Antritts-Besuch

[279] Er ging in dem kleinen Salon mit den Blattpflanzen und den seidenen Pölstern leise und langsam auf und ab.[279]

Als Christa eintrat, war er ganz ruhig, so nonchalant. Wie in dem ruhigen Besitze eines ganz kurzen, aber ganz sicheren Glückes!

»Da bist Du ja, Du, Du, Du – – –!« begrüsst das Herz.

Jetzt heisst es aber Etwas sprechen, monsieur, ein bischen Conversation führen. Wo käme man denn hin mit der Sprache des Herzens?!

Er hatte es sich so ausgedacht, eine vollständige Szene, wie ein Dramatiker:

»Ich sitze in einem niederen Fauteuil. Sie lehnt ein bischen an dem Fenster, trippelt auf und ab und ich grabe mir jede ihrer lieben sanften Geberden in mein Gehirn ein. Dann sage ich: ›Es war die schönste Stunde meines Lebens, Fräulein‹. Das versteht sie gar nicht. »Gemüthlich war es« denkt sie.

So stelle ich mir den Besuch vor ganz einfach. Was könnte hindern, dass es sich so erfüllte?!«

Diese Dichtung erfüllte sich. Natürlich, wie alle Dichtungen, mit kleinen Nüancen, Variationen.

Christa trug eine Broche, ein Mädchen unter einem Lorbeerbaume darstellend, in mattem grauem Silber modellirt, Bas-Relief.

»Es ist wie von Oscar Rôthy in Paris« sagte der Herr.

»Ich habe es sehr gerne. Weshalb, weiss ich nicht. Was ist es für ein Baum?!«

»Ein Lorbeerbaum. Diese Verbindung vom Rumes-Baume und der milden Frauenseele – – –«[280] Dieses kleine zarte Kunstwerk gab ihm den Schwung, in das Reich der Schönheit mit weiten starken Flügelschlägen sich zu erheben.

Christa breitete ihre feinen zarten Flügel aus und flog mit, in respektvoller Entfernung.

Sie wurde ganz rosig vom Fliegen.

»Wohin er mich entführt – – –!?« dachte sie.

Plötzlich liess er sich nieder und blickte in ihre süssen Augen.

Sie klappte ihre feinen Flügel zusammen, kam wieder zur Erde und sagte: »Jetzt müssen Sie aber geh'n – – –«

»Es war die schönste Stunde meines Lebens« sagte er; wie in der Dichtung.

»Gemüthlich war es« denkt sie; »wie eine kleine Reise in das Atelier von Oscar Rôthy in Paris. Ob die Broche wirklich von Diesem ist?!«

Der junge Mann verlässt langsam den kleinen Salon mit den Blattpflanzen und den seidenen Pölstern.

»Meine Broche ist ein kleines Kunstwerk« sagt Christa Abends beim Souper.

»Sie ist aber auch von Rôthy in Paris« sagt der Vater.

»Oh – –« sagt das junge Mädchen und wird ganz verlegen.

Wie wenn er dastünde in diesem stillen Hause und mit so einem begeisterten Timbre deklamiren würde: »Wie von Rôthy in Paris«![281]

Quelle:
Peter Altenberg: Wie ich es sehe. Berlin 8–91914, S. 279-282.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Wie ich es sehe
Wie ich es sehe: In der Fassung des Erstdrucks (Fischer Klassik)
Wie ich es sehe
Wie ich es sehe
Wie ich es sehe
Wie ich es sehe