Vier und zwanzigstes Kapitel

[234] Unter einem immerwährenden Wechsel von Weh und Freude in Mariens Seele gingen einige Wochen vorüber und Ludwig bestand nun auf die Erfüllung ihres Versprechens.

Mit schwerem Herzen willigte Marie in eine Verbindung mit ihm auf ewig. Nicht als ob sich der leiseste Zweifel an seinem schonenden, vergebenden Edelmuth in ihr geregt hätte, – nur zu tief hatte sie so manche Probe seiner Delikatesse durchdrungen; aber in ihrer Seele, in der sich alles auf Nebelgrund mahlte, fühlte sie deutlich, daß ihr die Vergangenheit ewig eine Wunde bleiben würde, die nur der Tod zu stillen vermöchte. Was ihr ehemals im blendenden Rosenlicht der Liebe verzeihlich dünkte, schien ihr jetzt ein Verbrechen zu seyn, und dahin gehörte auch ihr wankelmüthiges[234] Benehmen gegen Ludwig, und die Uebereilung, mit der sie im Rausch der Leidenschaft die Belohnung, die sie seiner festen Treue schuldig war, ihrem eignen, erträumten Glück und der Liebe eines Mannes opferte, der ihrer so unwerth war.

Aber Ludwig wollte nicht ohne sie leben und sie ergab sich sanft in seine Wünsche. Ihre Heurath wurde feierlich in der Kirche vor der ganzen versammelten Gemeinde vollzogen, und Konrad und Liese wohnten der Trauung mit einer so gerührten, innigen Freude bey, als würde ihre eigne Tochter vor dem Altar zur unzertrennlichen Gefährtin des glücklichen Försters geweiht.

Marie bezog nun mit ihrem Manne den Waldenberg, und ihre kleine, aber angenehme Wohnung war ganz so einsam, wie sie es wünschte. In nützlichen Beschäftigungen brachte sie ihre Tage hin, und über ihre Gestalt breitete sich eine holde Ruhe, die ihr Wesen beseelte und Ludwig die süßeste Hoffnung gab, sie werde von ihrem Grame genesen. Aber er war nur erschöpft, nicht gehoben, und führte sie langsam dem offenen Grabe zu. Sie empfand immer einen schmerzlichen Unterschied[235] zwischen ihrem und Ludwigs Innern. Je reiner und fleckenloser das seinige war, je vorwurfsvoller dünkte ihr das ihrige, und alle seine Liebe kam ihr nur wie ein mitleidiges Herabneigen zu einer unglücklichen Verirrten vor, so sehr er sich auch Mühe gab, ihr zu zeigen, daß er sie nicht allein liebte, sondern auch achtete. – Ihrem traurenden Herzen that seine Güte weh, und je weiter er sich von jeder Erinnerung voriger Zeiten entfernte, je näher leitete sie ihr stiller Schmerz zu ihr hin.

Einige Monate war sie seine Frau gewesen, da überfiel sie eine unbeschreibliche Mattigkeit. Ludwig pflegte sie mit aller Zärtlichkeit, die er für sie empfand, und suchte alles hervor, was sie erheitern und stärken konnte. Ich habe einen Wunsch, liebster Mann! sagte sie zu ihm, den ich gern erfüllt sähe, da ich vielleicht bald mein Auge auf ewig schließe. – Ludwig konnte das seinige nicht trocknen und ihr nur durch eine Bewegung mit der Hand zu verstehn geben, daß er ihn gewähren würde.

Meine Muhme Köhler, fuhr sie fort, lebt wahrscheinlich noch immer in Wodmars Hause, –[236] ich wünschte sie in meinen letzten Stunden um mich zu haben und sie Dir zu hinterlassen, wenn ich sterbe. Sie wird Dein Hauswesen gut in Acht nehmen, bis Du zu einer zweiten Wahl schreitest, und sollte Deine künftige Frau sie nicht um sich haben mögen, so laß sie zur guten Liese ziehn und gieb ihr, um meines Andenkens willen, so viel, als sie zu ihrem Auskommen braucht. – Sie verließ aus Liebe zu mir ihre ruhige Lage in der Stadt, und hoffte Freuden mit mir zu theilen, die man uns vorspiegelte. – Ach, sie hat nichts mit mir getheilt, als meine einsamen Tage, meine Thränen um den geliebten Vater, und mein Erstarren, als wir entdeckten, daß wir betrogen waren! – Willst Du ihr schreiben, daß sie kommen soll? – Ludwig that es mit einem namenlosen Kummer. –

