Besichtigung der kgl. Schlösser mit dem Kronprinzen

[67] Mitte September war der Kronprinz nach Berlin zurückgekommen. Da inzwischen auch Meyers Ernennung zum Galeriedirektor erfolgt war, forderte uns der Protektor auf, die Kgl. Schlösser mit ihm zu besuchen, um die Gemälde behufs einer eventuellen Auswahl für die Museen durchzusehen. Der Kronprinz, der seine Schlösser und ihre Kunstschätze ausgezeichnet kannte, machte den Führer und war dabei unermüdlich. Am Morgen sahen wir Sanssouci, am Nachmittag das Neue Palais und das Stadtschloß, jeden Raum bis auf den Boden hinauf. Im Neuen Palais, wo das kronprinzliche Paar seine Sommerresidenz hatte, schloß sich uns auch die Frau Kronprinzessin eine Zeitlang an. Sie meinte, in den Schlössern sei für unsere Galerie nicht viel zu holen. Die Rubens und van Dyck wären ja alle falsch, und die französischen Bilder hätte man vor dem Kriege in Paris verkaufen sollen; die könnten ja gar nicht als Kunstwerke gelten. Von dieser Abneigung gegen die Rokoko-Kunst, die die hohe Frau stets beibehalten hat, konnte unsere Galerie bald darauf Nutzen ziehen. Die kronprinzlichen Herrschaften hatten 1873 Augsburg besucht und beim Absuchen der kleinen Antiquitätenläden hatte einer der Kammerherren ein Bild von Greuze entdeckt, das er um 10 Taler für die Kronprinzessin erwarb. Diese war wenig erbaut darüber und schickte uns das Bild als Geschenk für die Galerie. Wir ließen[67] es restaurieren, von den Übermalungen befreien und taten es in einen reizenden gleichzeitigen alten Rahmen, der sich im Magazin befand. In dieser neuen Herrichtung zeigte ich das Bild der Frau Kronprinzessin bei einem späteren Besuche in der Galerie. Sie wollte es erst nicht glauben, daß es dasselbe. Bild sei und war schließlich sehr ärgerlich, daß sie es nicht behalten habe. Hätte sie ahnen können, daß es echt und so hübsch sei, so hätte sie es wahrhaftig selbst behalten.

An einem zweiten Tage setzten wir die Durchsicht der Bilder im Berliner Schloß fort, wieder unter Beteiligung des Kronprinzen, der uns jeden Raum zugänglich machte. Auf Grund dieser und einiger weiterer Besichtigungen der Schlösser, die ich allein ausführte, verfaßte ich auf Wunsch des Kronprinzen ein Verzeichnis aller besseren Bilder älterer Meister in den Schlössern von Berlin und Potsdam und dann, für unseren Zweck, ein Verzeichnis der etwa sechzig Gemälde, die mir als Leihgabe für unsere Galerie als besonders wünschenswert erschienen. Der Kronprinz hatte inzwischen mit dem Kaiser deswegen gesprochen und bei ihm das größte Entgegenkommen für unsere Wünsche gefunden. Als ich im Oktober, kurz vor unserer Abreise nach Italien, mein Promemoria an den Generaldirektor zur Weiterbeförderung einreichte, durften wir daher auf die allerhöchste Zustimmung rechnen. Allein wir hatten die Rechnung ohne Graf Usedom gemacht! Durch die günstige Äußerung Sr. Majestät übermütig gemacht, reichte dieser, obgleich ich in meinem Schreiben ausdrücklich betont hatte, daß nur eine beschränkte, genau bezeichnete Auswahl aus den Bildern der Kgl. Schlösser für unsere Galerie geeignet wäre, und daß die zweite nahezu vollständige Liste von vielen hundert Bildern nur zum Gebrauch für S.K.u.K. Hoheit den Kronprinzen berechnet sei, doch diese letztere Liste ein, die er seinem Antrag an den Kaiser zugrunde legte. Der Hofmarschall, dem dieses Schriftstück zur Begutachtung vorgelegt wurde, hatte daher leichtes Spiel, S. Majestät zu überzeugen, daß dadurch die Schlösser ihres notwendigen Bilderschmuckes beraubt werden würden, ja daß z.B. im Stadtschloß zu Potsdam,[68] wo die Bilder mit den Wandeinrahmungen verbunden seien, die Innendekoration dieses Schlosses Friedrichs d. Gr. geradezu zerstört werden würde. Wir wurden daher, wie uns Graf Usedom nach einiger Zeit nach Italien ohne ein Wort des Bedauerns mitteilte, einfach ablehnend beschieden. Später in der kurzen Regierungszeit Kaiser Friedrichs darauf zurückzukommen, verhinderte die schwere Krankheit des Monarchen.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 67-69.
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