Neuntes Kapitel.

Es ritten drei Reiter.

[91] Die drei Reiter hatten, als es Mitternacht schlug, längst die Sumpfwiesen umritten und trabten inmitten des Waldes, wo der Boden, von tausend Kieferwurzeln durchflochten, so fest war, daß der Hufschlag durch die Stille der Nacht widertönte. Als der Glockenschlag verhallte, hielt der Herr von Lindenberg plötzlich still und zog tief Athem. Er schien, als sie ihn fragten, noch von etwas Unerwartetem betroffen und strich mit der Hand über die Stirn.

»Saht Ihr gar nichts?« sprach er mit gedämpfter Stimme.

Hans Jochem wollte nur einen Lichtstreifen gesehen haben, der vielleicht von einer Birke herrührte, die ihre Aeste geschüttelt.

»Das war es nicht.«

Peter Melchior aber sagte mit leiser Stimme: »Es ist nicht gut, daß wir davon sprechen. Nachher, wenn's tagt.«

Der Ritter schüttelte den Kopf: »So wär es also wieder nichts als Augentäuschung. Und doch so deutlich wie zuvor noch nicht. Die Sporen schlugen mir an die Stirn. Saht Ihr nicht wie ich mich zurückbog?«

Die Beiden sahen nur eine absterbende Buche, deren trockener Ast, auch vom Winde geschüttelt, das Haupt des Ritters schwerlich[91] erreichen konnte. Es war eben in dem Augenblick ganz still in der Luft.

»Anderswo reit ich,« sprach der von Lindenberg, »um Mitternacht wie um Mittag durch Haide und Wald.«

»Der Strich hier ist nicht geheuer, das ist schon richtig,« entgegnete Peter Melchior, »drum reite ich nimmer bei Nachtzeit als die Arme auf der Brust gekreuzt. Seht so. Auch sind wir zu Dreien, da scheut sich das Gesindel vor der heiligen Zahl. Es sind, daß ich's sage, die vermaledeiten Weiber, das Hexengezücht. Die schießen, wehen, reiten, purzeln in den Weg. Da ist gar keine Gestalt, die sie nicht annehmen; bald schießen sie als ein dürrer Baum, bald als Schlange, Wurzel, als Fledermaus. Jetzt baumelt so eine am Ast wie ein Galgenmann, und wenn Ihr scharf drauf schaut, ist's ne Raupe an einem Faden. Und greift Ihr zu, habt Ihr 'nen Dorn in der Hand, und laßt Ihr ihn fallen, schlüpft's als Eidechs fort. Ihr seid nirgend sicher an solchem Ort und zu solcher Stunde, daß es Euch nicht rechts und links einen Schlag versetzt.«

Im nämlichen Augenblick klatschte es zur Rechten des Junkers auf die Weichen seines Pferdes, daß es sich bäumte und im gestreckten Galopp mit seinem Reiter auf und davon flog. Hätte auch Hans Jochem seine Lust gezügelt und nicht aufgeprustet, wie er that, würde es der Ritter doch gemerkt haben, daß er es war, der dem Pferde mit der Gerte einen Schlag versetzt.

»Ihr thatet Unrecht, Junker,« sprach er ernst, doch nicht zornig. »Man muß des Teufels nie spotten.«

»Ei gnädiger Herr, ich spottete nur Peter Melchiors. Er redet gar zu klug, wenn er auf die Hexen kommt. Wenn man ihn nicht manches Mal kitzeln könnte, wär's wirklich nicht auszuhalten mit ihm.«

»Habt Ihr selbst immer Furcht?«

»Wofür?«

»Der beherzteste Bursch hat auch seine schwache Stunde – ich meine im Walde, wie wir hier.«

»Ich weiß, wo er zu End ist.«

»Bei Nacht?«

»Morgen scheint die Sonne.«

»Wirklich! Manchem herzhaften Manne ist's doch bisweilen in der Nacht zu Muthe, als zweifle er, ob er den Morgen noch sehen werde.«

Hans Jochem lachte: »Wie sollte das zugehen!«[92]

