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[165] 19. od. 20.X 15.


Liebste, Du fragst, ob ich zwischen 5. und 9. nicht geschrieben habe? So lange Pausen hab ich nie gemacht; vielleicht hab ich aber zuweilen ein falsches Datum erwischt, wie heute zum Beispiel. Ich glaube, Du kannst Dich noch immer nicht in meine Seelenverfassung hineindenken; was gehen mich Datum und Tage an! Gibt es etwas Greulicheres als diese ›Zeit-einteilung‹; ich empfinde sehr zeitlos und fühle mich dabei weit wohler als am Anfang, als ich die Tage und Wochen zählte! ... Wie freu ich mich, daß es den Rehchen wieder gut geht! Hat eigentlich Niestlé nie meinen Brief mit schwedischen Kritiken bekommen, um deren Entzifferung ich ihn bat? Ist am Ende seine Post kontrolliert und hat man den Brief mit den schwedischen Einlagen konfisziert? Es liegt mir gar nichts an ihnen, nur der Fall an sich wäre interessant. Über mein Antwerpener Kommando hab ich noch gar nichts weiter gehört; vielleicht wird auch nichts daraus, nachdem es so lange dauert. Es tat mir leid. Aber ich rühre wie bisher immer keinen Finger deswegen; ich laß alles an mich herankommen, wie's kommt. Willensbestimm[un]g hat man ja doch keine, und ich nehme letzten Endes doch auch nicht das geringste In teresse am Kriegführen und Soldatsein; ich begreife immer gar nicht, daß man mich so schätzt; die Herren sind unglaublich schlechte Psychologen, – vielleicht auch gute: denn sie wissen, daß man sich auf mich militärisch und menschlich verlassen kann, und meine Privatmeinung geht sie nichts an. Schicke jedenfalls unbesorgt, was Du eventuell schicken willst; wer weiß, wann das Kommando einmal kommt! Und nachgesandt wird mir gegebenenfalls doch alles! Träumst Du zuweilen von mir? Ich schon von Dir! Kuß Dein Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 165.
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