47 [45] Brief an Maria Franck

5.2.1911


... heute kam zum Frühstück ein Telegramm der Vereinigung, das mich ›einstimmig zum Mitglied und 3. Vorsitzenden‹ wählt! Nun ist's geschehen, und ich freue mich; und ich weiß, Du tust es auch! Es gab keine andere Wahl, – die Eigenbrödelei hab ich satt; nun geht's gemeinsam. Langweilen werden wir uns nicht in den nächsten Jahren, mein Lieb; und was Du Dir gewünscht hast, haben wir nun: einen Kreis von Künstlern und vornehmen Menschen, wie wir ihn[45] uns besser nicht wünschen können. Der Besuch war köstlich. Ich holte sie im Schlitten 1 Uhr ab. Kanoldt war nicht gekommen; er ließ sich entschuldigen; ich glaube aber, er hat es mit der Angst gekriegt; er fühlt sich mir wegen Koehler verpflichtet und wollte einer eventuellen Enttäuschung vor meinen Bildern ausweichen; auf den Gesichtern der anderen war unverkennbar, bei aller Herzlichkeit, die Angst gemalt, einem Ereignis entgegenzufahren wie seinerzeit bei Schimml und Palm! Wir aßen bei Eberl und stapften dann durch den tiefen Schnee zu mir und nach einem kurzen Blick ins Zimmer, das sie entzückte (rote Tischdecke mit den blauen Tassen und alles ziemlich sauber und aufgeräumt, Helmuth hatte noch bis zum Schluß rührend gesorgt) in's Atelier, d.h. auf den eiskalten Speicher; aber wie schnell sie warm wurden, kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Sie waren einfach weg; Erbslöh tanzte vor Vergnügen, Jawlensky drückte mir in einem fort die Hände u. schnarrte sein sääärrrh gut, Werefkin desgleichen. Sie boten mir sofort die Mitgliedschaft ihrerseits an und waren glücklich, als ich zusagte; aber die Freude und Ehre sei ganz ihrerseits etc.! Nun gefiel ihnen aber auch alles bei mir, der Kaffee, Deine Zigarren! (ich erzählte, daß Du sie extra für sie geschickt), meine Bücher und Sachen. Es war den ganzen Nachmittag höchst animiert und herzlich ... Ich zeigte Deine Kinderblätter. Jawlensky sah sie lange und höchst aufmerksam an; ich drang etwas in ihn um sein Urteil. Er sagte schließlich: sie sind zweifellos allesamt talentiert und interessant; aber eines fehlt ihnen allen: sie sind nicht völlig mit ›rein künstlerischen Mitteln‹ gemacht; d.h. man kann die Blätter schildern, ihre Wirkung mit Worten erzählen etc. und das sollte man (nicht) können ... Sein Urteil war für mich ebenso lehrreich, wie es für Dich sein wird. Du mußt Deine Kompositionen nicht von ›Gegenständen‹ herleiten, sondern von Farben, Flecken, festen Formen und Linien und aus denen das Gegenständliche herausentwickeln, das ist der ganze Witz. Deine Weihnachtslithographie fand er dagegen ausgezeichnet, entschieden besser und einen weiten Schritt über die Blätter hinaus. Auch das verstehe ich ganz, wenn man sie gegen die Blätter hält; die Blätter sehen ›gemacht‹ aus, die Lithographie ›gewachsen‹ ... Für Deinen langen, lieben, klugen Brief über Schönberg vielen Dank. Ich kann unmöglich auf alles eingehen. Mich läßt vor allem die Erinnerung an seine Musik allgemach im Stich. Du magst recht haben mit Deinem Gefühl von der Unreinheit seiner Farben. Wenn wir Koloristen z.B. neben eine violette Fläche statt des komplementären Gelb, erst sagen wir z.B. eine dissonante blaue Kontur ziehen, so müssen wir das komplementäre Gelb, das irgendwo dann doch kommen muß (und sollte es sich in einem mächtigen Orange verstecken!) um so stärker, ergiebiger greifen, um gegen die blauviolette Dissonanz aufzukommen und um die komplementäre Verbindung zwischen Gelb und Violett über die blaue[46] Grenze hinweg aufrechtzuerhalten. Hier dient also die Dissonanz dazu, um eine ›Steigerungsmöglichkeit der malerischen Mittelzu ermöglichen. Darauf beruht überhaupt unsere moderne Koloristik, wenigstens meine. Ein extremes Auseinanderlegen der zusammengehörigen Farben schien mir damals beim ersten Hören Schönbergs die einzige Erklärung seiner Musik, die, wenigstens in den Klavierstücken, für ein ungeübtes Ohr wie das meine, ganz auseinanderfiel. Daß er unreine (prismatisch) unauflösbare Töne anwendet, wäre doch noch kein Gegenbeweis, daß sie keine komplementären Beziehungen (Harmoniebeziehungen im alten Sinne) versteckt enthalten. Ich schrieb Dir, ohne mir ganz über den Sinn und die Berechtigung dieser Auffassung klar zu sein. Vielleicht ist es Unsinn. Aber ich denke, mit der Erklärung: schmutzige Töne kann doch diese Musik nicht abgetan oder erklärt sein. Daß ich prismatische Farben anzuwenden suche und mittels Prisma Rechenschaft zu geben suche, ist nicht das Bestimmende meiner Farbenkunst. Es ist eine persönliche Begeisterung für diese reinen Farben, (wie auch bei Kandinskys großer Komposition, die ja unter seinen anderen Bildern vereinzelt steht.) Die komplementären Gesetze herrschen ebenso unter schmutzigen, unauflösbaren Farben. Unauflösbar ist überhaupt keine. Arbeite Dich nur weiter in diese Ideen; nützlich ist es jedenfalls. Du wirst Dich wahrscheinlich später am besten mit Kandinsky bereden können. Der scheint von dem allen am meisten zu verstehen; aber ein Klavier müssen wir haben! ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 45-47.
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