Tarantula

[1110] Tarantula.

Tarantula, frantzösisch, Tarantule, teutsch, Tarantul, ist eine Sorte grosser, dicker Spinnen, deren Biß gar sehr vergiftet ist. Es giebet ihrer allerhand Gattungen, die durch die Dicke, Farben und Macht ihres Giftes unterschieden werden. Sie fallen zu Taranto in Calabria, in Puglia oder Apulia, in Sicilien und in gantz Italien: die in Puglia sind die allergiftigsten. Ihre Farbe ist insgemeine aschengrau, mit weissen oder schwartzen, grünen oder rothen Flecken untermischet und gezeichnet. Ihr Leib ist so dicke als wie eine Eichel und gantz haarig: der Kopf stehet gleich über dem Magen, welcher im übrigen durch einen Knoten an den Unterleib gefüget ist. Sie haben acht Beine, an deren jedem vier Gelencke zu befinden, benebst zwey krummen Nägeln oder Klauen. Die zwey vorderen Beine sind kürtzer, als die Hintern. Sie haben acht Angen, vier grosse und vier kleine. Im Maule haben sie zwey kleine, trefflich spitzige und schwartze Zähne, mit denen pflegen sie zu halten, was sie fressen wollen. Diese Zähne werden mit dem Geiffer angefeuchtet, welcher ihr Gift ist: dann, indem sie beissen und das Fleisch verletzen, so schleicht sich dieser Geiffer, der voller flüchtiges und schädliches Saltzes ist, in die Wunde, oder wird darein von ihnen eingetrieben, tringet sodann bis in die Blut- und Pulsadern, und verursachet die wunderlichsten Zufälle.

Im übrigen spinnen die Tarantulen, gleichwie die andern Spinnen, ihr Gewebe, und fangen darinne die Fliegen und die Schmetterlinge, davon sie ihre Nahrung ziehen. Sie wohnen in Löchern in der Erde, in den Ritzen in den Mauern, an den allerheissesten Orten in gantz Puglia. Die Kälte können sie gar nicht vertragen, daher sie durch den gantzen Winter in die Erde sich verstecken: sie beissen einander tod und fressen einander, in Mangel anderer Nahrung. Auf einmal legen sie bis sechtzig Eyer, und tragen dieselben unter dem Bauche so lange herum, bis daß dieselbigen auskrischen. Hernach unterhalten sie die Jungen unter ihrem Leibe, biß daß sie groß gnug worden, lauffen und spinnen können.

Der Tarantulen Stich ist nicht zu jederzeit und an allen Orten gleich gefährlich. Es giebet Orte[1110] und Zeiten, da ihr Biß keine schädlichen Zufälle verursachet; sondern es sind vor allen andern die in Puglia am meisten wegen ihres Gifts zu fürchten, den sie bey der grösten Sommershitze fahren lassen. Auch wird dafür gehalten, daß zur Zeit, wann sie sich begatten, ihr Gift gar hoch gefährlich sey, und ihre Bisse gar sehr schwer zu heilen.

Die Tarantuln lassen sich nicht nach eines jeden Gefallen fangen: curieuse Leute brauchen die Bauern darzu, dieselben wissen sie heraus zu locken, und kennen die Löcher in der Erde, darein sich dieses Ungeziefer zu verkriechen pfleget: wann sie nun eine ausgespüret haben, so machen sie ein Gesumme, wie die Fliegen, da fährt die Taruntul mit Ungestüm heraus und will die Beute haschen, wird aber darüber selbst gefangen, dann sie stellen ihr die Falle.

Der Tarantuln Biß ist heftig, und verursachet einen solchen Schmertz, als wie der Bienenstich. Das Fleisch rund um das angebissene Glied läufft auf und wird gantz grün und gelbe: einige Stunden darauf wird die Person mit einer tieffen Traurigkeit befallen, mit Zittern aller Glieder, mit schweren Athemhohlen, mit Hauptschmertzen, mit Hertzensangst und Bangigkeit, und der gantze Leib wird starr und steiff: der Puls wird schwächer und schwächer, das Gesichte vergehet, der Verstand verliehrt sich, das reden wird sehr sauer, man meidet oder fliehet die Gesellschaft, und suchet die einsamsten Orte.

