August Macke 23.07.1912

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Bonn, 23. Juli 1912


Lieber Franz!


Also, dass ich nicht geschrieben habe in der letzten Zeit, ist hauptsächlich Schuld der Hitze, des zu vielen Erlebens und der Schreibfaulheit.

Im Sonderbund sind solche Schweinereien vorgekommen, die sich in ihrer Kompliziertheit nicht richtig schreiben lassen, ohne dass immer etwas Wichtiges ausbleibt. Tatsache ist, dass Herr Deusser damals gegen Erweiterung der Jury war, trotzdem der Vorstand mich zweimal gewählt hatte. Reiche wollte sein Amt niederlegen (drei Tage vor Eröffnung); der Vorstand drückte Reiche sein grösstes Vertrauen aus und bat ihn, die Arbeit doch ja weiterzumachen. Die Jury tagte, trotzdem man sich gegenseitig hasste, und sich am liebsten gefressen hätte. Ich hatte verzichtet, nur weil mir Deussers unverschämter Ton nicht passte. Die Franzosen wurden von Hagelstange und Reiche, die Deutschen von Clarenbach und Deusser gehängt (die in der fünf stimmigen Jury nebenbei drei Stimmen! hatten). Die Leute konnten anstandshalber gar nicht mehr verhandeln miteinander, so hatte sich Deusser benommen. Du siehst also, wer an der Auswahl Eurer Bilder die Schuld trug. Ich war der Ansicht, man sollte solche Krachsachen nicht in die Öffentlichkeit tragen (die in diesem Falle übrigens im ›Sturm‹ ja gar nichts gemerkt hat.)[135]

Ich beantragte damals, Clarenbach und. Deusser rauszuschmeissen, es hat auch keiner gemerkt. Der Vorstand des Sonderbundes ist sehr lau. Die Leute, die gearbeitet haben, sind Reiche, Hagelstange, Flechtheim, Hertz, ich etc. Jetzt kam auf einmal die Sitzung mit den Anträgen Deusser. Indiskretion, Amtsmissbrauch etc. Reiche und Hagelstange sitzen draussen. Die Ideologen (Hagelstange hatte dummerweise vorher beantragt, Osthaus als Vorsitzenden abzusetzen, weil er zu keiner Sitzung kam und zwei kleine Bildchen herlieh) Niemeyer, Ehmcke etc., von denen keiner telephonieren kann, liessen sich von Deusser beschwätzen, der mit Clarenbach sich durch die Kritik geschwächt fühlte. ›Friedfertig‹ bis zum äussersten werden die gemeinsten Sachen auf Büttenpapier zu Protokoll genommen. Und nun beantragt der ›grosse Mann‹, die Jury zu erweitern (was einen Monat vorher statutenmässig ›nicht ging‹!) Nolde, Schmidt-Rottluff, Marc, Deusser, Clarenbach, Niemeyer, Osthaus!

Nun kommt das Schönste! Gleichzeitig mit dem neuen Vorstand (Schmidt-Rottluff und Niemeyer waren zu D-Zug herbeigeeilt) tagten wir (die Arbeiter). Deusser etc. oben zu zehn Mann, wir unten im Keller (Domhotel) zu fünf Mann. Und zwangen die Herren oben – zunächst auf fünf heruntergeschickten Zetteln, alle Beleidigungen mit Bedauern zurückzunehmen, dann Herrn Schmidt-Rottluff oben zu lassen – herunterzukommen!, und dann wurde Herr Deusser gezwungen, alle seine Anschuldigungen gegen Hagelstange und Reiche (die auf Bütten gedruckt sind!) zurückzunehmen. Aber auch alles! So! und da sitzen wir nun und warten auf dieses zweite Protokoll. Und ich hab dem Niemeyer gesagt, dass, wenn ich Dir erzähle, was hier alles passiert ist, so nimmst Du die Jury nicht an. Der Sonderbund kann in Köln überhaupt nur mit Hagelstange arbeiten. Düsseldorf unmöglich. Barmen ausgeschlossen. Essen, Elberfeld ausgeschlossen. Bleibt Mönchen-Gladbach. Was zum Teufel kümmert uns Deusser und Genossen! Man muss mit Reiche halten, wenn er auch ein merkwürdiger Kantonist ist. Niemeyer ist ein Ideologe, der die ganze Schweinerei gemacht hat, weil er unter allen Umständen Deusser hoch halten will und Clarenbach, wie er es in seinem Buch verkündet hat. Praktisch unbrauchbar. Osthaus hat übrigens schon erklärt, er hätte sich von Deusser überrumpeln lassen. Deusser etc. haben tatsächlich den Boden hier verloren, warum müsst Ihr mit dem Hamburger Niemeyer, dem Hagener Osthaus etc. gegen die Stadt Köln! halten und gegen die Arbeiter, die für Euch gearbeitet haben? Deusser kam zu Euch als letzte Rettung. In der Ausstellung hat die neue Richtung finanziell so gut eingeschlagen (im Gegensatz zu den Düsseldorfern), dass fast 70000 M. Verkäufe zustande kamen. Ich gehe nie mehr mit Deusser zusammen.

Übrigens habe ich Dr. Grisebach gesagt, Du würdest sicher bei ihm ausstellen im Winter. Es ist Dir doch recht. Jena, Kunstverein. Ich habe in acht Tagen dort acht Sachen verkauft, so dass man vor Kunstbegeisterung dort eine moderne Galerie gründete.[136]

Im Sonderbund ist auf die Dauer mein stärkster Eindruck: Munch, worüber Du Dich vielleicht wunderst. Ich hörte, Kandinsky möge ihn nicht. Ich finde ihn nach vierzigmaligem Ansehen immer noch fabelhaft. Heckel ist auch sehr haltbar. Und Matisse!

Am 5. August ziehe ich die Uniform an, auf acht Wochen. Am 21. September bin ich wieder in Bonn. Wir werden uns dann hier sehen.

Nun Schluss. Reden ist Gold, und vom Schreiben werde ich müd, und herzliche Grüsse auch an die liebe, dicke Maria


Euer lieber August

Quelle:
Franz Marc, August Macke: Briefwechsel. Köln: DuMont, 1964., S. 135-137.
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