Der Ritter schaute ihn noch ernsthafter an: »Nun er macht oft nur Uebel ärger. Bekenn es Euch offen, mich drückt das Etwas, das ich mir nicht erkläre, wie ein Alp.«

Der Junge sah verwundert auf den Aelteren: »Herr von Lindenberg, vorhin –«

»War ich weinmüthig, 's war ein aufsteigender Kitzel. Die feuchte Nachtluft bringt andere Gedanken. Wer es weit bringen will, muß den Kitzel bekämpfen. Das lernt sich am Hofe.«

»Wir sind ja nicht am Hofe.«

»Aber Weisungen, klug zu sein, giebt uns die Natur, wo wir hinschauen. Der Fuchs baut sein Schloß mit vielen Ausgängen, das Roß wittert Blut und Mord, der Hund riecht den Wolf und schlägt an, wo des Menschen Sinn noch nichts gemerkt hat. Dafür ist etwas in der Luft, was dem Menschen die Dinge anzeigt, die da kommen mögen. Habt Ihr nimmer Ahnungen gehabt?«

»Die wollt' ich nach Haus weisen!« lachte Hans Jochem.

»Aber der Teufel hat Muth auf Erden, zumal wenn wir, was sie sündige Wege heißen, gehen.«

»Der Teufel ist ein dummer Teufel, Herr von Lindenberg. Nippel Bredow war mein Urältervater. Das Messer saß ihm schon an der Kehle. Von seinem Blut ist was in mir. Drum scheer' ich mich den Teufel um den Teufel. Und wenn der Gottseibeiuns mir ein Bein bricht, reit ich mit dem andern auf Eure Fährte.«

»Es wird vorübergehen,« sprach der Ritter, »wenn wir nur erst aus dem Wald 'naus sind. Dort kommt ja Peter Melchior.«

»Wißt Ihr was, gnädiger Herr,« flüsterte Hans Jochem, »wenn's erlaubt ist zu sagen. Einer taugt nicht zum Spaß. Wenn's losgeht, zehn gehen eins, kriegt er Bauchreißen; und das Maul kann er auch nicht halten.«

»Die Klette sitzt einmal am Mantel.«

»Ueberlaßt das mir; will's versuchen, sie loszuhaspeln. Wenn wir zwei Beide, Herr, allein ritten, das gäbe mehr Muth. Mit Gespenstern, da mögen drei gut sein, aber wo zwei sind, und Einer sich auf den Andern verlassen kann, das ist besser.«

Peter Melchior kam zurückgeritten, als der Waldweg sich schon lichtete. Die Nacht bedeckte mildthätig sein blasses Gesicht: »Seid Ihr's?« rief er noch dreißig Schritt entfernt. Lindenberg bemerkte die Lust seines muthwilligen Gefährten, den Junker wieder zu erschrecken. Er bat ihn, davon abzulassen, der Weg sei noch lang, Peter Melchior ihnen vielleicht doch noch von[93] Nutzen. Aber Hans Jochem konnte doch nicht ganz dem Triebe widerstehen.

»Seid Ihr's, Junker Peter Melchior von Krauchwitz?« antwortete er in ängstlichem Tone. »Und allein?«

»Wie sollt ich nicht allein sein! Ihr ließt mich ja im Stich.«

»Schüttelt Euch, oder dreht Euch um, ehe Ihr uns nahe kommt.«

»Saht Ihr's? Mich riß mein Pferd fort, daß mir die Sinne vergingen. Konnte mich kaum auf dem Sattel halten.«

»Nicht gesehen hätten wir's, Herr von Lindenberg!« rief wie erstaunt der kecke Bursch. »Es klammert sich ja um Euren Nacken wie der Luchs um das Hirschkalb. Ihre Kleider bauschten auf, und dick ward sie von hinten wie ein Mondkalb mit 'nem Jungen, daß uns schon bang ward, die Hex' hätt' Euch mit sammt Sporen, Wams und Stiefeln verschluckt! Denn von Euch sahen wir doch auch gar nichts. Wir haben sieben Paternoster für Eure Seele gebetet. – Wenn Ihr's nur wirklich seid, und kein Gesichte!«

