Beständig auf Reisen

Weltausstellung in Chicago

[97] Ich war in diesen Jahren seit dem Tode meiner Frau und namentlich seit dem Rücktritt Meyers jährlich monatelang auf Reisen gewesen, in Italien meist zweimal, ebensooft und selbst häufiger noch in London und Paris. Das Jahr 1893 wurde aber das Reisejahr par excellence. Im Frühjahr ging ich zweimal nach Paris, um der Versteigerung Spitzer beizuwohnen, in der ich eine Reihe seltener Plaketten, Medaillen und früher Elfenbeine billig erwarb. Zwischendurch reiste ich nach London und begab mich im April auf ein paar Wochen nach Italien und Wien. Nachdem ich mich zum Besuch der »World's Fair« in Chicago schon entschlossen und mir ein Billett für die Fahrt gesichert hatte, fuhr ich im Juli noch rasch mit Fritz Harck und Hugo von Tschudi nach St. Petersburg, wo ich seit 21 Jahren nicht gewesen war. Auf der Hinreise sahen wir Danzig und die Marienburg und besuchten Graf Dönhoff auf seinem stattlichen, reizend gelegenen Schlosse Friedrichstein[97] unweit Königsberg. In Petersburg wohnte ich bei meinem alten Freunde Peter von Semenow, durch den uns in dem kurzen Aufenthalt von acht Tagen alle Kunstschätze auf das bequemste zugänglich gemacht wurden. In seinem weiträumigen alten Hause hatte ich Gelegenheit, seine umfangreiche Sammlung holländischer und vlämischer Gemälde des 16. und 17. Jahrhunderts genau zu studieren.

Bald nach unserer Rückkehr machte ich mich auf den Weg nach Amerika, vor allem, um mich dort nach Bildern alter Kunst, namentlich nach Gemälden von Rembrandt für meine Publikation umzusehen. Meine Hoffnung, daß ich als Kommissar hinübergeschickt würde, erfüllte sich nicht. Von den Museen wurde J. Lessing, für die Reichsdruckerei Kollege Lippmann beauftragt. Beide waren schon vor mir gereist. Nach kurzer Orientierung in New York fuhr ich direkt nach Chicago, wo ich den bequemsten Überblick über den Stand von Kunst und Kunstgewerbe zu gewinnen hoffte. Als ich in dem Hotel Auditorium in Chicago ankam, erkundigte ich mich nach dem Zimmer, das unser Konsul für mich bestellt hatte. Man wollte nichts davon wissen. Vielleicht würde bis zum Abend (es war früher Morgen) ein Zimmer frei. Noch eine ganze Reihe von Mitreisenden war in der gleichen angenehmen Lage! Um meine Zeit nicht zu verlieren, schlug ich den Weg zur Ausstellung ein. In dem überfüllten Coupé der Stadtbahn machte mir ein junger Herr freundlich Platz, und als ich in einem Katalog der amerikanischen Kunstabteilung zu blättern begann, fragte mich mein Nachbar, ob ich besonderes Interesse für amerikanische Kunst habe. Ein Wort gab das andere, so daß wir uns schließlich gegenseitig vorstellten. Ich war gerade mit dem Kunstkomitee der Ausstellung zusammengetroffen. Die Herren ließen es sich nicht nehmen, mir einen allgemeinen Überblick über die Haupträume der Ausstellung zu geben. Ich mußte bis zur sinkenden Nacht mit ihnen zusammen bleiben, und so oft ich versicherte, ich müsse nun endlich fort, um zu sehen, ob ich ein Zimmer bekäme, hieß es, ich hätte keine Eile. Einer der[98] Herren, Mr. Charles Hamill, würde mit mir fahren. Endlich fuhren wir und hielten vor einer stattlichen Villa, in die ich Herrn Hamill einen Augenblick begleiten sollte. Als ich mich in dem Zimmer umsah, stand ich inmitten meiner Sachen, die der Sohn des Hauses mittlerweile vom Hotel hereingeholt hatte. Durch zehn oder zwölf Tage war ich der Gast dieser Familie, deren liebenswürdige kunstsinnige Mitglieder mir den Aufenthalt außerordentlich genußreich machten. Solange ich in Amerika war, habe ich dieselbe großartige und doch gar nicht aufdringliche Gastfreundschaft genossen. In Chicago machte ich die Bekanntschaft von Sir William van Horne, dem bekannten Direktor der Canadian Pacificbahn. Ich folgte seiner Einladung nach Montreal und wurde von ihm zu den dortigen Sammlern gebracht. In Boston war ich einen Tag bei meinem alten Bekannten, Mr. Quincy Shaw. In New York waren meine Verwandten Degeners meine Wirte, und von dort holten mich verschiedene meiner neuen Freunde in Chicago zu einem Besuch nach Philadelphia, Baltimore und Washington ab. Unter so ausgezeichneter Führung konnte ich meine Zeit gründlich ausnutzen und lernte Amerika und seine Kunstfreunde von der allergünstigsten Seite kennen.

