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[169] 3.XI.15.


Liebste, Ührchen und Manschettenknöpfe sind richtig und gesund angekommen. Ich habe eine wahre Freude dran, wieder so anständige Dinge in der Hand zu halten und zu tragen; deshalb laß ich mir auch den silbernen Reitstock machen, – ich hab es zu lange entbehrt, mich anständig tragen zu können. Mein Urlaub scheint mir ziemlich sicher; das Regiment hat ihn befürwortet, was, wenn nicht irgendwelche[169] Befehle höheren Ortes kommen wie z.B. Sperre, für die Divisionsentscheidung maßgebend ist. Ich fahre dann wohl entweder morgen abend ab Metz oder übermorgen, – ich glaube nicht, daß es länger dauert. Treffpunkt natürlich bei Maman, wenn ich Dir keinen genauen Zug telegrafiere. Zum Schreiben fehlt mir jetzt natürlich jede Stimmung, nachdem ich hoffen darf, Dir in ein paar Tagen meine Liebe mündlich zu sagen!

Es ist nicht verwunderlich, daß Ihr mein ›sehen der Musik und Literatur‹ nicht ganz verstehen könnt; es ist vollkommen die einseitige Eigentümlichkeit meiner malerischen Begabung, musikalisch und literarisch natürlich ein Manko; ich halte es für ausgeschlossen (jedenfalls für einen unglücklichen Fall), wenn jemand für alle Kunstarten ein gleich reines Artenverständnis hätte. Ich habe literarisch lange daran gelitten, weil ich so oft meinte, Dichtung eben als Dichter und literarisch werten und genießen zu können. Dabei blieb ich immer Dilettant (wie Goethe großen Angedenkens in der Malerei!). Erst jetzt beginne ich mich vor Literatur ebenso frei zu machen, als ich es seit langem vor Musik bin. Ich sehe alles, alles ist in meiner Auffassung bildnerisch figuriert. Auch ethische Gedanken wie die Bibel z.B. setzen sich bei mir nicht als Sozialismus oder Pantheismus ab, sondern gehen [in] rein bildnerische, malerische Gedanken auf. Ich werde daher z.B. Tolstoi nie ganz folgen können. Nun, diesmal nicht adio, sondern auf baldiges Wiedersehn Dein Fz.

Quelle:
Franz Marc: Briefe, Schriften, Aufzeichnungen. Leipzig: Gustav Kiepenheuer, 1989, S. 169-170.
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