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[118] 5. Dez. 14


Liebe Maria, Heut findst Du ein sehr unscheinbares neues 1/10 Maß-Krügelchen, aber ich denke wohl aus gutem Zinn, – (wenn es nicht Blei ist; dazu scheint es mir aber zu leicht). Du wirst Dir schon denken können, wozu ich's mitnahm: zum Bearbeiten. Man kann ganz tief hineinziselieren, den Henkel klopfen u.s.w. Ich sehe es schon in seiner künftigen Gestalt. Heute abend werde ich den heilg. Niklas spielen und mit meinem großen Pelz und langem Bart französischen Kindern bange machen. Einen kleinen Sack voll Nüsse etc. hab ich schon; in was für komische Situationen man doch kommt! Mir liegen ja solche Dinge nicht, aber da niemand französisch kann als ich, hab ich's gern übernommen. Hagéville kann sich jedenfalls über die deutsche Soldateska nicht beklagen! – Ich bin nur neugierig, wie lang wir in diesem kleinen Dürnhausen noch liegen; allmählich wird die Sache doch sehr langweilig; ich wenigstens bin in den letzten Tagen etwas melancholisch und nervös-ungeduldig. Ruhe zum Arbeiten und Denken hat man doch selten, und eine wirkliche Tätigkeit fehlt vollkommen, bis auf seltene Tage. Vielleicht wenn Schnee und Kälte kommt, wird es meinen Nerven guttun. Nerven schmerzen hab ich übrigens gar keine, ich rede nur von meiner ganz ordinären nervösen Stimmung, die mich vom richtigen Arbeitenkönnen abhält; meine Schreiblust wird schon wieder kommen. Ich fühl mich ganz gesund, bis auf Schnupfen, den ich nicht recht loswerde, aber ich fühle mich allmählich ›unnötig‹ hier; das ist das Ganze. Ich wollt, es gab wieder mal eine Veränderung; es wird aber wohl bis Januar dauern. Wenn ich an meine Arbeit und an's Malen denke, werde ich ganz fiebrig. Wir sind so streng angewiesen, nichts Militärisches, was wir alles erleben und sehen, nach Hause zu schreiben, daß ich mich zurückhalte, manches Interessante zu schreiben; die französische Spionage arbeitet mit allen Mitteln und hat es stets auf die Post abgesehen. Man kann durch ein unvorsichtiges Wort unendlich viel verraten. Lange wird die Spannung der beiden Heere nicht mehr dauern! Ich denke, der Höhepunkt wird noch vor Weihnachten erreicht sein. ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 118.
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