Franz Marc 02.12.1910

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Sindelsdorf, 2. XII. 10


Lieber,


es war wirklich ein netter Gedanke von Dir, den guten Helmuth als Pfand und Entschädigung mir zu geben, nachdem Ihr nun wirklich weg seid. Er kommt ab Januar für wenigstens ein paar Monate nach Sindelsdorf zum Malen. Ich hab alle seine neueren (1910) Sachen und einen Stoss älterer gesehen, – die älteren sind ungleich besser. Ich sagte es ihm offen, anfangs war er verblüfft, schien es aber doch einzusehen. Er selbst schien ja von vorneherein so etwas zu ahnen, hoffte aber, glaube ich, im Stillen, seinem Instinkte widersprochen zu sehen. Wir waren wieder alle zusammen bei Erbslöh, Jawlensky und Kanoldt, – ich glaube, der Verkehr wird bald sehr rege werden. Erbslöh's neue Sachen sind glänzend, dass Du's weisst! Ich habe ihn nun veranlasst, im Januar mit Frl. Franck Koehler zu besuchen! Meine Kritik habe ich Koehler auch schon geschickt. Bemühe Dich nur auch, Koehler für die Sache einzufangen, Du alter Lassofänger!

Wie geht's Euch? Wie ›gefällst Du Dir‹ in Bonn? Denn darauf kommt's Dir doch zum letzten Ende an! Grüsse Deine liebe Frau herzlich. Ich sitze nun ganz allein in meinem Sindelsdorf und male wie besessen. Meine grosse Pferdegruppe hab ich natürlich schon wieder auf einer neuen Leinwand angefangen, sehr farbig, mit chromatischer Skala (gelben, roten und violetten Körpern und blauen und grünen Schweifen) auf weissem Grund, d.h. so, dass das Weiss etwas die Wand suggeriert, auf die das ganze gemalt ist oder sein sollte. Richte Dir doch ein paar Wände in Eurem Haus für Fresko! Dann malen wir's zusammen, eine Reiterschlacht oder den Durchgang durch's Rote Meer! Adio, mit herzlichem Gruss Dein


Fz. Marc


PS. Lest bitte heute vor dem Schlafengehen in der Bibel das Hohelied Salomonis, Kapitel 7 und betet, dass Ihr nicht in Anfechtung fallet.

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 22-23.
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