XV

[275] Stumm stand Erna jetzt Alexandern gegenüber. Sein Gesicht brannte, von der Gluth innerer Empörung geröthet, ein convulsivisches Zittern flog durch seinen ganzen Körper, und krampfhaft hatte er, ohne es selbst zu wissen, beide Fäuste geballt.

Da nahte ihm die Geliebte, dem Engel des Friedens gleichend, dessen Blick Vergebung, dessen Lächeln Versöhnung ist, und seine starre Hand fassend und sie innig drückend rief sie ihn, durch dies noch nie vorher von ihr empfangene Zeichen ihrer Gunst, aus dem Schwefelpfuhl ohnmächtiger Wuth wieder zur Besinnung und zur Besänftigung empor.[275]

Sie konnte nicht sprechen, denn zu beklemmt war ihre Brust von dem Schmerz über die Kränkung, die er erlitten, vom Vorgefühl der nahen, unvermeidlichen, und – wie die Weissagung ihres Herzens ihr zuflüsterte – ewigen Trennung, und von der dunkeln Perspective in die freudenlose Zukunft an der Seite eines rauhen, ungerechten Mannes, der nach dieser Scene das höchste Gut, das er bisher in ihr besessen, ihre Achtung nämlich, verloren hatte.

Nach Fassung ringend, sah sie ihm lange unverwandt in die Augen – da wurde ihr plötzlich leichter – ihre Blicke schimmerten, wie himmlische, trostverheißende Sterne, ehe sie in milden Thränen hinthauten, und in diesen Thränen fand sie Linderung, fand sie sich selbst und ihre Kraft wieder.

Wir müssen uns trennen, mein theuerer Freund, sprach sie; denn kein Opfer darf mir zu schwer seyn, wenn es die Beschwichtigung des Mannes gilt, dem ich mit allen seinen Fehlern nun einmal zugesellt und ihn zu ehren und zu schonen verpflichtet bin. Möchte das Vereinsamte meines künftigen Lebens durch die Ueberzeugung erheitert werden, daß Sie auch mit Nachsicht auf diese Stunde zurückblicken, und ohne Groll aus einem Kreise scheiden wollen, in dem ich Ihnen[276] ewig ein treues Andenken bewahre. Leben Sie wohl!

Sie ward immer bleicher – mit halb geschlossenen Augen senkte sich ihr Blick vorwärts – Alexander fürchtete, daß eine Ohnmacht sie anwandle, und fing sie in seinen Armen auf. Da ruhte ihre kalte Wange einen flüchtigen Moment an seinem flammenden Antlitz, und seiner selbst nicht mehr mächtig, bis zur Verwegenheit berauscht von einem nie als möglich geträumten Glück, das so unmittelbar auf die tiefste Erschütterung der gehässigsten Gemüthsbewegungen folgte, wagte er es, seine glühenden Lippen auf ihren Mund zu drücken.

Du liebst mich, Himmlische! rief er aus; o ich hab es immer geahnet, geglaubt, und mit allen Kräften meiner Seele gewünscht. Wie kann ich je verzagen, nun ich den Trost dieser Gewisheit mit mir nehme – wie kann ich jemals murren, wenn die Erinnerung dieser Stunde mein früh verblichenes Leben mit ihrem Wiederschein verklärt?

Da ermannte sich Erna, und wand sich los aus seinen Armen. In stiller Hoheit stand sie vor ihm da, selbst in der Milde der Wehmuth, die sie umfloß, ihn in die Schranken der strengsten Ehrfurcht zurückweisend, die seine Kühnheit überschritten hatte. Leben Sie wohl! sagte sie[277] noch einmal, leise und tief gefühlt, ihm mit der Hand den letzten Abschied zuwinkend – leben Sie wohl! sagte auch er, und stürzte hinaus. – Da trat sie ans Fenster, ihn wegreiten zu sehen, und als der Hufschlag seines Rosses nun verhallte, und seine Gestalt wie auf Sturmwindsflügeln ihren Augen entrückt war, da wehrte sie den häufiger hervorquellenden Thränen nicht. Denn es war ihr klar geworden, diese Liebe, die sie nur ungern sich selbst gestand, sei die Wurzel, wie die Blüthe ihres Lebens – das Prisma ihrer Jugend nun zerbrochen – und hinter drohenden Gewitterwolken der letzte Glanz verschwunden, der ihr Loos vergoldete.

Quelle:
Charlotte von Ahlefeld: Erna. Altona 1820, S. 275-278.
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