»Beruhigt Euch, Herr von Krauchwitz,« sprach der Ritter. »Unser junger Freund sieht zuweilen die Dinge mit eigenen Augen an.«

»Wenn er einen Spaß treiben will, dann ist's nicht der rechte Ort,« sagte Melchior verdrießlich. »Nicht Jeder sieht den Stein, über den er fallen wird. Wir sind hier am Lieper Eck, wo ich immer sagte, daß es nicht geheuer ist. Sie Alle wollten's besser wissen. Der Tag hat's bewiesen und nun ist's Nacht. Dort kommt die Brücke, seht Euch vor, wenn Ihr hinüber reitet.«

Sie hatten sich dem freien Platze genähert, der vor wenigen Stunden noch der Tummelplatz so vieler Munterkeit gewesen. Jetzt herrschte eine Todtenstille; der Wind hatte sich gelegt, es rauschte nur noch in den Kiefernwipfeln und flüsterte in den Büschen. Nur vereinzelte Krähen, aufgescheucht durch den Stahlklang der Reiter, flatterten von ihren Aesten und schauten neugierig herab, wer sie in ihrem Schlaf gestört. Nur die Unken sangen unbekümmert und ununterbrochen ihr melancholisches Lied.

Der Anführer des kleinen Trupps schien seine vorigen Sorgen und Bedenklichkeiten abgeschüttelt zu haben. Er hielt vor der Brücke, die aus rauhen Birkenstämmen grob gezimmert war, still, schaute sich mit der Besonnenheit eines erfahrenen Mannes um, der vor einer wichtigen Unternehmung Erde, Luft und Wind prüfen will.

»Dies wäre also der Ort, wo Ihr den Krämer zuletzt saht.[94] Nun gilt's die Fährte zu verfolgen. Hier sind Kreuzwege. Wenn er gesagt, daß er nach Brandenburg wollte, brauchen wir es nicht blind hinzunehmen. Auch möglich, daß er die Brücke verschmäht hat und durch eine Fuhrt übers Wasser ging. Es ist also nötgig, den Boden zuvor zu prüfen. Wer von uns steigt vom Pferde?«

Es verstand sich, daß der Ritter Lindenberg durch die Frage sich selbst ausschloß. Auch war Hans Jochem schnell vom Roß, derweil der Junker auf dem seinen in mäßigem Trabe einen Kreislauf versuchte.

»Was ist das?« rief der Ritter, als Peter Melchior grad auf etwas zusprengte, das jenem im ungewissen Sternenschimmer verdächtig vorgekommen war, ohne daß er erkennen mochte, was es sei.

»Ein Strick!« rief Peter Melchior. »Ein Strick zum Hängen und zum Knebeln, je nachdem.«

»Ihr seid sehr aufgeräumt, Herr von Krauchwitz.«

»Nur der Strick, Herr von Lindenberg, thut's. Auf solchem Ritt muß man Alles mitnehmen. Die Nacht schenkt uns, was uns Noth thut und wir doch vergaßen.«

»So hinter Euch auf's Pferd damit, und lacht nicht so abscheulich.«

Die Fährte war gefunden; sie ging über die Brücke, verlor sich aber drüben bald wieder im Haidekraut, so daß die Reiter zunächst ihre ganze Aufmerksamkeit der Spur widmen mußten. Die Geisterstunde war darüber verstrichen. Mit der Erwartung schien auch die Lebenskraft der Genossen wieder erwacht. Bei einem Köhler hatten sie die letzte Nachricht eingezogen, die es ihnen unzweifelhaft machte, in welcher Richtung der Krämer weiter gefahren. Sie mußten ihn nach Verlauf einer Stunde auf dem Wege treffen, welcher sich längs einem der weit einbuchtenden Havelseen nach der Fähre hinzog, mittels der man auf der Straße von Brandenburg nach Potsdam übersetzt.

»Der Ort ist gut,« sagte Lindenberg. »Der Schwieloch hat steile Waldufer und viele Krümmungen. Was hilft dem Schurken seine Pfiffigkeit, daß er den einsamsten Bergweg suchte!«

»Hinter'm Berge wohnen auch Leute,« fiel Peter Melchior ein.

