Berliner Kunststudien

[28] Der Widerstand meines Vaters war durch den Rat Schnaases wenigstens soweit gebrochen, daß er mir das Studium der Kunstgeschichte gewissermaßen auf Probe gestattete. Ich erbat mir daher vom Braunschweigischen Ministerium Urlaub für ein Jahr und bezog Ostern 1869 zum zweitenmal die Universität Berlin; diesmal mit ganz anderer Freude als vier Jahre vorher als Jurist. Einen eigentlichen kunsthistorischen Dozenten hatte die Berliner Universität zu der Zeit freilich nicht, da Waagen kurz vorher gestorben war, aber ich habe weder damals noch später in Wien überhaupt daran gedacht, kunsthistorische Kollegien zu hören. Ich glaubte nicht etwa, daß ich selbst mich durch Privatstudien und Praxis dafür schon[28] genügend vorbereitet hätte, aber die damaligen Kunsthistoriker, wie Hotho und Eggers in Berlin und wie später in Wien Thausing und Carl von Lützow, rieten selbst davon ab, weil sie annahmen, daß ihre Vorlesungen mir nicht viel mehr nützen könnten. Diese ungenügende Schulung, namentlich nach der philologischen und ästhetischen Seite, habe ich später stets unangenehm empfunden und das Fehlende nie genügend nachholen können, weil ich nach wenigen Jahren schon in eine praktische Tätigkeit hineinkam, die mehr und mehr meine volle Zeit in Anspruch nahm. Dagegen suchte ich mich um so mehr in den Hilfsfächern zu orientieren, namentlich in Archäologie und Geschichte. Die Vorlesungen von Ernst Curtius, die ich hörte, regten mich mehr an als seine Übungen, die sich im wesentlichen darauf beschränkten, daß die Doktoranden für Archäologie ihre Arbeiten zur Erreichung der Doktorwürde vorlasen.

Daneben ließ ich mir die systematische Durcharbeitung der Berliner Sammlungen und den Besuch der kleineren Galerien Norddeutschlands in den Ferien am Herzen liegen, wobei ich jede mögliche Förderung seitens der Museumsleiter hatte.

Namentlich fand ich bei Professor Hotho, der neben dem Kupferstichkabinett provisorisch auch die Leitung der Gemäldegalerie hatte, das größte Entgegenkommen. Hotho war eine liebenswürdige, feinsinnige Natur, voll offenem Sinn für Kunst, wie seine Studien über die Anfänge der niederländischen Malerei beweisen, aber, wie aus der ungeschickten Anlage und fragmentarischen Form dieser kleinen Arbeiten gleichfalls hervorgeht, unpraktisch und weitläufig. Boshafte Kollegen behaupteten von ihm, er sei derjenige gewesen, auf den Hegel das Diktum geprägt habe: nur einer seiner Schüler habe ihn verstanden, und der habe ihn mißverstanden. Aus einer alten wohlhabenden Berliner Familie – sein elterliches Haus lag gleich hinter dem alten Museum, am Monbijou-Platz – hatte er zu Hause wenig erfreuliche Verhältnisse; aber im Museum, in seinen Vereinen, in einem guten[29] Restaurant mit Freunden und Schülern beisammen zu sein und über Kunst zu sprechen, war seine besondere Freude. Fast täglich traf er mich nachmittags, nachdem er im Kupferstichkabinett nachgesehen hatte, ob Briefe für ihn angekommen waren (Aktenstücke gab es ja damals kaum zu erledigen), in der Gemäldegalerie, besprach bald diese, bald jene Abteilung mit mir, und statt zum Essen nach Hause zu gehen, nahm er mich dann gern mit zu Borchardt, dem damals von der bekannten Delikatessenhandlung seit kurzem eingerichteten ersten Restaurant Berlins, wo mir das Essen und Trinken nach dem sonstigen Studentenfutter zu einer Mark vorzüglich mundete.

