LXXXVI. Der kluge Richter.

[164] Zu Constantinopel hatte ein Jud einem armen Christen eine gewisse Summa Geldes geliehen / mit dem[164] Beding / daß er ihme zu benanter Zeit den Hauptstuel wieder erlegen / an statt des Wuchers oder Zinses aber / zwo Untzen Christen-Fleisch lieffern solte. Nach Verfliessung des Zahl-Termins / bezahlte der Christ dem Juden das Capital; Wegerte sich aber des Zinses. Die Sache komme endlich vor den Türckischen Käyser Solymann: Welcher / nachdem er des Juden Grausamkeit / und des Christen Armuht vermercket / ein Schermesser herbey bringen lässet / und selbiges dem Juden darreichet / mit diesen Worten: Siehe da! gebrauche dich jetzt deines Rechtens / und schneide ihm ein Stücklein heraus / an welchem Glied oder Ort / es dir beliebet: Hüte dich aber / bey Verlust deines Lebens / daß du ihme nicht über zwo Untzen heraus nehmest. Den Juden erschröckte die Gefahr dermassen / daß er ferner keinen Zins begehrte / und lieber freywillig denselben nachlassen wolte / als mit solcher genauen Bedingung schneiden / dabey er leicht seinen eigenen Halß verschneiden mögen /wann er das rechte Gewicht nicht getroffen.

Quelle:
Schau-Platz der Betrieger: Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln [...]. Hamburg, Frankfurt am Main, 1687, S. 164-165.
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