»Die da wohnen, werden ihn nicht hören, Lieber. Der alte Ferge, der Baumgarten, ist immer taub in der Nacht, wenn man ihn ruft. Doch denk ich, wir treffen ihn schon früher. Der Sand steht. Noch Bedenken?«

»Die Stunde ist schon gut.«[95]

»Und was denn nicht?«

»Der Ort auch, ja und nein. Die flache Haide aber wäre mir lieber. In einem schmalen Wege zwischen See und Berg kann er uns nicht entwischen –«

»Und wir auch nicht,« fiel lachend Hans Jochem ein, »wenn Leute kämen. Wohin sollte Peter Melchior Reißaus nehmen! Mit den Rossen kann man nicht die Berge 'nauf. Wir müßten grad in den See. Schwimmt Euers? Und der Kerl ist ein Hexenmeister, das ist auch gewiß.«

Der Spott hat seine Wirkung verfehlt. Peter Melchior schwenkte den Strick:

»Wißt Ihr, warum der leer ist? Der Schuft hat Raffen gespielt. Meines Herren Götze Lederbüchsen mitgenommen. Hans Jürgen ist in April geschickt. Nun sag mir noch Einer, daß wir nicht mit Rechten ausgeritten. Wär' der Dechant hier, säh er doch gleich den Fingerzeig Gottes, warum wir dem Kerl den Kopf waschen müssen. Blitz Mordio! Sieben Tage weniger einen auf der Wäsche, damit der Lump gestohlene Hosen rein anzieht. Ein Dieb! hängt ihn!«

»Zum Teufel! Laßt den Strick,« rief ärgerlich der Lindenberger, »und erzählt lieber, wie es mit den Elennshosen ist, von denen ich so viel gehört und doch nicht weiß, was es eigentlich soll.«

»Das weiß eigentlich Keiner so recht,« sagte Peter Melchior, da sie wieder still neben einander ritten. »Als ich noch ein Bub' war, sah ich schon den Großvater von Götzen, der ritt darin zur Freite. Nun sie haben wohl schon ehedem was darauf gehalten. Der Vater hat sie immer dem Sohn vermacht. Kurzum die Hosen wurden immer älter, und da sie nicht rissen, betrachtete sie Einer nach dem Andern immer mehr als was Absonderliches. Das nur ist gewiß, der Lippold Bredow, der Landeshauptmann war unter den Luxemburgern, ward drum von den Magdeburgern gefangen.«

»Der Erzbischof fing ihn wohl um andere Dinge und hielt ihn in gar nicht ritterlicher Haft.«

»So steht's in den Chroniken. Laßt Euch's aber erzählen von Bredows, die wissen's anders. Der Lippold war ein Mann, der sich nicht vor dem Teufel fürchtete, so wenig als sein Ahn, der Nippel. Als es nun zu der Fehde kam mit dem Magdeburger, dran Havelland und Zauche noch denken, sagt ihm seine Frau, eine Bodenstein: Lippold, zieh die Lederhosen an. Es kam noch kein Bredow zu Schaden, wenn er das Leder an hatte.[96] Lippold aber sagte: Weib, daß ich eine Memme wär, so ich mein Heil von so geringfügigem Ding erwartete. Von unserer guten Sache und meinem Muth erwarte ich Sieg, und von meinem Harnisch, den der beste Meister in Straßburg gefertigt, daß mein Leib heil bleibt, so anders Gott es will. Das andere ist eitel Gerede. Sein Weib hatte gut reden: Lippold thu's doch, wenn's auch nicht hilft, kann's doch nicht schaden. Er war aber, was sie einen Freigeist nennen, und sagte: Man soll auch dem Teufel nicht Fußangeln legen. Mein Vetter Dietrich mag's probiren, so er Lust hat. Anfangs dachte Keiner daran, weil sich die Fehde gut anließ. Lippold aber ward im Moor gefangen von wegen der schweren Rüstung, wie alle Welt weiß, der Dietrich aber kam davon und hatte noch einen langen Erxleben gefangen, der ihm ein schweres Lösegeld zahlen mußte. Da raunte man sich's zu, wie es zugegangen war. Dietrich war auch sonst glücklich im Leben, er war unter den Vordersten am Kremmer Damm und eroberte die Fahne des Hohenlohe; nachher schloß er zu guter Zeit mit dem Markgrafen Frieden. Aber die Hosen behielt er weg. Es war wohl die Rede, als Lippold aus seiner langen Haft endlich loskam, daß Dietrich ihm das Leder wiedergeben wollte, weil er's nur leihweise besessen, wie er sagte, aber Lippold wollte es nicht haben: ›Da sei Gott vor, daß ich mein Heil sollte abhängig machen von einem Stück Thierhaut, das der Gerber gegerbt und der Schneider geschneidert hat. Ich trau auf mich selbst, und wie's der Herr über mich fügt.‹ – Ob die wirklich wieder einmal nach Friesack kamen, weiß ich nicht. Nachmalen ward viel darüber verhandelt unter den Vettern, doch sie sprechen nicht gern davon. Die Frisacker thun, als wären's gar nicht die echten, was die Hohenziatzer haben. Der Sohn vom großen Lippold, der hätte sie noch getragen in der Mecklenburger Fehde, und als er fiel, sei er mit ihnen eingesargt. In Hohen-Ziatz, wie Ihr Euch denken mögt, darf man davon nichts merken lassen. Die sagen, Lippolds Sohn hätte sie wohl angehabt, bei Gransee, aber Walter, der Hohenziatzer, hätte sie ihm nur geliehen, und noch auf dem Schlachtfelde zog er sie wieder aus, weil er vermeint, alles sei vorbei; da gerade traf ihn der Pfeil aus dem Busch. Walter aber trug sie wieder beim Leichenschmaus. Und warum trügen denn die Frisacker jetzt die Tuchhosen, als aus Aerger. Das giebt, wie gesagt, vielerlei Gereibe und Gestichle unter der Sippschaft; sie lassen's nur nicht gern merken vor Dritten.«

»Und man merkt auch wirklich nicht, daß die von[97] Hohen-Ziatz bei dem Erbstück sonderlich gedeihen,« sagte der Ritter.

»Hört nur den alten Götz darüber. Wo einem ein Ritt gut gelang, eine Fehde gut ausschlug, eine Heirath zu Stande kam, eine Ernte gesegnet war, immer stak's in den Hosen. Nur die Frauen hätten's ihnen angethan, weil sie nicht den rechten Glauben hätten, nämlich mit der Wäsche. Was ist Reinlichkeit? sagt mein Vetter Götz. Das ist, daß die Weiber was der Herr gemacht und werden ließ, anders machen wollen. Das Alte beliebt Gott, das Neue beliebt den Frauenzimmern.«

»Ich glaube, Götze Bredow hat nicht so ganz Unrecht«, brummte der Ritter Lindenberg. »Es thut das viele Waschen nirgend – Still! – Schlug da nicht ein Hund an?«

Die Reiter hielten. Sie waren in einem Laubwald, welcher seine letzten gelben Blätter im Winde schüttelte, der kalt und feucht über die Havelseen ihnen entgegen blies. Der Morgenfrost fing an, ihre Glieder zu schütteln, nachdem die Wärme, welche der Wein hervorgebracht, durch den langen Nachtritt verraucht war. Dazu begann es zu dämmern, oder vielleicht war es nur die mehre Helle, welche durch die Lichtung des Waldes aus den fernen Wasserspiegeln zurückstrahlte, die unheimliche Stunde war's, wo der verspätete Reisende sich in den Mantel hüllt und die Augen schließt, wenn er in der unerquicklichen Dämmerung aufwacht.

Auch die drei Reiter überlief es kalt, aber solchen Empfindungen Raum zu geben, war nicht an ihnen. Der Ritter von Lindenberg war, ohne ein Wort zu sprechen, vom Sattel und lag platt auf der Erde, das Ohr daran gedrückt. Er winkte Hans Jochem:

»Reitet auf die Höh', Hans, rechts um den Tümpel. Von dort habt Ihr freien Blick auf See und Straße. 'S ist jetzt still, doch hörte ich vorhin deutlich Räderknarren. Möglich, daß er anhält. Auf demselben Wege dann zurück. Hundert Schritte macht nichts aus.«

Hans Jochem war fort wie der Wind und der Ritter aufgesprungen. Leis rief er nach Peter Melchior, der nicht antwortete, sondern an einem Baume stehend nur etwas lautere Töne zwischen den Zähnen vorließ, um dem Ritter zu verstehen zu geben, daß er bete. »Himmel, tausend Sakerment!« schrie Lindenberg ingrimmig. »Ist dazu Zeit?«

»Bin gleich fertig; ist nur 'ne alte Gewohnheit,« murmelte Peter Melchior.[98]

»Wenn man sich auf ihn verlassen soll!« knirschte der Ritter. »Hans Jochem hatte Recht. Was taugt der zu uns!«

Den Zügel seines Pferdes um einen Baumast werfend, verfolgte er langsam den Weg, den Boden ab und zu mit der Hand prüfend. Jetzt hatte er das Geleise der beiden Karrenräder deutlich im Lehmboden gefunden: »Er kann nicht eine Viertelstunde von uns sein.« Der Ritter kehrte um, er schob sich das Panzerhemd zurecht und drückte die Haube tiefer in die Stirn. Bei sich dachte er: »Im Grund genommen wäre Einer am besten. Wer die Arbeit theilt, theilt nur den Lohn. Die Gefahr bleibt auf Jedem, wie der Sack auf dem Esel.«

Beim Anblick Peter Melchiors aber schlug er ein höhnisches Gelächter auf. Die zunehmende Helle erlaubte ihm zu sehen, was dieser eben vornahm.

»Pestilenz! Muhme Krauchwitz, was thust Du?«

Der Junker brachte seine schwarzen Hände von seinem noch schwärzeren Gesicht: »Vorsicht ist immer gut.«

»Hast Du die Kohle von Ziatz mitgebracht?«

»Langte sie mir beim Köhler auf. Gott läßt nichts umsonst wachsen.«

»Und Du nichts umsonst am Wege liegen. Zum Teufel mit der Kohle und dem Rosenkranz! Auf's Pferd, ich höre ihn. Und, Herr von Krauchwitz, das sage ich Euch, wenn's losgeht und ich nur ein Paternoster hinter mir höre, so soll das Kreuz Donnerwetter drein schlagen, drei tausend mal! Wenn Edelleute am Wege liegen, das ist gleich schlecht, so ihnen die Zähne klappern oder die Finger.«

Hans Jochem hatte sich auf Umwegen bis auf die bezeichnete Höhe geschlichen. Sein Gesicht glänzte vor Freude bei dem Anblick. Unten am rauchenden See hielt ein vollbepackter Karren. Die scharfen Linien schnitten gegen die Spiegelfläche des Wassers ab. Da er vom Pferd aus nichts sehen konnte, weil der Karren unterhalb des Berges von dessen ziemlich scharfer Kante verdeckt wurde, glitt er vom Sattel und aus dem Steigbügel; er streichelte sein Roß, das es stille stehe, dann auf den Bauch sich legend, kroch er bis an den äußersten Rand. Die Brust über die Wurzeln eines vertrockneten Baumes, schaute er hinab. Im Bleigrau des Morgens ohne Sonne und Morgenroth, lagen der weite tiefe See, die hohen Ufer, die Kiefernwälder, die bewaldeten Thonberge drüben. Noch regte sich nichts in der Todtenstille des erquicklichen Herbstmorgens. Nur ein einzelner Habicht, der auf dem Baum genistet, erhob sich, geweckt[99] durch seine Ankunft, und kreiste über ihm. Aber unter sich sah er – den Karren, den er so wohl kannte, die Gäule und den Krämer. So weit sein Auge spähte, so sehr sein Ohr sich anstrengte, keine Menschengestalt, kein Fußtritt, für das Opfer kein Beistand. Nur der Hund auf dem Wagen schüttelte sich, als Hedderich abgesprungen war. Den Krämer fror, er rieb die Hände und krümmte sich, mit etwas beschäftigt, was der Junker im Dämmerlicht nicht deutlich sehen konnte.

