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[158] 23.IX.15


Liebste, beiliegend die Sturmnummer, die den Tod von August Stramm meldet. Ich zweifle nicht, daß wenn wir Stramm persönlich gekannt hätten, uns sein Tod auch tief berührte. Die hier abgedruckten Gedichte machen mir wohl wieder den Eindruck einer sehr begrenzten Begabung; aber innerhalb dieser Grenzen des Unvermögens eine großartige Leidenschaftlichkeit des Empfindens; die Sprache war ihm nicht Form oder Gefäß, in dem Gedanken kredenzt werden wie z.B. für Rilke oder Steph. George, sondern Material, aus dem er Feuer schlug oder: toter Marmor, den er zum Leben wecken wollte wie ein wahrer Bildhauer. Er war schon am richtigen Wege. Aber diesen Weg wirklich zu gehen, bedarf es noch eines Größeren. ... Als ich heute Stramm wieder las, erkannte ich ganz deutlich, wie sehr Rilke und George und Mombert einer vergangenen Gefühlswelt angehört, als letzte sehr reife übersüße Früchte. Mombert ist herber und naiver, weniger abgeschlossen. Ich könnte mir denken, daß Mombert noch einmal und besseres schafft; und daß es um so urwüchsige und ehrliche Naturen wie Stramm sehr schade ist, wenn auch sein zeitiger Tod wohl Schicksal ist. ...

Und nun für heute Schluß. Mir geht's famos. Gruß an D. Mutter, Niedmanns, K[aminsky] und meine Tierlein. Gruß dein Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 158.
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