Der »falsche« Rubens

[184] Wie wenig wir mit allem, was wir im Laufe von fünf bis sechs Jahren für die Sammlungen getan hatten, den Dank des großen Publikums ernteten, zeigte bald darauf der Skandal wegen des »falschen Rubens«, wenigstens wenn man die Zeitungen als den Ausdruck der öffentlichen Meinung in Berlin ansehen will. Wir hatten mit der Sammlung Suermondt eine Anzahl kleiner Bilder erworben, die Suermondt Ende der sechziger Jahre von Graf Schönborn in Wien gekauft hatte, darunter ein Porträt des jüngeren Hans Holbein und einen sehr feinen A. van de Velde. Durch den Bruder unseres Kollegen Lippmann erfuhren wir schon im Winter 1879/80, daß der Graf Schönborn wieder Geld nötig habe und daher verkaufslustig sei. Herr von Lippmann erbot sich, eventuell für uns wegen weiterer Erwerbungen zu unterhandeln. Ich gab daraufhin ein Gutachten über die wichtigsten Bilder der Sammlung ab, von der ich zehn Jahre vorher für mich einen Katalog gemacht hatte. Besonders empfahl ich das Gegenstück unseres Holbein-Porträts, den großen Neptun von Rubens, ein ähnliches umfangreiches Gemälde von Jordaens und ein paar Bilder erster holländischer und vlämischer Kleinmeister, deren Gesamtwert ich – soviel ich mich erinnere – auf etwa 100000 Gulden schätzte.

Im Ministerium interessierte sich der damalige Unterstaatssekretär und spätere Kultusminister von Goßler lebhaft für den Ankauf, namentlich für die Erwerbung des[184] Rubens, nachdem er ihn bei einem Aufenthalt in Wien selbst kennengelernt hatte. Dagegen war die Frau Kronprinzessin entschieden gegen den Ankauf gerade dieses Bildes, weil der Maler H. von Angeli sich ihr gegenüber ungünstig darüber geäußert hatte. Am Kronprinzlichen Hofe machte sich der Einfluß der Maler, die der Kronprinzessin bei ihren Malstudien zur Seite standen, gerade in jenen Jahren recht erschwerend bei unseren Bemühungen um die Vermehrung der Bildersammlung geltend. Neben Angeli, der durch seinen übermütigen Wiener Humor schließlich die Oberhand behielt, waren A. von Werner und eine Zeitlang Lenbach besonders wohl gelitten und einflußreich. Letzterer hatte kurz vorher die Anschaffung einer alten Kopie des Zwerges von Velasquez im Prado-Museum, die sein Wiener Freund, Restaurator und Sammler Penther, in Spanien gekauft hatte, so energisch bei der Kronprinzessin als das »schöne Original« empfohlen, daß wir das Bild um 20000 Mark hatten erwerben müssen. Angeli, der innerlich Lenbach wenig freundlich gesinnt war, erklärte das Gemälde für einen »Schmarren« und stimmte mit der Zeit selbst die Kronprinzessin gegen diesen ihren ei gensten Kauf um. Sein Widerspruch gegen den Schönbornschen Rubens verhinderte aber dessen Ankauf nicht, sondern verzögerte ihn nur, obgleich auch ich mich seinen Bedenken anschloß, nachdem ich das Bild wiedergesehen und genau geprüft hatte, und nachdem durch ungeschickte und gar zu offizielle Verhandlungen mit dem Besitzer dessen Prätensionen in bezug auf den Preis sehr gesteigert waren.

