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[83] Unstreitig war Alexander der beste Tänzer der Residenz. Nicht Eitelkeit oder der ihm sonst so gewöhnliche Hang zu glänzen, sondern der Wunsch, in irgend eine leise Beziehung mit ihr zu kommen, erweckte das Verlangen in ihm mit Erna zu tanzen, und schon wollte er bittend sich ihr nähern, als sie aufstand, und – einem Glücklicheren bereits versagt – an ihm vorüber ging.

Als Zuschauer blieb er, an eine Säule sich lehnend, stehen, und war so vertieft in ihrem Anblick, daß er die Annäherung der Gräfin Tannow, nicht bemerkte. Er schrack ein wenig zusammen, als ihre scherzhafte Anrede ihm bewies, daß er beachtet worden sei. Doch schien sie kein Arg aus seinem, jede Bewegung Erna's verschlingenden Anschauen zu haben, sondern es nur auf sein Interesse an einer Kunst zu beziehen, in der er selbst Meister war, und als sie gleich darauf äußerte, daß er ihren Gästen durchaus das Vergnügen verschaffen müsse, ihn mit Fräulein Willfried tanzen zu sehen, weil außer ihm kein Tänzer ihr völlig an Geschicklichkeit gleich sei, erfüllte sie, ohne es zu ahnen, den brennendsten Wunsch seines Innern, indem sie auf seine etwas schüchterne Einwendung, daß er ihr noch gar nicht vorgestellt sei, und daher nicht wage, sie aufzufodern, sich –[83] um des allgemeinen Bestens willen, wie sie sagte, das durch den Genuß eines solchen Schauspiels gewinnen werde – zu seiner Fürsprecherin erbot.

Mit ihrem Tuche sich Kühlung zuwehend, saß Erna nach geendigtem Tanz in der Reihe der Damen, als die Gräfin ihr nahte, und Alexandern ihr vorstellend, seinen Namen nannte.

Der Klang desselben schien sie keineswegs zu erschüttern, wie er erwartet hatte. Sie erhob sich von ihrem Sitze, ihn zu begrüßen, doch würdigte sie ihn nur eines kurzen, ruhig an ihm vorübergleitenden Blickes, und seine Anrede gleichsam überhörend, wandte sie sich von ihm ab, zur Gräfin, mit Feinheit und völliger Unbefangenheit ein heiteres Gespräch beginnend.

Da stand er jetzt, der sonst so kühne übermüthige Jüngling, die Gluth der Verlegenheit auf seinen Wangen, und den schmerzenden Stachel der Demüthigung tief und immer tiefer in die Brust gedrückt. Welch ein Empfang! – Ihm war, als müsse die ganze Versammlung wahrgenommen haben, wie gleichgültig und beschämend sie ihn aufgenommen hatte, sie, deren Herz er bei'm Wiedersehn vom Blitz zärtlicher Erinnerungen getroffen, vom Weh mühsam bekämpfter, aber nicht erstickter Liebe bestürmt glaubte.

Er biß sich grimmig in die Lippen, während er mit den Augen unstät umherschweifte, und mit[84] Anstrengung aller seiner Kraft sich bestrebte, durch äußerliche Fassung den innern Aufruhr seines Wesens zu verschleiern.

Die Gräfin drang freilich nicht in die eigentliche Tiefe seines bitter gereitzten Gefühls ein, aber ein wenig zu oberflächlich, um höflich zu seyn, schien ihr doch das Benehmen des Fräuleins gegen ihn, wenn sie es gleich nur für zufällig hielt, und um die Empfindlichkeit zu mildern, die sie sehr wohl an ihn bemerkte, sprach sie in der Hoffnung, das Unangenehme seiner Situation zu vermitteln, die Bitte aus, daß Erna ihm, der ein ihrer Kunst würdiger Tänzer sei, zur Freude sämmtlicher Zuschauer eine Française schenken möge.

Ruhig, ohne ein Zeichen des Unwillens oder der persönlichen Abneigung erklärte sie, daß der Wunsch der Gräfin ihr Befehl seyn würde, wenn sie nicht bereits das Maas im Tanzen überschritten hätte, das ärztliche Vorschrift ihr ihrer Gesundheit wegen vorgezeichnet habe. Eine lang anhaltende, heftige Bewegung vertrage sich nicht mit ihrem Wohlbefinden, und sie sei zu erhitzt und ermüdet, um diesen Abend noch wieder tanzen zu dürfen.

Da ihre Entschuldigungsgründe von ihrer Gesundheit hergeleitet waren, konnte die Gräfin nichts dagegen einwenden, und mit der feinen Geschliffenheit der großen Welt, die bei keinem Gegenstand[85] so lange verweilt, daß er langweilig wird, gab sie dem Gespräch sogleich eine andere Wendung.

Indeß begann ein neuer Tanz, und die beiden Damen, zwischen welchen Erna gesessen, folgten der Aufforderung, daran Theil zu nehmen. Die Gräfin wurde abgerufen, und Erna, sich jetzt nicht ohne einige Verlegenheit ihm allein gegenüber findend, setzte sich wieder mit gesenktem Auge auf ihren Platz, während er mit klopfender Brust sich zu dem Entschluß ermuthigte, sich kühn an ihrer Seite niederzulassen, und sie anzureden.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 83-86.
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