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[118] Hagéville 11. Dez. 14


Liebste, heute war plötzlich Alarm. Die Abteilung rückt ab zur Sicherung einer angegriffenen Stellung bei Pont-à-Mousson (südlich Metz, lothringisches Grenzgebiet.) Dort brechen die Franzosen immer[118] wieder mit größeren Verbänden durch, (eine Meldung davon war ja auch kürzlich in den amtlichen Berichten.) Wir sollen aber nach dieser Expedition, die voraussichtlich nicht lange dauert, wieder in unser Hagéviller Quartier zurückkehren und ich – soll als Aufsicht und Quartierhalter hier mit 2 Mann zurückbleiben! Der Leutnant Öhler, der immer sehr nett zu mir ist und meine Gesundheit für weit gefährdeter hält als sie ist, hat mir diesen Posten angetragen; ich hätte ihn, wenn ich mich sehr gesträubt hätte, wohl ausschlagen können, aber nach meinem Prinzip, hier im Kriege alles zu nehmen, wie es an mich kommt, willigte ich sofort ein; ich dachte auch an Dich, – Du wolltest sicher lieber, daß ich im stillen Hagéville bleibe. Es werden recht stille, merkwürdige Tage für mich werden; ich werde sehnsüchtig die andren in Gedanken begleiten, denn im Herzen war ich gern mitgezogen. Ob sie freilich sehr viel dort erleben, ist fraglich. Sie werden mit der Bahn ab Marsla Tour verla den und rücken dann von Metz aus vor oder bleiben in Metz als Reserve stehen. Besondere strategische Bedeutung wird diesem Einbruchsgebiet nie beigemessen; es kann den Franzosen eher passieren, daß sie abgeschnitten werden und diese strategisch schlechten Vorstöße einmal teuer bezahlen. So sehen wir wenigstens diesen Punkt an. Vom Stab bleibt auch jemand, ein Offiz. Stellv. mit ein paar Mann hier. Wir haben einige kranke Pferde, die zurückbleiben müssen, sollen die Tätigkeit der Einwohner etwas beobachten, wachsam sein und die Quartiere halten. In einer Beziehung freue ich mich auch wieder auf diese ganze stille Zeit. Unser Platz hier ist vollkommen sicher, die paar Einwohner sind alles alte Leute, oder Frauen mit vielen Kindern, – die sind froh, wenn wir ihnen nichts tun. Der Kampf in den letzten Tagen ist wieder sehr heftig, die Fenster zittern und klirren vom Kanonendonner unaufhörlich. Was wird es wohl mit unsrer Weihnachtspost sein? Die wird wohl liegenbleiben, bis sich wieder alles in Ruhe in Hagéville versammelt! Wir sind in den letzten 8 Wochen doch arg verwöhnt worden! Es kam mir heute vor wie ein Alarm in einem Veteranenverein, – alte Leute, die sich nicht gern in ihrer Ruhe stören lassen. Und dagegen unsre Vogesenzeit!! – Also sei nicht ungeduldig, wenn Du in der nächsten Zeit nichts hörst von mir, – vielleicht finde ich ja auch Postgelegenheit, aber sich er ist nichts, – vor allem werde ich zunächst nichts von Dir bekommen! Gute Weihnachten! ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 118-119.
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