VII

[90] Bitter, und im höchsten Grad aufgeregt war die Stimmung, in welcher Alexander ihr nachsah. Das Schonungslose, Auffallende ihrer brüsquen Entfernung beleidigte ihn fast noch mehr als die ihn herabwürdigende Bedeutung ihrer Worte, denn es stellte ihn seiner Meinung nach, vor der Welt blos, und er fühlte sich, voll Furcht, daß ein seine Eigenliebe so demüthigendes Benehmen von jedermann habe bemerkt werden können, eben so empfindlich am Heiligthum äußerer Ehre angegriffen, als tief im Innern gekränkt, durch das Unrecht, das sie ihm that.[90]

Indeß – dies letztere mußte er ihr wohl verzeihen, denn war er es nicht, der ihre zutrauensvolle Jugend durch Argwohn vergiftet, und den Glauben an Wahrheit, Güte und Treue in ihr erschüttert hatte? O wie gern hätt' er jetzt ihn neu erweckt – wie innig, schmerzlich sogar, war sein Sehnen, sie möge milde ihm die reine unbefleckte Hand reichen, um aus seinem bisher so profanen Leben ihn in ein besseres, seiner würdigeres, hinüber zu ziehen. Was hätt' er nicht darum gegeben, jenen feindselig erkältenden Eindruck wieder verlöschen zu können, den er einst so froh war, in ihrem Herzen erregt zu haben. Doch – wer vermag das Rad der Zeit zurück zu wälzen, und Geschehenes ungeschehen zu machen? Noch verließ ihn die Hoffnung, sie zu gewinnen, nicht, denn nach den ersten Momenten unmuthiger Aufwallung flüsterte seine Eitelkeit Worte des Trostes in den Sturm seiner Seele.

Sie zürnet Dir – Gott sei Dank! – Du bist ihr nicht gleichgültig, jubelte er, als er bedachte, daß sie, die Feingebildete, unmöglich mit Verletzung aller Höflichkeit so heftig von ihm geschieden seyn würde, wenn ihr Gemüth nicht im lebhaftesten Kampfe zwischen Stolz und Neigung begriffen gewesen wäre.

Da er es nicht für gerathen hielt, heute noch den Versuch, sie zu sprechen, zu erneuern, so bemühte[91] er sich wenigstens, etwas näheres über ihre hiesigen Verhältnisse zu erfahren.

Man erzählte ihm, daß sie erst ganz kürzlich mit der *sischen Gesandtin hier angekommen sei. Sie habe in Italien ihre Bekanntschaft gemacht, und sei von ihrer Mutter auf dem Sterbebette dem Schutz und der Fürsorge derselben empfohlen worden. Diese habe nach dem Tode der Frau von Willfried mit inniger Liebe das theuere ihr anvertraute Pfand bei sich aufgenommen, und Erna mit sich nach Frankreich geführt, wo ihr Gemahl früher, ehe er hieher versetzt worden, einem diplomatischen Posten vorgestanden. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Paris habe das veränderliche Loos seines Standes ihm hier seinen Platz als Gesandter angewiesen, und Erna, die sich so innig zu dieser Familie zähle, als sei sie durch Bande des Bluts mit ihr verwandt, sei ihr auch hieher gefolgt. Man rühmte sehr den anmuthigen Ton dieses Hauses, und rieth Alexandern, sich doch ja recht bald dort einführen zu lassen, da man stets einen auserwählten kleinen Cirkel und die angenehmste Unterhaltung dort finde.

Um den Pfeil, mit welchem Erna's Schönheit ihn verwundet hatte, ihm durch ihren steten Anblick noch tiefer ins Herz zu drücken, wieß ihm der Zufall seinen Platz bei der Abendtafel ihr gerade gegenüber an.[92]

Wie brannte er vor Verlangen, nur einem jener Blicke zu begegnen, der wie einst, als er ein solches Glück noch nicht zu schätzen wußte, ihm ihr vom süßen Zauber der Liebe bewegtes Gemüth verrathen hatte. Aber umsonst. Sie schien der Erinnerung jener Zeit so ganz entfremdet zu seyn, so völlig seine Bekanntschaft und das noch vor wenig Momenten Vorgefallene vergessen zu haben, daß ihr Auge so untheilnehmend und fremd über ihn hinwegstreifte, als sei er gar nicht da – wenigstens nicht für sie.

Und doch gewährte es ihm einen schmerzlichen Genuß, sie unablässig zu beobachten. Die Unschuld und Unbefangenheit eines Kindes mit scharfem Verstand und der feinsten Geistesbildung verbunden, die größte Anspruchslosigkeit bei dem entschiedensten Recht zu Ansprüchen, stellte in ihrer Person ein seltenes, aber unwiderstehliches Gemisch von Liebenswürdigkeit dar, das kaum ihrer siegenden Reize bedurft hätte, um jedes Herz magnetisch anzuziehen. Heiter, wie ein Frühlingstag, und sich der Fröhlichkeit des Augenblicks kindlich hingebend unterhielt sie sich mit ihren Nachbaren, und wer sie in diesem Austausch des Scherzes und der geselligen Mittheilungen sah, konnte schwerlich ahnen, daß ihr Geist in der Schule ernster Erfahrungen gereift, ihr Gefühl im Prüfungsfeuer tiefen Schmerzes geläutert sei.[93]

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 90-94.
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