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[130] 17.III.15


Liebste, Koehler schrieb mir heute auf einer Sturm-Postkarte meiner ›Tierschicksale‹. Bei ihrem Anblick war ich ganz betroffen und erregt. Es ist wie eine Vorahnung dieses Krieges, schauerlich und ergreifend; ich kann mir kaum vorstellen, daß ich das gemalt habe! In der verschwommenen Photographie wirkt es jedenfalls unfaßbar wahr, daß mir ganz unheimlich wurde. Es ist von einer künstlerischen Logik, solche Bilder vor dem Kriege zu malen, nicht als dumme Reminiszenz nach dem Kriege. Da muß man konstruktive, zukünftige Bilder malen, keine Erinnerungen, wie es meist Mode ist. Ich habe auch nur solche im Kopf. Ich wunderte mich zuweilen darüber; jetzt weiß ich, warum es so sein muß. Aber diese alten Bilder des Herbstsalons etc. werden noch einmal ihre Auferstehung feiern. – Heute sah ich die feine Sichel des neuen Mondes und dachte lebhaft an Dich und Ried und die Rehe – über Euch allen stand sie auch, so fein und leicht wie ein Diadem. Und diese Frühlingsluft, in der alles so sonderbar klingt. An dieses Frühjahr werden noch Generationen denken; die ältesten Leute werden noch später von ihm erzählen; die Stimmung steigt immer mehr ins Unbegreifliche. Wie bist Du glücklich, Deinen Flügel zu haben und spielen zu können. Bei mir stapelt sich alles bis zur schmerzhaften Müdigkeit im Kopf; aber ich fang jetzt leise an, im Skizzenbuch zu zeichnen; das erleichtert und erholt mich. Kuß Dein Frz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 130-131.
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