115

[100] in Sâles 2. Sept. Nachm.


Ihr Lieben in Ried, heute habe ich meinen ersten großen Melderitt (30 Klm) gemacht; ich bin jetzt glücklich das, was ich wollte, nämlich so etwas wie Adjutant der ganzen Kolonne, mit Leutnant Hackl zusammen (der Regierungsbaumeister in Weilheim ist u. Sindelsdorf genau kennt!). Wir ritten nach Frankreich hinein bis Remomeix (vor Dié), vor uns eine riesige Feuerlinie von deutscher Fußartillerie, die über einen Berg nach Westen schießt, und selbst von französ. Batterien, d. hinter dem Berg stehen, beschossen werden. Auf der Heeresstraße Sâles-Dié ein unglaubliches Kriegstreiben; ich fühl mich so wohl dabei, wie wenn ich immer Soldat gewesen wäre; Obst stehlen wir von den Bäumen; Wein haben wir auf unserm Ritt auch bekommen; in Sâles gibt es gar nichts mehr. Wir hatten mit Meldungen an den Brigadestab zu reiten. Jetzt am Nachmittag sitz ich geruhig vor dem Telefonieramt (in einem kl. Hotel installiert) am Marktplatz, um Befehle aufzunehmen, die ev. kommen. Man ruft mich dazu in's Amt herein. So kann ich gemächlich ein paar Ruhestunden das originelle Treiben auf dem Marktplatz in Sâles beobachten. ›Wallensteins Lager‹, aber in echt! Unsre weitere Marschrichtung hängt von den Befehlen ab, die ich hier am Telefon aufzunehmen habe. Wir kochen[100] alles selber, auf dem Acker draußen, auf dem wir auch biwakieren. Schreibt Euch mal vorläufig auf, was Ihr mir später senden müßt ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 100-101.
Lizenz:
Kategorien: