13 [23] Brief an Marie Schnür

Kochel, 17.6.1906


Liebe Schnür ... In der Malerei geht alles seinen guten Gang, – aber langsam, langsam. Es geht so still in mir vor, jeden Tag einen kleinen Ruck ... allmählich lerne ich jetzt mich in die Natur, in die große strenge Natur als – Arbeiter einzuleben; nicht wie früher nur als sehnsüchtiger Lyriker, der in ihr auf einen Widerklang seiner eigenen erotischen Stimmungen horchte. Sie werden wohl noch nicht viel Fertiges antreffen, aber Ansätze, zu deren Erfüllung Sie mir weiterhelfen müssen; erschrecken Sie? Es liegt doch etwas Ernsthaftes, oft fast Feierliches und Beängstigendes darin, wenn zwei Menschen(seelen) so allein zusammen sind, sich gegenüber sitzen und in die Augen sehen. Kommen Sie, kommen Sie! ... Gestern machte ich mit M. [Maria Franck, d. Hrsg.] eine wundervolle Entdeckung: einen märchenhaft schönen einsamen Teich (aus dem wir einen tadellos erhaltenen Hirschkuhschädel zogen). Wie oft sehne ich mich so sehr, auf einer dunklen Geige der Natur vorklagend über diese Höhen wandern zu können; ach warum hat mir das Schicksal diese Kunst verschlossen! Aber ich stürbe drin, ganz gewiß, genau wie in der Liebessehnsucht, wäre sie nie erfüllt worden; oder in der Malerei, –[23] wenn man nicht selber malte. Ich hab's in den Liedern erfahren; sie können für mich fast tödlich werden, gebe ich mich ihnen ganz hin; man muß selber geborener Lyriker, schöpferischer, sein, um durch die Lyrik erlöst zu werden; wie in der Musik und in allem. Ich kann's nun auch nicht mehr ertragen, in Malerei zu leben, ohne nicht selbst zu malen, früh bis spät! Sie muß mich befreien – und wenn Sie erstaunt fragen von was ich denn befreit sein will, so sollen Sie's auch hören: von meiner Angst; ich kann so oft eine sinnbetörende Angst empfinden, auf dieser Welt zu sein; ich glaube, es ist etwas wie der Panschrecken, der über einen kommt, man muß sich Götter schaffen, zu denen man beten kann. Kennen Sie's:


Mit dem Haupt, dem hörnerschweren,

Nickt den Takt der große Pan;

Langsam kommt die Zeit heran,

Da die Götter wiederkehren.


Sie haben Ihre Götter; Sie tragen Ihre Religion in sich, ich weiß es. Sie gehen mit Ihrer Sehnsucht endlich einmal in einen fröhlichen Himmel ein, – ich brauche einen anderen, ganz anderen und taste nach dem Zugang. Nun Schluß, ich quäle Sie schon zu lang ... Nun geben Sie Ihre Hand noch einmal her, – adio Ihr

Fz. Marc


P.S. ... es regnet, regnet, – auf den Bergen fiel sogar Schnee, ganz leise über Nacht. Ich arbeite jetzt nur im Zimmer, Entwürfe auf Papier und bin voller Pläne. Die Weide ist ganz wunderbar, dunkle Pferde im Abendschein gegen die Luft. – Ich fühle mich oft so fremd und verstört, so fern, so fern dieser ganzen Gegenwart, daß kaum die Leidenstöne, die bei meinen Freunden an meiner Seite erklingen, zu mir dringen. Ich möchte über diese Gegenwart hinaus, hinaus – –. Ach kommen Sie bald. Ich möchte Ihr gutes Gesicht zeichnen ...

Fz. Marc.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 23-24.
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