Ich hatte nur einen Gesamtkauf empfohlen, schließlich kam aber die Kommission, die zur Prüfung der Bilder nach Wien geschickt wurde: Direktor Meyer und der Maler und Sachverständige unserer Galerie, Gustav Spangenberg, auf den Rubens allein und empfahl ihn zu einem Preise, zu dem ich den Ankauf sämtlicher Bilder angeraten hatte. In einer Sitzung der Sachverständigen-Kommission, der ich nicht angehörte, wurde Ende des Jahres 1880 die Erwerbung des Bildes einstimmig beschlossen. Der Generaldirektor[185] Schoene suchte mich persönlich auf, um mich zu bestimmen, meine Bedenken gegen den Kauf fallen zu lassen. Ich mußte ihm aber erklären, daß mir der Preis für ein frühes, in der Färbung noch herbes, etwas nüchternes Bild von Rubens zu hoch erschiene, daß ich daher das Einhandeln des Holbein, des großen Jordaens u.a. Bilder der Sammlung in den Kauf für notwendig hielte. Der Handel war aber leider schon perfekt, das Bild wurde Anfang Februar 1881 nach Berlin gebracht, die Zeitungen in Wien ergingen sich in Schmähungen gegen den Verkäufer und die Wiener Kunsthistoriker unter Professor von Lützows Führung bereiteten ein Entrüstungsmeeting vor.

Da kam vom jungen, durch den Kaiserlichen wie den Kronprinzlichen Hof verhätschelten Direktor der Akademie Anton von Werner ein kalter Wasserstrahl in die allgemeine Begeisterung der ersten Tage und der offiziellen Besucher. Werner erklärte das Bild in einer Berliner Zeitung für »eine Fälschung«, und zwar für eine gänzlich wertlose. Es sei ein Skandal, daß ein Kunsthistoriker wie ich, der von Malerei nichts verstehe, die Erwerbungen der Galerie leite. In mehreren Artikeln der »Post« unterstützte der Redakteur dieser Zeitung, Dr. Rosenberg, die Angriffe in gleich rücksichtsloser Weise und mit derselben Spitze gegen mich. Sofort war jedermann auf seiten der Angreifer, selbst die Wiener Welt, die eben noch den »Neptun« für den herrlichsten Rubens, den Wien besessen habe, erklärt hatte. In der Museumsverwaltung und im Ministerium, wo man eines glänzenden Erfolges sicher zu sein glaubte, erzeugte diese allgemeine Entrüstung ein vollständiges Debacle. Meyer wurde krank und verschwand in Urlaub, die Maler der Kommission, die den Ankauf am meisten betrieben hatten, schwiegen sich aus. Erst nach etwa acht Wochen ließen sie sich zu einer kurzen farblosen Erklärung bestimmen.

Der Minister nahm daher mein Anerbieten, sofort in die Bresche zu springen, mit Dank an. In den »Preußischen Jahrbüchern« (Bd. 47, 1881) widerlegte ich Werners und Rosenbergs[186] Angriffe. Diese hatten es mir allerdings leicht gemacht, indem beide ebenso wie ihre Nachschwätzer das Bild für eine Fälschung des neunzehnten Jahrhunderts an den Pranger gestellt hatten, statt es als ein Jugendwerk von geringer malerischer Wirkung und gewisser akademischer Schablone in Anordnung und Formengebung zu charakterisieren und den Ankauf überhaupt als überflüssig zu bezeichnen. Ich konnte nachweisen, daß unser Bild schon im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts bekannt und berühmt gewesen sei, ja, bald darauf fand ich sogar eine Kopie des Bildes von David Teniers. Ich machte auch darauf aufmerksam, daß unser Rubens das Gegenstück des berühmten Vierflüssebildes im Belvedere sei und mit den meisten Gemälden, die der Meister in den ersten Jahren nach seiner Italienreise gemalt habe, übereinstimme. Aber in der öffentlichen Meinung halfen mir diese Hinweise so gut wie gar nicht, »der Rubens-Spezialist« Rosenberg (der nach allen Rubens-Studien zwanzig Jahre später die schwache Rubens-Publikation in den »Klassikern der Kunst« veröffentlichte) erklärte ja das Gegenteil.

