I

Ein liebes Mädchen sollst Du heute kennen lernen, Alexander, sagte die verwitwete Generalin von Zwenkau zu ihrem Neffen, einem zwanzigjährigen Husarenoffizier, der aus der Residenz gekommen war, sie in der Landstadt zu besuchen, in der sie wohnte. Das wäre eine Parthie für Dich. Gut, hübsch, sehr verständig, wohlerzogen und reich – liebes Kind, was könntest Du mehr verlangen? Das sind fürwahr Eigenschaften, die eine glückliche Ehe gründen.

Ehe? antwortete Alexander lachend. Dafür, hoffe ich, soll mich der Himmel mein Leben lang bewahren. Nein, Tante, die Liebe ist eine Frühlingssonne, die das Daseyn wärmt, und duftende Blumen hervorlockt – die Ehe aber ein Maienfrost, unter dessen feindseeligem Einfluß sie wieder erstarren. Ungebunden, nur mir selbst angehörend, will ich des Lebens süßen Reiz genießen, und nie[3] mein Haupt jenem Joche darbieten, dessen Schwere nicht allein die Freiheit, sondern auch das Glück erdrückt.

So hat die Verdorbenheit großer Städte auch Deine Grundsätze schon vergiftet, versetzte die Generalin. O Alexander, laß Dich doch nicht irre leiten von der sittenlosen, versunkenen Menge, die der ehrwürdigsten Gefühle spottet, weil in ihrer kraftlosen Brust kein Raum mehr dafür ist. Eine frühe Verbindung mit einem achtungswerthen weiblichen Geschöpf wäre ganz gewiß ein sicheres Mittel, Dich in diesem Schwarm rein Dir selbst zu erhalten – soll ich nicht wünschen, daß Du es ergreifen möchtest? Ernestine, oder Erna, wie wir gewohnt sind, sie zu nennen, die ich längst für Dich im Sinne hatte, ist die einzige Tochter einer meiner Freundinnen, der Frau von Willfried, die das hier unmittelbar an die Stadt gränzende Landguth Seedorf bewohnt. Wiewohl noch nicht vierzehn Jahr alt, verspricht dies hoffnungsvolle Kind doch ein Muster weiblicher Liebenswürdigkeit zu werden. Es fehlt ihr nichts bei den vollkommensten, zum Theil schon entwickelten Anlagen, als ein gewisses Selbstvertrauen, das ihre Schüchternheit nicht aufkeimen läßt. Sie ist so bescheiden, so wahrhaft demüthig, daß sie keine Ahnung davon hat, wie viel sie seyn könnte, wollte sie ihren Werth geltend machen. Nur wer sie so genau[4] kennt wie ich, wird sie ganz verstehen, aber sie verdient das Studium ihres Charakters, und wahrlich, es belohnt sich, denn nie wohnte ein reineres, heiligeres Gemüth in einer lieblicheren Hülle.

Sie machen mich ganz neugierig, liebe Tante, unterbrach sie Alexander scherzend. Ich bin ein Freund der jungen Rosenknospen, deren erstes zartes Roth zwischen frischem Frühlingsgrün hervordämmert, und oft in dem Versprechen eines herrlichen Entfaltens schon eben so schön ist, als in der Blüthe selbst. Gern werd' ich mich an dem reizenden Anblick weiden, und – will das holde Röschen für mich blühen, mich an seinem süßen Duft ergötzen. Aber es auf ewig in meinen Lebenskranz winden, nein Tante, das vermag ich nicht, und wäre es auch völlig dornenlos, und geradeswegs aus Eden entsprossen.

Leichtsinniger! sprach die Generalin sehr ernst, wenn Du auch – scheinbar oder wirklich – doch hoff ich, nur das erstere, den Sinn für Lauterkeit und reine Sitten verloren hast, so wirst Du doch nicht vergessen, welch' hohe Achtung der Unschuld gebührt. Ich erwarte daher wenigstens, daß Du die Tochter meiner Freundin nicht zum Spielwerk männlicher Koketterie und frivoler Eroberungssucht wählst, und der Ruhe ihres Herzens schonst, wenn Du auch, ihrer Reinheit wegen, sie vielleicht mit Recht zu hoch über Dir[5] erblickst, um an eine Verbindung mit ihr denken zu mögen.

Alexander sah, daß seine Tante aufgebracht war. Er küßte schmeichelnd ihre Hände, und versicherte ihr mit all der einnehmenden Anmuth, die ihm eigen war, daß seine Aeußerungen bei weitem nicht so ernstlich gemeint seien, als sie ihr schienen, und daß – wenn er sich auch noch für viel zu jung zum Heirathen halte, er doch gewiß ihrer mütterlichen Absicht, so wie den Verdiensten ihres unbekannten Lieblings volle Gerechtigkeit widerfahren lasse.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 3-6.
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