Neunzehn

[8] Sie wohnte in dem wunderschönen Hôtel am See-Ufer.

Abends speiste sie unter den grünen Laubengängen, die in elektrischem Lichte schimmerten.

Der Tag war lang – – bis zum Abend.

Sie stand spät auf – –. Dann sass sie auf der schattigen Promenade auf einer Bank –.

Nach dem Speisen ging sie in ihr kühles Zimmer. Um fünf, um sechs, machte sie einen Spaziergang mit den Eltern, den Geschwistern. Abends speiste die Familie unter grünen Laubengängen, die in elektrischem Lichte schimmerten.

Der Tag war lang bis zum Abend – – –.

Hie und da kam ein Jüngling zu Besuch, der sie liebte – – –.

Müde und ruhig widmete sie ihm die Stunden, die er ihretwegen dort verbrachte. Er ruderte sie auf den See hinaus – – er fühlte sich sehr glücklich.

Sie sass am Steuersitze.

Wie in einem sammtenen oder seidenen Fauteuil in einer reichen dumpfen Stadtstube sass sie da – – –.

Sie hatte ein wunderschönes Kleid an aus rostrother Seide mit einem breiten gewirkten dunkelgoldenen Gürtel und einen Florentiner Strohhut mit weissen Veilchen und einem langen seidenen Bande, das unter dem Kinn in eine Masche gebunden war.[8]

Der See lag in den matten Abendfarben – – –. Vom Walde her kam Laubduft.

Das graue Seeschloss und das weisse Landschloss schwammen im Wasserdunste – –.

An den Rudern glitten weissgrüne Perlen herunter – –.

Die Ruder sangen: Plúk-Prlúk, Plúk-Prlúk, Plúk.

Prlúk – – –.

Am Tage vor ihrer Abreise, im Herbst, erhielt sie einen Strauss von wunderbaren dunklen Rosen. Auf einer Karte stand:

»Dem Ideale menschlicher Schönheit.«

Ein »Grieche«.

Nacht.

Sie liess ihr Nachtgewand herabgleiten und stand splitternackt vor dem grossen Spiegel.

Es war das »Ideal menschlicher Schönheit«.

Auf dem Tische dufteten die Rosen – – –.

Da wich für einen Augenblick die dumpfe müde Langweile von ihr und wie eine jubelnde junge Siegerin zog die Hoffnung in ihr ein – –.

Als sie im Coupé sass und in den Herbst, in den Winter hineinfuhr, in fröstelnder Langweile, dachte sie: »Perikles, Sophokles, Themistokles, Sokrates – – –.«

Da hatte sie eine dunkle Empfindung von dem schönen unvergänglichen Geiste Griechenland's – – –.[9]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 8-10.
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