Noch eins, sagte sie, als er fertig war, und zog ihn liebevoll zu sich nieder. In ihren schönen Augen schwamm ein feuchter Schimmer, der sich in eine volle Thräne sammelte und ihre eingefallene, blaßgeröthete Wange hinabschlich, – noch eins habe ich auf dem Herzen, aber ich thue es nicht ohne Deinen Beifall. Ich fühle, daß der Tod mir nicht mehr fern ist, und seine Annäherung[237] macht mich sanfter, als ich in den Tagen meiner sinkenden Gesundheit war. Vielleicht ist Wodmar schuld an meinem frühen Sterben, – vielleicht auch nicht! Aber wäre er es auch, so ist es schön, den Abend seines Lebens mit einer edlen That zu bezeichnen und zu enden; drum erlaube mir einige Zeilen an ihn, in denen ich ihm sage, daß ich ihm vergeben habe, und daß ich diese Welt verlasse, ohne seinem Andenken zu fluchen. Ach, ich hasse ihn nur noch um Deinetwillen; – die Schmerzen, die er mir machte, hab' ich ihm längst verziehen. Willst Du, mein Ludwig! mir diese letzte Bitte erfüllen, so wirst Du meinem Herzen noch neue Freude geben, ehe es bricht; – willst Du es anders, nun so bring' ich Dir ohne Murren den kurzen Genuß, den sie mir gewähren würde, zum Opfer.

Kannst Du noch fragen, unterbrach sie Ludwig auf ihre Hand gebeugt, die er fest an sein Herz drückte. Thu' alles, geliebte Seele, was Dir Freude macht! – O, könnt' ich für Dich sterben! – –

Marie ließ sich also eine Feder bringen und Ludwig irrte im Walde umher, den Schreckensbildern[238] zu entfliehn, mit denen ihr herannahendes Ende ihn umgab. Es war still in dem öden Krankenzimmer um sie her, wie in ihrer Seele, und sie nahm alle ihre Kräfte zusammen, um diese Zeilen zu schreiben:

»Wenn Sie dieses Blatt erhalten, werden vielleicht die Hände schon verwesen, die es schrieben, und das Herz, das Sie geliebt hat, schlägt nicht mehr und schlummert in der Erde. Aber ehe es der Todeskampf stumm und kalt macht, will es noch einmal zu dem Ihrigen sprechen und Ihnen vergeben. Still und feierlich naht sich mir die Minute meines Sterbens, und ich sehe ihr heiter entgegen, denn sie erscheint mir wie eine geliebte Gestalt im Traum und öffnet mir den Himmel. Ich habe nichts auf dieser Welt gehabt, als den kurzen, aber süßen Wahn Ihrer Liebe, – den Schmerz betrogen worden zu seyn, und Thränen. Selbst die Zärtlichkeit des besten, edelsten Mannes vermochte mir nichts mehr als doppelte Reue zu geben, daß ich ihn jemals meiner unglücklichen Leidenschaft aufopfern konnte; – ich scheide also gern, da meiner traurenden Seele die Erde nur ein Kerker dünkt. – Aber in diesen letzten Stunden meines Lebens wird mein Herz[239] weich und geneigt zu vergeben. Nehmen Sie also mit dem letzten Lebewvhl, das ich Ihnen durch die weite Ferne zurufe, die uns trennt, die Versicherung hin, daß ich versöhnt mit Ihnen sterbe. Ach, ich will es Ihnen nicht verbergen, daß mein Haß und mein Abscheu für Sie mit meiner fallenden Gesundheit dahin floh, und – meine Lippen soll auch im Tode keine Lüge beflecken, – daß ich Ihr Bild und alle meine ehemalige Liebe zu Ihnen in meinem brechenden Herzen mit ins Grab nehme. Seyn Sie glücklich in den Armen ihrer liebenswürdigen Gemahlin, und mein Andenken störe nie Ihre Heiterkeit, sondern nur Ihren Leichtsinn, indem es Sie an die traurigen Folgen erinnert, die er hatte. Ich verzeihe Ihnen, ich würde Ihnen noch mehr sagen, aber der Augenblick ist nun vorüber, der mir erlaubte, offenherzig zu seyn, und alle die übrigen, die ihm folgen, gehören Ludwig und meinen Pflichten! – Leben Sie ewig, ewig wohl! Einst, wenn Ihr Herz zur Tugend zurückgekehrt ist und sich müde geschlagen hat im Getümmel der Welt und unter dem Drucke des Lebens, dann Wodmar! – o diese Hoffnung ist Deiner Marie süß, – dann sehn wir uns wieder!«[240]