Die »World's Fair« machte mir einen sehr günstigen Eindruck, besonders im Vergleich mit den beiden Weltausstellungen, die ich in Paris gesehen hatte. Aus dem wüsten Strand zwischen dem Michigan-See und der Stadt hatte man durch künstliche Teiche und Anlagen, zwischen denen die Ausstellungspaläste verteilt und mit überreichem, plastischem Schmuck umgeben waren, ein imposantes Ganze geschaffen, das sich namentlich nachts bei reicher elektrischer Beleuchtung wahrhaft feenhaft ausnahm. Die meisten Bauten waren im Stil der italienischen Hochrenaissance gehalten, einige in vornehmer, origineller Weise. Am eigenartigsten erschien mir das Transportation Building, in großzügigem, romanischem Stil mit reicher Farbenwirkung durch Mosaikschmuck, während sonst die damals in den Vereinigten Staaten grassierende Imitation des[99] romanischen Stils, namentlich für Villen, einen wenig erfreulichen Eindruck machte.

Das amerikanische Kunsthandwerk hatte für uns Deutsche damals etwas Überraschendes und Beste chendes. Ohne Anschluß an bestimmte alte Stile hatte die Firma Louis C. Tiffany Geräte, Schmucksachen u.a. geliefert, die durch ihre Zweckmäßigkeit, durch die außerordentliche Beherrschung der Technik, das schöne Material und die reichen Farben fesselten. Ganz besonders galt das von der mannigfachen Anwendung des stained glass, einer Erfindung des tüchtigen Malers John Lafarge, die Tiffany in vielseitiger Weise ausgestaltet hatte. Ich gestehe, daß, als ich kürzlich, 18 Jahre später, noch einmal die Vereinigten Staaten besuchte, die Entwicklung trotz der verschiedenen, reichdotierten Kunstschulen, die inzwischen gestiftet waren, mir keineswegs das gehalten zu haben schien, was sie damals versprach. Die Freude am schönen Material hat sich in Prachtliebe verwandelt, durch die auch der Sinn für zweckmäßige, edle Form vielfach verlorengegangen ist. Auch die hohe Kunst hat in der Zwischenzeit keine wesentlichen Fortschritte gemacht. Whistler ist gestorben und Sargent noch stärker französisiert. Selbst die ältere Landschafterschule mit Innes an der Spitze hatte trotz des Einflusses, den sie von der Barbizon-Schule erhielt, mehr amerikanischen Charakter als heute die modernen Landschafter, die weit stärker von den Franzosen abhängig sind.

Vor Mitte Oktober war ich wieder zurück in Berlin. Die Heimreise auf einem kleinen Schiff des Bre mer Lloyd gestaltete sich sehr stürmisch. Während ich sonst seetüchtig bin, fühlte ich mich diesmal gar nicht behaglich. Eines Tages sah ich meinen amerikanischen Bekannten trübselig beim Pokern zu. Da wurde mir plötzlich so elend, daß ich schleunigst nach unten in meine Kabine stürzte. Ich »erreichte den Hof mit Müh' und Not«, aber kaum war ich in der Kabine, als die Explosion schon in furchtbarster Weise erfolgte. Wie ich endlich etwas zu Bewußtsein kam und wieder aus den Augen sehen konnte, erschien mir die Kabine fremd. Ich sah näher zu und[100] – richtig: ich war in der Kabine des Nachbars! Entsetzt und doch voll teuflischer Freude schlüpfte ich hinaus in meine eigene Kabine und lag nach wenigen Minuten in meinem sauberen, warmen Bett und schlief zwölf Stunden durch – so fest, daß ich nicht einmal von der Entrüstung des Nachbars etwas hörte, als er spät abends von seiner Pokerpartie herunterkam, und die freundliche Bescherung in seiner Kabine entdeckte! Von diesem Tage ab fühlte ich mich pudelwohl.

Quelle:
Bode, Wilhelm von: Mein Leben. 2 Bde, 2. Band. Berlin 1930, S. 97-101.
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