Hans Jochem pulste es auf der kalten Erde wie ein Feuerstrom durch die Adern. Er allein, wenn er jetzt hinabkletterte, sprang, schoß, er konnte den Schuft, ehe er sich's versah, werfen, binden, er allein machte die Sache fertig, wozu Drei sich verschworen. Mochten sie dann nachher kommen und brummen, was that es! Sie konnten ihren Antheil fordern, den gönnte er ihnen. Ihm blieb die Ehre. Es brannte und prickelte ihn. »Meinethalben mögen sie selbst wählen.« Er lachte bei der Vorstellung, wie Peter Melchior den Kopf stecken werde in die Packen und mit zitternden Fingern das Beste bei Seite werfen, wie er mit neidischen Blicken verfolgen werde, was auf die Part der Anderen fiel; wie dem Ritter Lindenberg die Zornader auf der Stirn schwoll. Ja mochten sie Alles behalten! Wie könnte er sie dann anschauen, wie sich wieder auf's Pferd schwingen, wie nachlässig im Sattel sitzend, zu ihnen sich umschauend und die Hand vor'm Mund, sprechen: »Seid ihr bald fertig, ich bin müd.« Oder: »Theilt nur wie es Euch gefällt, ich will nach Haus.«

Und zu Haus dann, er wollte auch nichts für sich behalten, alles verschenken und das Beste seiner Muhme Eva. Da würde sie doch mal ein freundliches Gesicht machen, und wie ihn ansehen! Und wenn nicht – Er strich über die Lippen, wo künftig der Bart wachsen sollte. »Dann giebt's auch noch schönere Mädchen, als Eva Bredow. Der Waschteufel ist auch in ihr, wie in ihrer Mutter!« dachte er. »Pfui, die rothen Hände lieb ich nicht.« Der Ritter wollte ihn nach Berlin nehmen. »Das sind ganz andere Fräulein da auf den Banketten, weiß, und die gelben langen Locken, die meisten tragen auch Handschuhe.« Er erschrak fast, wenn er sich Eva dachte mit den rothen Händen, wie sie von der Wäsche kamen. Und die Schuhe trugen sie auch nicht mit so dicken Sohlen. Wie flog die Bertha Wedel im Tanze und die Mathilde Burgsdorf, und wie gafften Alle die Adelheid Marwitz an, als der junge Kurfürst, der so selten tanzte, sie aufforderte. Wenn er mit Eva da wäre, die würde[100] der Kurfürst nicht aufgefordert haben. – Wenn er mit seiner Braut da wäre, das dachte Hans Jochem, die müßten Alle ansehen und ihn darum neiden. Das ist ja der Spaß am Hofe. Ueber den angenehmen Gedanken hätte er im Augenblick fast alle anderen Gedanken vergessen.

Aber der Ritter Lindenberg, wie würde er es aufnehmen, wenn er ihm den Spaß verdürbe! Der mächtige, vornehme, Herr würde es ihm nicht vergessen. Ei was schadete es! – Junker Hans Jochem, wie schwoll dein Muth! Den Ritter von Lindenberg zum geheimen Feinde, und mit ihm wolltest du es aufnehmen! Er führt dich nicht bei Hofe ein. Dachtest du, wie du dich selbst einführen wolltest?

Der Hund unten witterte Menschennähe. Er streckte den Hals, er bellte, langsam, spürend. »Still, Luder!« rief der Krämer. Der Hund gehorchte nur ungern. Sein verhaltenes Geheul dauerte fort, und der Krämer hastete sich. So waren ja die Augenblicke kostbar, der nächste schon konnte ihn verrathen, wenn sein Pferd wieherte. Es war ein Fingerzeig, daß er handeln solle. – Und doch: warum zögerte er? Schlug ihm das Gewissen? – Ein Verrath an der guten Kameradschaft? Aber wenn er es nicht that, wenn er zauderte, war das ganze Spiel vielleicht für ihn und die Andern verloren.