Nicht weniger herzlich war ich von dem kunsthistorischen Lehrer an der Kunstakademie und dem Polytechnikum, Professor Eggers, aufgenommen, einer von Hotho grundverschiedenen Natur. Kunstschwärmer und Dichter, glänzender Redner und Lehrer, war er in seiner Stellung ganz am rechten Platze, aber kritisches Detailstudium lag ihm fern und war ihm unsympathisch. Er lebte ganz in der modernen Kunst und mit den Künstlern und wußte durch seinen Enthusiasmus und seine Beredsamkeit auch die Freude für alte Kunst in ihnen zu erwecken. Als anspruchsloser Junggeselle lebte er nur für seine Schüler, von denen er fast täglich den einen oder den anderen an seinem gastfreien Mittagstisch bei sich sah; abends war er unter ihnen oder unter seinen Freunden. Eggers war eines der eifrigsten Mitglieder des »Tunnels«, einer Gesellschaft, die in der Mitte des Jahrhunderts bis nach der Zeit des französischen Krieges eine Reihe der ersten Künstler und Literaten Berlins vereinigte. Menzel und Fontane, Eggers und August von Heyden, Försterling und andere fehlten fast in keiner Sitzung und erheiterten, jeder in seiner Art, die zwanglose Vereinigung. Eggers führte mich auch hier ein, aber da ich meine Gesundheit noch immer sehr schonen und mich daher von abendlichen Kneipereien fern halten mußte, habe ich diesen Sitzungen nur wenige Male beigewohnt. Der Mangel an jeder Beredsamkeit und dichterischer Begabung ließ mich hier nicht heimisch werden, waren doch Toaste, humoristische[30] Vorträge in gebundener und ungebundener Rede, Künstlerscherze in Wort und Bild, Pflicht und Aufgabe der Mitglieder, deren ganzes Gebaren damals schon etwas Stereotypes, für den Dritten selbst Gemachtes hatte.

In eine sehr angenehme und anregende Gesellschaft kam ich durch einen Landsmann und entfernten Verwandten, den Maler Rudolf Henneberg, einen ebenso begabten Künstler wie vielseitig gebildeten, lebhaften und amüsanten, vornehm denkenden Kavalier. Ihm verdankte ich die Bekanntschaft mit seinen nächsten Freunden: Ludwig Passini, Gustav Spangenberg, Ludwig Knaus, dem alten Eduard Magnus und anderen, ihm verdanke ich auch, daß ich nicht zu sehr nur auf das Archäologische, historisch Merkwürdige in den Kunstwerken, sondern vor allem auf das eigentlich Künstlerische achtgeben lernte.

Praktisch wußte ich meine Zeichenkünste dadurch zu verbessern, daß ich im Winter abends an Professor Steffecks Aktzeichnen teilnahm. Unter den Mitschülern war Max Liebermann, der es später in der Kunstübung ja etwas weiter gebracht hat als ich!

Gleichzeitig kam ich in Berlin mit dem Kunsthandel in Beziehung, namentlich durch den Restaurator Louis Schmidt, einen in seiner Kunst sorgsamen und tüchtigen, ehrenwerten Mann, der nebenher einen kleinen Handel mit alten Gemälden trieb. Den Anforderungen der wenigen damaligen Sammler Berlins entsprechend, waren es Gemälde zweiter und dritter holländischer Maler, die er zu restaurieren hatte und mit denen er handelte. Er hatte sich für diese Künstler einen sehr guten Blick und gute Kenntnisse angeeignet. Ihm verdanke ich, daß ich auf die Verschiedenheiten der zahlreichen Gesellschaftsmaler, die in der Kunstgeschichte damals unter dem Gattungsnamen Anton Palamedes gingen, der Landschafter unter der Bezeichnung Jan van Goyen, einer anderen Gruppe unter Jacob Ruisdaels Namen, aufmerksam wurde, daß ich nun eine ganze Reihe verschiedener Maler darin unterscheiden lernte und dadurch mein Auge auf die Erkennung der Eigenart der Künstler[31] überhaupt rechtzeitig einübte. In den wenigen Privatsammlungen Berlins, beim Sänger Koser, bei einem Engländer namens Nicholson und anderen, in den Sammlungen von Friesen in Dresden, A. Thieme in Leipzig, Wesselhoeft, Amsing und Hudtwalker in Hamburg, wie in den öffentlichen Galerien Norddeutschlands, die ich von Berlin aus fleißig besuchte, hatte ich die beste Gelegenheit, gerade jene zahlreichen bisher verkannten holländischen Kleinmeister kennen und unterscheiden zu lernen, die in allen diesen Sammlungen noch unter falschen Sammelnamen gingen.

Nach Ablauf der beiden Semester, in denen ich an der Berliner Universität als Hörer eingeschrieben war, hätte ich nach Braunschweig in den juristischen Staatsdienst zurückkehren oder meinen Urlaub verlängern lassen müssen. Ich selbst scheine daran nicht gedacht zu haben, wurde aber auch von meiner vorgesetzten Behörde nicht zurückberufen, so daß ich noch heute Anspruch auf den Titel »Herzoglich Braunschweigischer Auditor auf Urlaub« habe. Die Vorlesungen in Berlin und die Sammlungen dort boten mir vorderhand keine Gelegenheit, meine Kenntnisse noch in gewünschter Weise zu bereichern.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 28-32.
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