Unterweilen lässet sich der Gift nicht eher, als ein Jahr, nachdem man ist gebissen worden, spüren: und die Zufälle, die dadurch verursachet werden, sind recht verwunderlich. Sie heben sich an mit den heftigsten Sprüngen, die der Patient zu machen pfleget: hernach stellen sich ein, verlohrner Appetit, hitzige Fieber, Schmertzen in den Gelencken, gelbe Sucht über den gantzen Leib, Schlafsucht, Verdrehung und Ausdehnung der Arme und der Beine, durch wunderliches Zucken und Ziehen in den Gliedern. Einige, die gebissen worden sind, lachen, andereweinen, die einen schreyen und singen, die andern schlafen, andere wachen, andere speyen und brechen sich, andere schwitzen, andere zittern, andere springen, andere tantzen, andere lauffen unaufhörlich. Etliche tragen solch grosses Belieben zu gewissen Farben, daß sie recht in Entzückung fallen, wann ihnen dergleichen vorgehalten wird: andere geben sich nicht zu frieden, wann sie nicht ein mit Wasser angefülltes gläsernes Geschirr in Händen haben, und dann geberden sie sich anders nicht, als wie die Fechter, und machen einen Hauffen lächerliche Stellungen. Andere binden allerley schöne grüne Kräuter um den Kopf und um die Arme und Beine. Andere hangen sich mit den Schenckeln an die Bäume und lassen den übrigen Leib frey herunter hangen. Andere, wann sie genug gesprungen und getantzet haben, setzen sich nieder, ziehen die Knie zusammen und schliessen die Hände gantz veste herum, seufftzen und achtzen, als wie die allerbetrübtesten Personen. Andere werffen sich auf den Boden nieder, uñ schlagen mit den Händen und mit den Füssen so heftig, als ob sie das böse Wesen hätten. Andere weltzen sich[1111] im Kothe herum. Kurtz: alle stellen sich als wie die Narren und Wahnwitzigen; doch haben sie auch ihre guten Stunden, und da reden sie gantz vernünftig: keinem Menschen thun sie insgemein kein Leid; und scheuen sich am meisten vor dem blosen Degen.

Die Mittel, welche am allermeisten helffen, sind: man lässet sie, bis daß sie müde werden, tantzen, und das viel Tage hinter einander, fünff bis sechs Stunden lang, lässet ihnen allerley Music machen, die ihnen nur anständig ist; dann alle Music gehöret nicht für alle ohne Unterschied. Etliche hören eine Baßgeige gerne, andere die Trompete, andere die Hautbois und Schallmeye. Durch dergleichen Belustigung und heftige Bewegung wird das Gift zum theile, durch die Schweißlöchlein ausgetrieben und die Ursache der Kranckheit vermindert. Doch darff man sich darum nicht blos an dieses Mittel halten, sondern den Patienten müssen oftmahls das extractum Hellebori und pulvis Algaroth gereichet werden, damit sie recht häuffig von unten und von oben purgiren mögen, desgleichen läst man sie das flüchtige Saltz von Vipern, von Hirschhorn, von Menschenschedel, und vom Agtstein brauchen.

Wird dem Patienten durch jetztbesagte Mittel nicht bald Rath geschaffet, so stehet zu befahren, daß seine Kranckheit tödlich werde. Ist er aber ausser Gefahr und fast curiret, so wird dasselbige daran erkannt, wann er keine Lust nicht mehr zu tantzen hat: wiewol bey vielen dieser Patienten zu geschehen pfleget, daß nach Verfliessung jedes Jahres nach dem Biß, der Anfall wieder kommt, da muß man mit dem Tantz und der Music aufs neue anfangen. Wann der Anfall vorüber ist, so kommt der Patiente, gleichwie von einem tieffen Schlafe, wieder zu sich selbsten, und weiß von allem dem, was vorgegangen ist, nicht das geringste, auch nicht einmahl von tantzen.

Das Gift der Tarantuln wird von dem saueren und flüchtigen Saltze verursachet; das wird in das Gehirne aufgeführet und hänget sich an die Häutlein seiner Gefässe, erwecket allda unter den Lebensgeistern und in dem Ursprung oder Anfange der Nerven, allerhand Bewegungen, kützeln und andere Anstösse, nachdem sichs nämlich reget und mehr oder minder fermentirt und gähret, davon entstehen alle oben angeführete verdrießliche Zufälle.

Vor einigen Jahren hat ein Mitglied von der königlichen Academie der Wissenschaften eine Dissertation von den Tarantuln heraus gegeben; dieselbe ist der Historie ermeldter Academie, vom 1702. Jahre, pag. 20. edit. Amstelod. einverleibet worden.

Taruntula kommt von Tarento, dieweil sich dieses Ungeziefer vor diesem sonst fast nirgends als um diese Stadt hat finden lassen.

Quelle:
Lemery, Nicholas: Vollständiges Materialien-Lexicon. Leipzig, 1721., Sp. 1110-1112.
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