Hans Jochem wollte aufspringen, als er einen empfindlichen Schmerz fühlte. Er fuhr mit der Hand nach dem Fuß; aber am Halse, am Ohr stach es wieder. Sein ganzer Leib war zerstochen. Er hatte sich in einen Ameisenhaufen gelegt, und die kleinen Thiere vergebens abschüttelnd, machte er die Bemerkung, daß Schmerzen, welche ein so verächtliches Gewürm hervorbringt, groß genug sein können, den Entschluß eines Mannes wankend zu machen. Die Ameisen, die, soviel er rieb, tödtete und schüttelte, nicht weichen wollten, retteten seinen Kameraden ihren Anteil an der Ehre der That, und ihn trieben sie auf sein Pferd.

Er gab ihm die Sporen. Da fühlte er einen Biß an der Pulsader, der Zügel entglitt ihm; die Ameisen mochten vom Reiter auf das Pferd gekrochen sein. Es sauste mit vorgestrecktem Halse durch das Dickicht. Vergebens suchte der Reiter den Zügel wieder zu gewinnen; es kostete alle Anstrengung, sich nur auf dem Sattel zu erhalten, da das wild gewordene Thier eigensinnig an alle Bäume streifte.

So kam er herabgeflogen, mehr durch Zufall als inFolge[101] seiner eigenen Lenkung nach dem Orte, wo er die Kameraden verlassen. Ein Reiter mit geschwärztem Gesicht hob den Arm. Beim Anblick desselben ward Hans Jochems Pferd scheu. Es bäumte sich, noch hielt er sich an der Mähne, aber das Roß war nicht mehr in seiner Gewalt. Der Ritter Lindenberg kam zu spät, den Zügel zu fassen; Mann und Roß sausten vorüber in den tiefsten Wald. Die Beiden sahen sich an.

»Warten wir auf ihn?« fragte Peter Melchior.

»Wenn Ihr Lust habt. Gute Reise!« antwortete der Ritter und zog die Stahlhandschuhe fester. »Die Wipfel lichten sich, die Hähne krähen, in zwei Stunden kommen die Marktleute vom Werder.«

»Vetter Lindenberg, wie Ihr auch seid! Ich reite ja mit.«

»Ich dachte, Ihr wolltet dem Jungen nachreiten.«

»Ich meinte nur, wenn ihm nur kein Unglück geschieht.«

»So holt einen Gelbschnabel der Teufel früher oder später.« – »Ist auch im Grunde besser, er ist noch zu jung. Wer weiß, ob er das Maul hält.«

»Von Euch wird er's nicht lernen.«

»Vetter Lindenberg, wenn was passirte, wenn was raus käme, ich meine nur – reinen Mund, Keiner weiß vom Andern!«

Der Ritter drehte sich im Sattel um: »Zum letzten, Herr von Krauchwitz, wenn Ihr Fieberschütteln habt, legt Euch in's Bett. – Ja oder nein?«

»Ja! o ja!«

»Von der Spitze an, mäuschenstill, die Trense fest, den Fuß im Steigbügel wie angenagelt, die Sporen weitab, den Athem angehalten.«

»Vetter!« flüsterte er vor der verhängnißvollen Spitze. »Möchte nur noch einmal absteigen.«

»Zur Hölle mit Euch, wenn Ihr nicht sitzen könnt.«

»Ich sitze ja schon. Aber Vetter –«

»Das Donnerwetter über Euer Gevetter!«

»Ich meine nur, zwei zugleich thut nicht gut. Er könnte Lunte riechen und schreien. Wenn Einer zuerst 'ran ritte, und ihm unter die Nase hielte, was er für ein Lump ist.«

»Dann braucht es keines Zweiten,« brummte der Ritter und hob sich im Sattel.

»Was wollt Ihr von mir?« fragte der Junker, als der Ritter den Arm nach ihm ausstreckte.[102]

»Von Euch nichts als Euren Strick.«

Er warf ihn über den Sattel, und ohne seinen Kameraden noch eines Blickes zu würdigen, gab er dem Pferde die Sporen und flog um die Ecke.

Quelle:
Willibald Alexis: Die Hosen des Herrn von Bredow. Vaterländische Romane. Berlin 9[1881], Band 3, S. 91-103.
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