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[111] Hagéville 23.X 14


Ach Liebste, Augusts Tod ist mir so furchtbar, wie ich es innerlich verwinden u. mich äußerlich dazu stellen soll, – letzteres ganz wörtlich: die nackte Tatsache will einfach nicht in m. Kopf. Ich zitterte die letzten Tage wirklich in Angst um ihn, ich schrieb auch Lisbeth kurz. Ich fühlte in diesen Tagen, daß meine Nerven angegriffen sind, – u. heute, wo ich von Dir die bestimmte Nachricht habe, ist mein Bewußtsein ganz dumpf u. stumpf. Ich will wenigstens in ein paar Worten Lisbeth schreiben; zu einem Nachruf bin ich, glaube ich, in diesen Tagen nicht imstande; in einiger Zeit mache ich es sicher. Ich fühle tief, wie ich an August hing; meine künstlerischen Bedenken sind ja dabei ganz belanglos; Tagesstimmungen; der Mensch war doch tausendmal mehr u. war zu allem reif, zu jedem Gedanken, mit denen ich nun allein ringen werde! Wahrscheinlich ganz allein. Gewiß hast Du mit Kandinsky recht. Die Not des Alleinseins machte mich so optimistisch u. die wirkliche Erstlingstat, die sein Gedanken- u. Bilderwerk nun einmal ist. Sicher ist mir auch, daß wir ihn menschlich u. ›auf gut deutsch‹ mißverstanden. Er ist uns im höchsten Grade fremdrassig, nur westeuropäisch maskiert. Mit einem gleichbedeutenden Chinesengeist würden wir uns auch nie verstehen. Vielleicht war es nur einem so ›fernen‹ Geiste möglich, die kranke europ. Kunst so zu durchschauen. Du schreibst ja auch ganz[111] richtig über Mitrin[ovič] u. ihn – Slaven; aber bei K[andinsky] darf man seine Tat nie vergessen. [...] Grüße u. streichle die Rehkinder [...]

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 111-112.
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