Bei allen ruhig Urteilenden jedoch und besonders bei meinen Vorgesetzten hatte mein energisches Ein treten für den Ankauf den günstigsten Eindruck gemacht. Und die Schmähungen, in denen die Gegner auf meine Gründe replizierten, trugen weiter dazu bei, eine Beruhigung herbeizuführen und das Vertrauen in unsere Museumsverwaltung, statt es zu schwächen, gerade zu stärken. Meine Stellung am Museum, insbesondere an der Galerie, war dadurch mit einem Schlage eine ganz andere geworden. Noch im Jahre vorher, gelegentlich der Jubelfeier der Museen, hatte man meine achtjährigen Dienste, in denen ich die Arbeit an beiden Sammlungen fast allein zu machen hatte, genügend damit zu lohnen geglaubt, daß man mir den Titel Direktor gab, mich aber weiter als Assistent an der Gemäldegalerie besoldete und mich obendrein noch verpflichtete, die Abteilung der christlichen Plastik zu leiten. Von jetzt ab behandelte man mich als den eigentlichen Leiter auch der Gemäldegalerie, und im folgenden[187] Jahre wurde ich ausdrücklich zum zweiten Direktor mit vollem Gehalt ernannt. Meyer blieb zwar bis zum Ende der achtziger Jahre auf dem Posten, aber seine Stellung war nur noch eine repräsentative. In die wichtigen Angelegenheiten, namentlich in die Ankäufe, mischte er sich nur ausnahmsweise ein. Leider waren damals aber bereits die besten Chancen für eine gute und zugleich billige Vermehrung, namentlich der klassischen italienischen Malerei, versäumt.

Inzwischen hatte ich auch eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten im »Jahrbuch«, in den von mir mitbegründeten Wiener »Graphischen Künsten« und in der »Zeitschrift für bildende Kunst« veröffentlicht, die zwar (wie der Aufsatz über »Rembrandts Jugendwerke«) gelegentlich heftige Opposition fanden, denen ich aber durch meine Repliken allgemeine Anerkennung verschaffen konnte. Gleichzeitig war es mir bei wiederholten Besuchen der kleineren Museen gelungen, auf die Leitung dieser Galerien Einfluß zu gewinnen, selbst ohne es zu wollen. Man berief mich zur Bestimmung oder Publikation einzelner Sammlungen bald hierhin, bald dorthin. Ich begann damals die Publikation der kleineren deutschen Gemäldesammlungen in den »Graphischen Künsten«. Bei den Neubauten oder bei Neugestaltungen von Kunstsammlungen, für die sich allmählich das Interesse in ganz Deutschland regte, wurde ich um Rat gefragt. Zum Teil hatte ich dabei Erfolg. So freue ich mich, daß ich in Braunschweig das Sammeln des Fürstenberger Porzellans fast erzwungen habe, und daß ich später Lichtwark auf die Chance für die Bildung einer Sammlung Althamburger Kunst hinweisen und ihm dabei wesentliche Dienste leisten konnte. Dagegen habe ich an einem Platze, wo man besonderen Wert auf meinen Rat und meine Hilfe legte, in Hannover, nur selten das erreichen können, was ich anstrebte. Als ich Anfang Februar 1881 auf Wunsch des Herrn von Bennigsen in Hannover war, um wegen Zusammenlegung verschiedener Sammlungen Rücksprache zu nehmen, fand ich nichts vorbereitet. Herr von Bennigsen, der Studienrat Müller, der Sammler Culemann (mit dessen Neffen[188] ich aufgewachsen war) und der Oberpräsident von Leipziger (ein Freund meines Onkels in Langenstein), welche die verschiedenen Sammlungen vertraten, mißtrauten einer dem andern und wollten nichts von ihrer Selbständigkeit aufgeben. Später wurde ich noch wiederholt um Rat gebeten. Durch ein Gutachten über den Kunstnachlaß Culemanns, das ich über Nacht für Fürst Bismarck machen mußte, konnte ich diese recht gemischten, aber nach verschiedenen Seiten wertvollen Sammlungen durch Ankauf aus dem Welfenfonds für Hannover retten, aber ich konnte nicht verhindern, daß der unsinnige (seither längst verlassene) Eisenpalast für das Provinzialmuseum und der Neubau für das Kestner-Culemann-Museum am neuen Rathaus errichtet wurde. Partikularistische Strömungen und mangelnder Kunstsinn haben trotz großer Aufwendungen eine gesunde Entwicklung der Sammlungen in Hannover, wie sie in einer modernen Stadt von fast 400000 Einwohnern dringend notwendig wäre, verhindert.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 1. Band. Berlin 1930, S. 184-189.
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