[46] An der rechten Seite des Tisches auf einem Stuhle, das Spinnrad vor sich, sitzt Brigitte, an der linken Annerl, vor sich auf dem Tische einen Sack mit Linsen, aus dem sie eine Handvoll nach der andern herausnimmt, klaubt und dann in ein sogenanntes »Schwingerl«, das ihr zu Füßen steht, hinabstreift.
ANNERL singt.
Lied.
Zwei kirschrote Backerln,
Zwei Aeugerln wie d'Stern,
A Naserl, a Göscherl,
Das z'samm' macht a Dern![46]
Und kimmt zu dem allen
A Schnurrbart dazua,
Und ins Maul a Pfeifa,
So is's halt a Bua!
Jodler.
BRIGITTE. Schau, was du für Lied'ln kannst!
ANNERL. Vom letzten Einöder Kirtag hab' ich mir's g'merkt. Ich kann noch a narrischers.
Singt.
Mein' Schatz muß i g'raten,
Dös macht mich verzagt,
Weil er brinnrote Hosen
Fürs Vaterland tragt;
Er kann mich jetzt nimmer
Hoamsuchen, o Gott,
Derglengt ihn der Jodel,
Er stößet mir'n tot!
Jodler.
BRIGITTE. Das sein schon rare Schelmliedeln. Weißt 'leicht noch eins?
ANNERL. Ah, da schau, wer schimpft, der kauft!
Singt.
Von Oetting der Lehrer
Und mänicher Mann,
Schimpft jeder auf d'Welt
Was 'r fürbringen kann,
Da hat der Gott Vater
'en Teufel sich b'stellt:
»Geh, hol mir dö Lumpen,
Dö schimpfen mein' Welt!«
Jodler.[47]
BRIGITTE. Dö müssen a bissel a übermütigs G'sindel sein, die Buben von Einöd.
ANNERL. Na, das sein so Lied'ln, mit dö s' die Derndln und sich untereinand' und alle Welt aufziehn. Auf'n Kirtag sein s' immer so ausg'lassen, weil's 's ganze Jahr hart abegeht, sonst is schon ausz'kämma mit ihnen.
BRIGITTE. Na und dir fall'n 'leicht dö Schnaderhüpfeln a ein, weil dir's jetzt d' ganze Wochen so hart abegeht!
ANNERL lacht. Ah na, mir fallen s' ein, weil i übermütig bin wie a verhätschelte Stadtmamsell. Die reichste Bäuerin im ganzen Land schind't sich im Vergleich zu mir und a Stadtfräul'n kann net schöner faulenz'n.
BRIGITTE. Na, ich werd' dir schon 'n Brotkorb höher hängen, wart nur, bis d' eing'schossen bist in d'Wirtschaft, dann werd' ich d'Stadtmamsell und d'reich' Bäuerin spiel'n und du kannst dazuschau'n, wie d' alles in Ordnung haltst!
ANNERL. Ich fürcht' mi net drauf! Kann's 'leicht eine schöner hab'n? Ich glaub', wenn ich 's ganze Land abg'loffen wär', so a Platzl hätt' ich nindascht 'troffen. Du bist die gute Stund' selber.
BRIGITTE. Na, na, na, bau nur nit z' stark auf mein' Gutheit.
ANNERL. Ich bleib' dabei, du bist die gute Stund', wie s' die Glocken vom Turm gibt; wenn du ausbrummt hast, is auf a sechzig Minuten wieder a Fried'. Und dann der hochwürdige Herr, das is a Mann, um den z' sein is a wahre[48] Freud'; ich glaub', bei dem müßt' der ärgste Sünder wieder a rechter Mensch werd'n!
BRIGITTE. Na, du machst dir's aber a z' nutz!
ANNERL stolz. Das will ich meinen.
BRIGITTE. Aber von weiten!
ANNERL. Geh, du frotzelst mich.
BRIGITTE. Laufst etwa nit von wo d' stehst und hebst dich net vom Sitz, wenn d' sein' Stimm' oder nur sein' Tritt in der Näh' hörst?
ANNERL verlegen. Das is doch g'wiß net so, das hat dir auch nur g'träumt!
HELL hinter der Scene von links. Brigitte!
ANNERL faßt hastig den Sack, rafft das »Schwingerl« vom Boden. Es weht schon die Abendluft, ich werd' unser Sach hineintrag'n. Will gehen.
BRIGITTE. Möchtst nit bleib'n!
ANNERL wendet sich. Was thun?
BRIGITTE. Mir aus'm Traum helfen, Annerl!
Ausgewählte Ausgaben von
Der Pfarrer von Kirchfeld
|
Buchempfehlung
Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.
112 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro