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[120] Mühlhausen, 17.XII 14, Abend


Liebste, nun ist doch Dein Weihnachtspaketchen mit allen seinen guten Sachen und Lichtchen noch angekommen, vom Regiment direkt hierher! Das Regiment hat natürlich von unserm Alarm sofort gehört und da es per Auto die Sachen bringt, kam es heute schon hier an. Ich hab mich schrecklich gefreut; es wäre mir Weihnachten doch traurig gewesen, ohne Dein Paketchen dazusitzen. Allerdings esse ich die Sachen natürlich jetzt schon kräftig an, erstens schmeckt alles viel zu schön, um nicht sofort damit anzufangen, ich war gerade heute sehr empfänglich, da die Reise sehr anstrengend war und dann jetzt die Alarmgefahr, d.h. plötzlicher Quartierwechsel zu drohend ist; da kann man nicht Vorräte aufstapeln. Von Koehler kam auch ein großes Paket, eine riesige Hartwurst und vieles andere, eine sehr männliche Sendung gegen die Deine süße. Die Äpfelchen freuten mich so. Hoffentlich kommt mein ganz schlichter Weihnachtsgruß auch in Deine Hände! Verlebe Weihnachten nur recht fröhlich und zuversichtlich. An Urlaub ist nicht zu denken, aber daß es verhältnis[mäßig] bald und plötzlich zu Ende gehen wird mit dem Krieg, das glaub ich mit jedem Tag mehr. Es wäre doch heller Wahnsinn von Frankreich, noch Monate die nicht mehr zweifelhafte Entscheidung hinauszuzögern, nachdem Rußland so versagt hat und die Kosten für Frankreich in's Ungemessene steigen, wenn es den Krieg bis zum letzten Tropfen ficht. Ich glaube, es gibt irgendwo einen Sieg und Durchbruch der Deutschen und darauffolgend einen ganz plötzlichen Umschwung der ganzen Lage. England wird allein weitermachen, aber ohne den Franz Marc. Hier ist jetzt regelrechtes Kasernenleben, das mir so unsympathisch ist wie am Anfang in München. Das ist nicht Krieg, sondern Garnison, obwohl wir nahe am Feind sind (ebenso nahe als ungefährlich). Was ›Kaserne‹ ist, wirst Du etwas nachfühlen, wenn Du jetzt vielleicht in der Max II warst; ça pue, man ist völlig unfrei durch das Milieu, durch den Mangel an Originalität und Intimität des Milieus. Das einzige, was mich freut, sind die Ställe. Wie sich die armen Pferde darin freuen und in's Stroh legen! Es ist der Stall der Jäger zu Pferd, prachtvoll gebaut. In den Ställen in Hagéville konnte man die armen Tiere ja kaum im Stall satteln, da der Sattel an den Dachbalken streifte, nirgends frisches Stroh; es zog meist so entsetzlich, daß ich vor Angst eigener Erkältung mich nie dort aufhalten konnte. Die Wunden heilten schlecht, weil sie in der Dreckluft und Staub der Ställe sich immer neu infizierten. Mir blutete oft mein Herz um die armen Pferdchen. Und jetzt dieser Unter schied! Leider war ich am ersten Tag hier nicht dabei; man erzählt, nach einer Stunde hatten sich fast sämtliche Pferde gelegt und im trocknen Stroh gewälzt vor Vergnügen!! Der Gedanke an die Pferde versöhnt mich mit dem langweiligen Kasernenbetrieb. Ich glaube übrigens nicht, daß unsres Bleibens hier lange ist. Die II. Batt., die in[121] Stellung war und glänzend geschossen hat, kehrt morgen schon wieder siegreich nach Mühlhausen zurück. Der Ruf der Bayern scheint durch dieses kurze ›scharf schießen‹ dieser Batterie einen neuen Lorbeer errungen zu haben; die Begeisterung, mit der man überall, auch Metz, Straßburg und hier, uns Bayern begrüßte, ist unbeschreiblich. Man glaubt kaum an einen Sieg, wo nicht Bayern dabei waren und durch ihr Draufgehen den Ausschlag gegeben haben. Dank Dir sehr für die Mombertbücher; ich bin sehr neugierig, welchen Eindruck sie jetzt auf mich machen. Ein paar zufällige Zeilen, die ich drin las, haben in mir schon wieder dieses leise Glücksgefühl geweckt, daß ich bei vielen seiner merkwürdigen Zeilen habe. Dank Muttchen für das Eau de Cologne, das mir recht wohltun wird. Also den Weihnachtsabend wollen wir alle fröhlich sein und unsrer sehnsüchtig, aber nicht traurig gedenken; es wird für uns alle wieder alles gut, nur um August werden wir zwei immer trauern. Ich habe in den 3 stillen Hagéviller Tagen scharf an meinem Gedankengang gearbeitet, – nun ist alles durch den Alarm wie abgerissen und ich entwirre es wie einen zerfahrenen Knäul. Nun, brennt Ihr Euch ein paar Lichtchen; ich zünd die meinen auch an und das kleine Bäumchen von Lasker. Gruß an Muttchen und den liebsten Gruß von D. Fz. M. ...

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 120-122.
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