Mörd Valgardsohn's Ränke.

[145] An demselben Morgen, wo Höskuld erschlagen wurde, erwachte Hildegunne und merkte, daß Höskuld nicht im Gemache sei. Sie hatte schwere Träume gehabt und ließ sogleich durch das Gesinde Höskuld auf dem Hofe suchen. Inzwischen kleidete sie sich an. Als das Gesinde zurückkehrte, ohne Höskuld gefunden zu haben, ging sie selbst mit ihnen hinaus. Sie ging zu dem Zaun und fand dort Höskuld erschlagen. Kurz darnach kam auch Mörd Valgardsohn's Schafhirte und erzählte, er sei den Nialsöhnen begegnet. »Sie kamen von hier,« sagte er, »und Skarphedin rief mich zu sich und zeigte den Mord als sein Werk an.« »Es wäre eine mannhafte That gewesen,« sprach Hildegunne, »wenn ihrer nicht viele gewesen wären gegen einen einzelnen.« Sie nahm Höskuld den Mantel ab, trocknete damit alles Blut von den Wunden und rollte ihn zusammen, und darauf trug sie ihn in ihr Gemach und verwahrte ihn in ihrer Lade. Sie sandte sogleich einen Mann ab an Höskuld's Mutter Thorgjerde auf Grytaa, um ihr den Mord zu verkünden. Mörd war dort, denn er war von der Unglücksstätte dorthin geritten[145] und hatte alles verkündet, nur nicht daß er selbst dabei gewesen sei und Höskuld verwundet habe. Bald darauf kam auch Thraen's Bruder Ketil von Mörk herbei. Thorgjerde erinnerte ihn an sein Gelöbniß, das er gegeben habe, als er Höskuld mitnahm, um ihn zu erziehen. »Es mag sein,« versetzte Ketil, »daß ich damals mehr versprach, als ich jetzt halten kann; damals glaubte ich nicht, daß solche Tage kommen würden, wie sie jetzt da sind; denn die Nase ist den Augen nahe, da ich mit einer Tochter Nial's verheiratet bin.« »Willst Du denn, daß Mörd die Sache in die Hand nimmt?« fragte Thorgjerde. »Ich weiß es nicht,« antwortete Ketil, »denn von ihm geht mehr Böses als Gutes aus, wie ich glaube.« Später traf er selbst mit Mörd zusammen. Da ging es ihm denn wie den anderen, daß er glaubte, Mörd würde treu und ohne Falsch sein. Sie verabredeten nun, daß Mörd die Sache in die Hand nehmen und alle Vorbereitungen für das gerichtliche Verfahren auf dem Ting treffen solle. Jetzt ruhte Mörd nicht. Er ritt sogleich mit zehn Männern nach Vorsaböj. Er versammelte die Männer, die der Unglücksstätte am nächsten wohnten, neun an der Zahl, zeigte ihnen die Wunden, die Höskuld erhalten hatte und rief sie zu Zeugen auf. Denn so wollte es das Gesetz auf Island, wenn eine gerichtliche Klage wegen eines Todtschlages eingeleitet werden sollte und keine Männer zur Stelle waren, die als Zeugen der That selbst auftreten konnten. Dann mußte der, welcher den Urheber desselben vor Gericht belangen wollte, Zeugen stellen, die da bezeugten, daß sie die Wunden an der Leiche gesehen hätten. Mörd nannte nun den neun Nachbarn den Urheber einer jeden Wunde Höskuld's mit Ausnahme einer einzigen; was diese betraf, so gab er vor, er wisse nicht, wer sie geschlagen habe; es war nämlich die, welche er selbst ihm zugefügt hatte. Er sagte, Skarphedin sei der Todschläger, seine Brüder aber und Kaare hätten Höskuld alle verwundet. Schließlich lud er die nenn Nachbarn zum Erscheinen vor dem Gericht als Blutzeugen oder Nenner, wie sie genannt wurden. Darnach ritt er heim. Während der nachfolgenden Zeit kam er fast niemals zu den Nialsöhnen, und wenn sie zusammentrafen,[146] schienen sie sich gram zu sein. So war es unter ihnen zuvor verabredet. Damals als er von der Unglücksstätte forteilte, hatte er selbst Skarphedin mitgetheilt, er wolle die Klage vor Gericht übernehmen, sofern Thorgjerde ihn darum ersuche, und Skarphedin hatte es gebilligt. Denn es gab ein Gesetz, daß jemand, der selbst bei einem Todtschlag betheiligt war, die übrigen Betheiligten deshalb nicht belangen konnte, und falls es dennoch geschehe und vor dem Gericht erwiesen werde, daß der Kläger selbst schuldig sei, dann sei die erhobene Klage nichtig. Darum glaubte Skarphedin, es sei die leichteste Weise, wie man der Sache entgehen könne, wenn Höskuld's Sippe Mörd zum Kläger annehme. Mörd selbst aber wünschte nur, daß die ihm übertragene Sache vor Gericht verloren würde; denn alsdann konnte er darauf rechnen, daß die vielen kampfmuthigen Verwandten Höskuld's Blutrache an Nial und seinen Söhnen nähmen, und dann würde es so kommen, wie Valgard vorausgesagt habe, so daß er selbst seine frühere Goden- und Häuptlingsstelle zurückempfinge.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 145-147.
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