97 [86] Brief an August Macke

Sindelsdorf, 12.4.1913


Lieber August, Vater vieler Kinder und des Herbstsalons, antworte dem Vater der Sezession betreff der berühmten Tradition ganz wie Du schreibst: Beckmann, Rösler und Corinth sind und haben keine Tradition, und in Liebermann ›verdunstet der Impressionismus‹. Es ist ja alles Geschwätz. Cassirer kriegt es mit der Angst, – das ist das wahrhaft Gute an diesem Herbstsalon, abgesehen davon, daß dieser wirklich eine anständige Ausstellung zu werden verspricht; denn ich wüßte niemand und nichts, das sie uns aus den Händen winden könnte; auch die fehlenden Gelder nicht; denn zur Not genügen natürlich die 4000. Hätte man mehr, könnte alles wirksamer geschehen, vor allem die Propaganda, die groß durchgeführt die 4000 von Koehler nur doppelt sicherstellen würde. Darin sind wir alle einige: es darf kein Geld aufgenommen werden, das unsere Freiheit in Ausstellungsfragen antasten könnte. Sollte dies unmöglich sein? Koehler ist sehr einverstanden damit, daß ich mich an Reiche gewandt. Gestern war Dr. Benkardt, Frankfurt, hier, der bis jetzt am Städelschen Museum gewesen (sehr reicher Herkunft), der mir auch versprach, diese Finanzfrage im Auge zu behalten. Er geht Ende April nach Berlin zu Walden, von allem sehr begeistert. Kopf ist er keiner, aber gerade darum ein Finanztyp, der für uns in Frage käme; vielleicht besucht er Dich. Der würde gewiß nicht ›hineinreden‹ oder wenigstens unschwer davon abgehalten werden können. – Walden war auch hier; der ganze süddeutsche und Pariser (Delaunay) Kreis ist vollkommen sicher. Ohne Antwort bin ich bis jetzt aus Berlin; aber die werden es sich schon überlegen, nicht mitzutun; ich habe keine große Sorge. Und wenn sie nicht mittun, wäre es nicht das tiefste Unglück; nur um Heckel und Nolde ist mir leid. Nolde stellt aber dann ganz gewiß auch nicht bei Cassirer aus; ich schrieb ihm auch persönlich. Hier die Namensliste, die ich mit Walden zusammengestellt habe:


*Kandinsky*Metzinger

*Marc*Laurencin[86]

*Münter*Epstein

*WerefkinKirchner

*JawlenskyHeckel

*BechtejeffSchmidt-Rottluff

*MogilewskyMueller

*Bloch*Segall

*CampendonkMeidner

KoganSteinhardt

*KleeNolde

*Kubin*Bolz

*KokoschkaFloris Verster

*W. Burljuk*Arp

*D. Burljuk*Huber

*Adler*Helbig

Kars*Lüthy

*Macke*Gimmi

Nauen*Carrà

Rohlfs*Boccioni

*Delaunay*Severini

*Le Fauconnier*Russolo

*LégerFeininger (?)

*ArchipenkoThuar (?)

*BrancusiG.v. Kunowsky (?)

Gleizes*›Neue Sezession‹ (mit eigner

Jury, à part, in demselben Lokal)


Die mit * versehenen sind bis jetzt schon sicher. Die Bilder jedes Künstlers werden nebeneinandergehängt, so daß jeder die Hängekommission für sich selbst im Atelier spielen kann; das übrige besorgen wir (Du, Delaunay, Kandinsky, ich) in Berlin. Eine Art von Jury wird insofern ausgeübt, daß bei den Einladungen einem jeden die ihm zur Verfügung stehenden laufenden Meter angegeben werden (z.B. Segall, die Schweizer, Epstein, Laurencin usw. weniger als Kokoschka, Nolde und ›unsereins‹.) Du sprichst von einem Zettel, auf dem stehen soll, was du vom Herbstsalon denkst; in Deinem Brief lag nur die eine beschriebene Karte. Also wirke, so viel Du kannst, wir tun desgleichen. Uns geht's gut, wir leben unser Sindelsdorfer Maulwurfsleben und sondern, psychologisch geredet, Kunst ab. Wie geht's dem kleinen Balthasar? Gruß an Lisbeth, die Buben und Dich von uns beiden

F.M.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 86-87.
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