Die Verwertung des Aktstudiums für andere Zweige der Malerei.

[57] In den nächsten Kapiteln über Landschaft, Tiere etc. werde ich immer wieder hervorheben, daß ich alle diese Arten im Studium vom Akte herleite. Hier will ich speziell eine allgemeine Übersicht für diese Behauptung hinstellen. Durch die Feinheiten und Verschiedenheiten, die man im Studium des menschlichen Körpers erlernt – wie Licht und Schatten (die Tonwerte) beobachtet werden müssen, wie die Ähnlichkeit hervorgehoben werden muß –, wird man dieses Können auch für Tiere und Landschaft nutzbringend verwenden können.

In erster Linie soll der Akt nicht als Mensch, sondern als reiner Gegenstand angesehen werden. Wenn man ihn auf diese Weise als eine Sache, die sich in der Schöpfung in anderer Form, aber immer unter derselben Anschauung wiederholen kann, ansieht, wird auch eine neue Form fruchtbringend ausgenutzt werden können.

Tiere sind ja nicht so sehr vom Menschen verschieden, als daß man nicht z.B. durch die vergleichende Anatomie von[58] der beiderseitigen Ähnlichkeit immer wieder neu überrascht werden würde.

Natürlich handelt es sich hier immer wieder rein vom Studium aller Gegenstände; nicht um die Pflege einer Spezialität, die von dem reiferen Künstler als sein Eigenstes ausgeübt wird.

In der Landschaft lernt man ebenso die verschiedenen Schwierigkeiten auseinander zu halten. Wäre doch der Stamm des Baumes mit dem Rumpf des menschlichen Körpers vergleichbar, die Äste und Blätter mit den Gliedern und den Haaren. Dazu kommt, daß man durch das Studieren der Tonwerte hier auch durch Vernunftgründe Licht und Schatten und deren Stärke ebenfalls auseinander zu halten fähig sein wird. Die Verkürzung der einzelnen Gliedmaßen lehrt uns ebenfalls entgegenstehende Äste mit ihren Blätterpartien vor- und rückwärts strebend darstellen zu können. Dasselbe ist von der Zeichnung der Wege anzunehmen, die in ihren Verschiebungen sich in den Horizont verjüngen.

Hauptsächlich aber wird man durch das Studium des menschlichen Körpers darauf gestoßen werden, daß man nicht beliebige Stämme, Wege und Gegenstände, die dort vorhanden sind, schematisch darstellt, sondern den bestimmten Baum, den bestimmten Weg usw. porträtähnlich. Ebenso verhält es sich dann auch mit Gegenständen, die als Stilleben zusammengestellt sind.

Das Weitere werden wir dann in den nächsten Kapiteln angeführt finden. Hier wollte ich nur durch diese Zeilen auf die Wichtigkeit des Aktstudiums für andere Gegenstände hinweisen.

Quelle:
Corinth, Lovis: Das Erlernen der Malerei. Berlin: Bruno Cassirer, 1920, S. 57-59.
Lizenz:
Kategorien: