Freitag.

[27] »Es ist unglaublich, wieviel ältere Leute es giebt, die mich gar zu gern haben möchten!« sagte der Sandmann; »es sind[27] besonders die, welche etwas Böses verübt haben. ›Guter kleiner Sandmann,‹ sagen sie zu mir, ›wir können die Augen nicht schließen, und so liegen wir die ganze Nacht und sehen alle unsere bösen Thaten, die wie häßliche kleine Kobolde auf der Bettstelle sitzen und uns mit heißem Wasser bespritzen; möchtest Du doch kommen und sie fortjagen, damit wir einen guten Schlaf bekämen;‹ und dann seufzen sie tief: ›Wir möchten es wahrlich gern bezahlen. Gute Nacht, Sandmann! Das Geld liegt im Fenster.‹ Aber ich thue es nicht für Geld,« sagte der Sandmann.

»Was wollen wir nun diese Nacht vornehmen?« fragte Friedrich.

»Ja, ich weiß nicht, ob Du diese Nacht wieder Lust hast, zur Hochzeit zu kommen; es ist eine andere Art, als die gestrige war. Deiner Schwester große Puppe, die, welche wie ein Mann aussieht und Hermann genannt wird, wird sich mit der Puppe Bertha verheiraten; es ist obendrein der Puppe Geburtstag, und deshalb werden da sehr viele Geschenke kommen!«

»Ja, das kenne ich schon,« sagte Friedrich. »Immer wenn die Puppen neue Kleider gebrauchen, läßt meine Schwester sie ihren Geburtstag feiern oder Hochzeit halten; das ist sicher schon hundertmal geschehen!«

»Ja, aber in dieser Nacht ist es die hundert und erste Hochzeit, und wenn hundert und eins aus ist, dann ist alles vorbei! Deswegen wird auch diese so ausgezeichnet. Sieh nur einmal!«

Friedrich sah nach dem Tische. Da stand das kleine Papphaus mit Licht in den Fenstern, und draußen davor präsentierten alle Zinnsoldaten das Gewehr. Das Brautpaar saß ganz gedankenvoll, wozu es wohl Ursache hatte, auf dem Fußboden und lehnte sich gegen den Tischfuß. Aber der Sandmann, in den schwarzen Rock der Großmutter gekleidet, traute sie. Als die Trauung vorbei war, stimmten alle Möbel in der Stube folgenden Gesang an, welcher von der Bleifeder geschrieben war; er ging nach der Melodie des Zapfenstreichs.[28]


Das Lied ertönte wie der Wind

Dem Brautpaar Hoch! das sich verbind't;

Sie prangen beide steif und blind,

Da sie von Handschuhleder sind,

:,: Hurrah! Hurrah! ob taub und blind,

Wir singen es im Wetter und Wind! :,:


Und nun bekamen sie Geschenke; aber sie hatten sich alle Eßwaren verbeten, denn sie hatten an ihrer Liebe genug.

»Wollen wir nun eine Sommerwohnung beziehen oder auf Reisen gehen?« fragte der Bräutigam. Die Schwalbe, die viel gereist war, und die Hofhenne, welche fünfmal Küchlein ausgebrütet hatte, wurden zu Rate gezogen. Und die Schwalbe erzählte von den herrlichen, warmen Ländern, wo die Weintrauben groß und schwer hängen, wo die Luft so mild ist und die Berge Farbe haben, wie man sie hier gar nicht an denselben kennt.

»Sie haben doch nicht unsern Grünkohl!« sagte die Henne. »Ich war einen Sommer mit allen meinen Kücheln auf dem Lande, da war eine Sandgrube, in der wir gehen und kratzen[29] konnten, und dann hatten wir Zutritt zu einem Garten mit Grünkohl! O, wie war der grün! Ich kann mir nichts Schöneres denken!«

»Aber ein Kohlstrunk sieht gerade so aus wie der andere,« sagte die Schwalbe, »und dann ist hier oft schlechtes Wetter!«

»Ja, daran ist man gewöhnt!«

»Aber hier ist es kalt, es friert!«

»Das ist gut für den Kohl!« sagte die Henne. »Übrigens können wir es auch warm haben. Hatten wir nicht vor Jahren einen Sommer, so heiß, daß man kaum atmen konnte? Dann haben wir nicht alle die giftigen Tiere, die sie dort haben, und wir sind von Räubern befreit! Der ist ein Bösewicht, der nicht findet, daß unser Land das schönste ist; er verdiente wahrlich nicht hier zu sein!« Und dann weinte die Henne und fuhr fort: »Ich bin auch gereist! Ich bin einmal über zwölf Meilen gefahren! Es ist durchaus kein Vergnügen beim Reisen!«

»Ja, die Henne ist eine vernünftige Frau!« sagte die Puppe Bertha. »Ich halte nichts davon, Berge zu bereisen, denn das geht nur hinauf und dann wieder herunter! Nein, wir wollen nach der Sandgrube hinausziehen und im Kohlgarten spazieren!«

Und dabei blieb es.

Quelle:
Andersen, H[ans] C[hristian]: Sämmtliche Märchen. Leipzig 31[um 1900], S. 27-30.
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