mich, daß es mir gelungen ist, den Prinzen zu befriedigen; aber wissen Sie, was ich dachte, eh er kam? Ich dachte bei mir selbst: wenn ich nur ein Messer nehmen und das ganze Bild in Stücke schneiden dürfte, um es wieder ganz neu anzufangen, so wäre ich recht froh darüber.« De Saive ging kopfschüttelnd weg und sagte: »O wunderliches Künstlervolk!«

Nur wenige Monate war es uns in München gegönnt unser Glück zu genießen, ein feindseliges Geschick riß mich nur zu bald von meiner geliebten Gattin.

Der Krieg mit Rußland war beschlossen! ich hatte mich verbindlich gemacht, die Befehle des Vicekönigs in München abzuwarten. Man rechnete mit ziemlicher Bestimmtheit darauf, daß er über München kommen würde, später erfuhr ich aber, daß er nach Paris gegangen, und sehr lange war ich in Unkenntniß, was über mich beschlossen sei. Diese Stille fing an mich zu beunruhigen, der Gedanke, der Prinz oder die Offiziere, welche ihn umgaben, könnten glauben, ich habe mich zur rechten Zeit feige mit meiner Gattin davon geschlichen, um mich in Vergessenheit zu bringen, wäre mir unerträglich gewesen, und so schmerzvoll der Gedanke an die baldige Trennung von meiner Gattin war, so überwogen doch meine strengen Begriffe von[143] Ehre und Pflicht alles andere; ich würde es für eine Schande gehalten haben, wenn mich der Prinz ruhig in München gelassen hätte. Doch der Befehl zur Abreise ließ nicht mehr lange auf sich warten.

An einem wunderschönen Maitage machte ich mit meinem lieben Weibchen einen Spaziergang nach dem nahe gelegenen englischen Garten, wir waren aber noch nicht weit gekommen, als wir an einer Brücke Offiziere herannahen sahen. Mein armes Weibchen entfärbte sich, schrak zusammen und sagte: »Ein Adjutant des Vicekönigs! Nun wird's Ernst!« Auf der Mitte der Brücke begegneten wir uns. Nach der ersten Begrüßung redete mich der Adjutant an: »Ich habe Befehle des Prinzen für Sie zur schnellen Abreise.« Somit war das harte Loos entschieden, welches uns für lange Zeit trennte.

Bald nach unserer Trauung fand ich in einer freundlichen Straße Münchens eine recht passende Wohnung. Ich hatte den jüngsten Bruder meiner Frau aus Mailand mitgebracht, er sollte nach dem Wunsche seiner Eltern in München die Schulen besuchen. Ebenso wohnte bei mir meine jüngste Schwester, welche ich aus Ulm hatte kommen lassen, und mein Bruder Heinrich. Unter deren Schutz und der Obhut einer sehr achtbaren nahe verwandten Familie ließ ich mein liebes Weibchen in München zurück und trat am 11. Mai den Marsch in den unheilvollen Feldzug an, aus dem so wenige wiederkehrten.

1

Joseph Rebell, geb. zu Wien 11. Januar 1787, ging 1809 in die Schweiz und von dort nach Mailand, wo er einen Theil des Jahres 1810 und 1811 zubrachte und mancherlei Aufträge für den Prinzen Eugen Beauharnais (z.B. Ansicht der Uebergangsbrücke der französischen Armee in die Lobau) ausführte und Landschaften vom Comersee für Ferd. Artaria in Mailand malte. Rebell ging dann nach Neapel und Rom, erhielt 1824 die Direktorstelle an der kaiserl. Belvedere-Gallerie zu Wien, starb aber schon auf einer Reise zu Dresden 18. Dezember 1828. Vgl. Nagler 1842, XII. 351 und Wurzbach, Biogr. Lexicon 1873, XXV. 78 ff.

Quelle:
Adam, Albrecht: Aus dem Leben eines Schlachtenmalers. Stuttgart 1886, S. 145.
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