Die Reiseabenteuer gehen zu Ende

[397] Die weitere Rückreise war bequem genug. Die Hohensteiner Freunde ließen es sich nicht nehmen, mein Gepäck zu tragen, und begleiteten mich drei oder vier Wegstunden weit, bis nahe an die Tore der Fabrikstadt[397] Chemnitz, sie wurden nicht müde, von ihrem geistlichen Vater und Propheten, dem alten Steffan, zu erzählen, von seiner Glaubensstärke, seiner Demut und Liebe, wie auch von dem Spott und der Verachtung, welche er, wie sie selber, von ihren aufgeklärten Mitbürgern zu erleiden hatten. Doch schienen sie damit ganz zufrieden und fanden es selbstverständlich, daß sie als Knechte Christi an der Schmach ihres Herrn und Meisters Anteil hätten.

Zum besseren Fortkommen auf dem Wege zur Seligkeit schenkten mir die Freunde, ehe wir schieden, noch einen gedruckten, in Bunyans Geschmacke abgefaßten Reisepaß, anscheinend vom Herrn des Himmels selber ausgestellt. Darinnen war in wohlgemeinten, wenn auch etwas ungeschickten Versen die Signatur eines richtigen Christen vielleicht ganz richtig angegeben; wenn aber das Wörtlein Paß von passen kommt, so mußte ich mir gestehen, daß diese Beschreibung wenigstens auf mich nicht paßte und jeder gewissenhafte Gendarm mich darauf hätte festnehmen müssen. So hätte ich Sorge tragen müssen, die angegebenen Kennzeichen in mir wahrzunehmen; aber es fehlte mir die Einfalt, mich an solchen religiösen Spielereien ernsthaft zu erbauen.

Der alte Steffan hatte es mir zur Pflicht gemacht, in Chemnitz Schuberts Schwester aufzusuchen, die an den dortigen Bürgermeister Wirth verheiratet sei, was ich nicht wußte. Ich wollte nur im Vorübergehen grüßen, aber die liebenswürdigen Menschen schienen ihren wirtlichen Namen mit der Tat bewähren zu wollen. Ich mußte an meine Eltern schreiben, daß ich hier einige Tage rasten würde, und nun alles sehen, was Chemnitz und seine Umgegend an Herrlichkeiten aufzuweisen hatte. Dergleichen vergißt sich wieder, aber die wohltuende Herzlichkeit meiner lieben Wirte ist mir in lebendiger und dankbarer Erinnerung geblieben.

Mit Butterbrot und kalter Küche ausgestattet, schied ich am dritten Tage und richtete meine Schritte zunächst auf das romantisch gelegene Augustusburg, in dessen Nähe mich ein einsamer Musterreiter einholte. Der grüßte höflich und knüpfte ein Gespräch an. Da er des Reitens müde war, wie ich des Gehens, so bot er mir einen Tausch an, infolgedessen ich mich auf den Rücken seines Pferdes und er sich meinen Ranzen auf den eigenen schwang. Ob er sich seiner Sicherheit wegen dieser Ranzenunbequemlichkeit unterzogen hatte oder nur sein Pferd erleichtern wollte, das schon einen tüchtigen Mantelsack trug, weiß ich nicht;[398] das aber weiß ich, daß ich so glücklich wie ein König hoch zu Rosse saß und mit des anderen Benehmen außerordentlich zufrieden war.

Aus dem allem erfolgte übrigens weiter nichts, als daß wir ein paar Stunden lang in großem Frieden nebeneinander herzogen, bis wir nach dem Städtlein Öderan gelangten, wo wir auf den Vorschlag meines Begleiters in einer ziemlich ordinären Kneipe, der sogenannten Garküche, einkehrten. Der Wirt, ein behäbiger Mann in Hemdärmeln und gestrickter Zipfelmütze, empfing uns vor der Haustüre und führte uns ins große Gastzimmer. Es war gerade Zeit zum Abendessen, und wir speisten mit der Wirtsfamilie Nierenbraten mit geschmorten Pflaumen, Butterbrot und Käse, und dazu ward noch zum Überflusse Flöhaer Bier geschenkt, was damals hochberühmt war. Ich war sehr guter Dinge und erzählte von meinen Reisebegebenheiten, namentlich vom alten Steffan, dessen Wesen in mir den tiefsten Eindruck hinterlassen hatte. Die ganze Gesellschaft hörte mit sichtlicher Erbauung zu, selbst die Kinder des Wirtes hingen mit runden Augen an meinem Munde, und immer mehr wollte man hören von dem kranken Leineweber, der trotz seiner Schmerzen und seiner Bettelarmut doch so vergnügt in seinem Gott war.

Um neun Uhr brachte der Wirt mich auf mein Zimmer, ein hübsches, weiß gekalktes Kämmerchen mit rein gescheuertem Tisch und Stühlen von Tannenholz und einem appetitlichen Bett, in dem sich's prächtig schlief. Am anderen Morgen erhielt ich in aller Frühe einen guten Kaffee mit frischem Weißbrot. Es war mir gut ergangen in der Garküche; jetzt aber, wo die Reihe ans Liquidieren kam, beschlich mich einige Sorge. Ich hatte ungefragt gut leben müssen und hatte doch in meinem Beutel nur noch sechzehn Groschen, bis Dresden aber wenigstens noch acht Meilen. Ich griff indessen in die Tasche wie ein Reicher und fragte nach meiner Rechnung.

»Zwei Groschen und acht Pfennige«, sagte der Wirt, »wenn es dem jungen Herrn nicht zu viel ist.« Das war es nicht. Vielmehr war dies die wohlfeilste Zeche, die ich je zu zahlen hatte, und fast muß ich glauben, daß der wohlwollende Wirt mich aus irgendeiner Ursache begünstigt habe, vielleicht der guten Unterhaltung wegen am vergangenen Abend. Wir schieden mit herzlichem Händedruck als gute Freunde, ich dankte für liberale Bewirtung und ließ den Musterreiter grüßen, der hier zurückblieb und noch schlief.

Bei guter Zeit langte ich in Freiberg an und trat bei dem früher schon erwähnten Freunde unseres Hauses, Herrn von Prtzschtnowski, genannt Prestano, ab, der hier für einige Zeit domizilierte. Er war eben im Begriff, mit einem eigenen Fuhrwerk nach Dresden abzugehen, und nahm mich mit. Der Weg ging über Tharandt und Potschappel, an welchem[399] letzteren Orte mein Begleiter mir die Freude machte, mit mir in eine alte verlassene Kohlengrube einzufahren, um mir den Reichtum an Kristallen zu zeigen, welche die Höhlungen der Gänge an manchen Stellen ganz bedeckten und beim Schein der Grubenlichter ein phantastisches Geflimmer machten.

So hatte ich denn Gelegenheit gehabt, auf dieser Reise die Welt von innen und außen anzusehen, und kehrte wohlbehalten zu den Meinigen zurück. Da gab es viel zu erzählen. Die Mutter interessierte sich besonders für meinen Besuch in Hohenstein, von welchem sie Veranlassung nahm, an Steffan zu schreiben. Er antwortete durch seinen Schwiegersohn, den getreuen Uhlich, welcher die Dresdner Jahrmärkte regelmäßig zu besuchen pflegte und Briefe, Segenswünsche und kleine Geschenke hin und her trug, bis er etwa nach Jahresfrist die Todesbotschaft brachte. Der alte Steffan war zu seiner rechten Heimat eingegangen.

Quelle:
Kügelgen, Wilhem von: Jugenderinnerungen eines alten Mannes. Leipzig 1959, S. 397-400.
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