Nur eine ganz kurze Geschichte

[188] Fast unmittelbar an jene Friedensnacht reiht sich die Erinnerung an ein Erlebnis anderer Art, das die Hummelshayner Physiognomie für kurze Zeit sehr wesentlich veränderte. Der Erbgroßherzog von Weimar machte nämlich mit seiner Gemahlin einen mehrtägigen Aufenthalt bei Ziegesars, womit, wenn ich nicht irre, die Frau Erbgroßherzogin noch den Nebenzweck verband, sich von meinem Vater malen zu lassen. Da prangte das Schloß in Blumen und Girlanden, die Herren in Uniformen, die Dienerschaft in Tressen, und wir Kinder traten in den Hintergrund. Wir waren von den Tafeln ausgeschlossen und durften überhaupt nur wenig sichtbar werden, denn die Hofetikette läßt die Kindlein fernbleiben. Auch hatten wir gar kein Verlangen, vorzutreten, und waren ganz zufrieden, uns hinter den Kulissen von den angenehmen Schnippelbrocken zu ernähren, die uns die Tante reichlich zukommen ließ.

Inzwischen geschah es, daß die Frau Erbgroßherzogin uns eines Tages ganz privatim zu sich befahl. Uns allen, und besonders mir mit meiner Senffschen Natürlichkeit, war wenig an dieser Ehre gelegen; aber die Güte, mit der wir empfangen wurden, die milde Schönheit und der ganze feine kaiserliche Nimbus der hohen Frau versöhnten uns in solchem Grade, daß wir höchstderselben alles übrige verziehen hätten, wenn wir darum angegangen worden wären.

Der Erbgroßherzog dagegen würde sich wahrscheinlich in keiner Weise um uns gekümmert haben, wenn nicht einer von uns genötigt worden wäre, sich ganz unwillkürlich selber vorzustellen. Das ging so zu:

Nachdem wir Kinder aus respektvoller Entfernung Zeugen vom ersten Empfange der hohen Herrschaften gewesen waren, hatte sich eins von uns in der Freudigkeit seines Herzens veranlaßt gefunden, ein Asyl aufzusuchen, dessen notwendige Existenz ein offenkundiges Geheimnis in allen Häusern ist. Da er aber vergessen hatte, den Riegel vorzuschieben, so konnte es geschehen, daß ihn ein Kammerdiener überraschte, der hohen Besuch vermeldete. Der erschrockene Junge wollte entwischen, wie er eben war, aber der rasch eintretende Fürst hielt ihn zurück und fing in dem geräumigen Gemach sogleich zu konversieren an. Aufs wohlwollendste fragte er nach Namen, Alter und Aussichten, und ob man diesen Ort oft zu besuchen pflege.

Es gibt so manche Parallelen zwischen den höchsten und niedrigsten Ständen, unter denen die Unbefangenheit in natürlichen Dingen obenan steht. Diese Unbefangenheit hatte den überraschten Neuling schnell zutraulich gemacht, und während beide auf entgegengesetzte Weise mit ihrer Toilette beschäftigt waren, ging die Unterhaltung leicht und gut[189] vonstatten. Ich hatte übrigens den Vorteil von dieser improvisierten Audienz, daß mir bei anderweitigen zufälligen Begegnungen als altem Bekannten freundlich zugenickt wurde.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 188-190.
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