Sie endigte diesen Brief mit vieler Heiterkeit und Ruhe des Geistes, siegelte ihn selbst und gab ihn Ludwig, mit der Bitte, ihn nach ihrem Tode zu besorgen. Konrad eilte so schnell, als es ihm möglich war, Frau Köhler zu holen, und Liese kam nicht von dem Krankenbett ihrer geliebten Freundin, und gab durch die unermüdete Sorgfalt, mit der sie sie abwartete, und durch die redlichen Thränen, die sie bey ihrer immer zunehmenden Entkräftung vergoß, einen rührenden Beweis, wie gut der Mensch seyn kann, auch ohne Politur, die oft am innern Werthe nimmt, was sie dem Aeußerlichen an Glanz giebt.

Ludwig, dessen treues Herz sich, nachdem er sie wiedergefunden, fester als jemals an sie geheftet hatte, – Ludwig, der jetzt den Moment sich nahen sah, in dem er sie für dieses ganze lange Leben verlieren sollte, hatte keinen Trost für seinen Schmerz, als den, der allen Unglücklichen bleibt, den Trost der Sterblichkeit.

Er verließ das Zimmer seiner geliebten Gattin keinen Augenblick, und bewachte unter Furcht und Hoffnung, die in ihm abwechselten, jede ihrer Bewegungen. Einst erwachte sie nach einem[241] sanften Schlummer, – ihr Auge blickte sich hell und selig um, und sie reichte in trunkner Freude Ludwig ihre Hände, der an ihrem Bette saß. O mein Ludwig! sagte sie, und die Glorie der Verklärung schien ihre bleiche Gestalt zu umschweben und lieh ihr ein überirdisches Lächeln, ich habe den ganzen Himmel gesehn, und meinen Vater und mich selbst, in dem schönsten aller Träume! Ach, wie war mir so wohl im Kreise der Seligen! Unsre Erde lag wie eine dunkle Wolke unter mir, und ich konnte keine der lieben Gestalten erkennen, die ich zurückgelassen hatte. Und doch wurde mein Herz weich vor Sehnsucht, die Seligkeit mit ihnen zu theilen, die mein ganzes Wesen durchströmte. Da senkte sich von der zweiten Welt, die ich bewohnte, eine blaue Nebelsäule hinab auf die verlaßnen, dunkeln Gefilde meines ehemaligen Vaterlandes, – und glänzender stieg sie wieder empor, – – süße Ahndung und Wehmuth schmelzten mein Herz! Du tratest aus dem blauen Duft, der Dich umgab, und mein Vater segnete unser Wiedersehn. Dann führte mir der Engel der Versöhnung auch Wodmar entgegen und wir umfaßten uns alle in stiller Liebe, die niemand störte und niemand tadelte! Da verloren wir plötzlich unsre Gestalten, –[242] sie sanken hinab in offne Gräber, aber unsre Seelen kannten sich doch und liebten sich, auch ohne die bekannte Hülle. – Ihr Auge wurde starrer unter den freudigen Thränen, die es vergoß, – ihr Mund bewegte sich noch lächelnd, aber ohne zu sprechen, und ohne Krampf und Zuckungen floh in Ludwigs Armen, wie der leise Athem der Frühlingsluft, ihr entrinnendes Leben dahin! – –[243]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Marie Müller. Schleswig 21814, S. 234-244.
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