Siebente Scene.

[78] Sepp und Hell. Pause, während welcher Hell einen Stuhl faßt und ihn hinter Sepp rückt.


SEPP scheu. Ich dank', es that sich net schicken, ich kann schon noch stehn. Ich wollt' nur, ich könnt' mich leichter mit dir reden.

HELL gütig. Erschwere ich es dir?

SEPP. Nein, du hast recht, ich bin selber d'Schuld. Lauernd. Aber du, du hast ja damals g'sagt, du tragst mir nix nach, wann i a – wann i a alles ausplauder'? Ich weiß, du halt'st dein Wort! Aber mir verschnürt's doch die Red', daß ich zu dir kommen muß.

HELL. Fasse dich und rede; wenn du weißt, daß ich mein Wort halte, was ängstigt dich?

SEPP. Ich weiß, wie's auf der Welt zugeht, Dienst um Dienst, und ich möcht' gern wieder mit dir auf gleich werden. Trocknet sich den Schweiß von der Stirne. Du brauchst dich nit um die dummen Bauern zu ärgern, ich kann ja sagen, daß alles derlogen war und ein' Jux draus machen.

HELL ernst. Das lasse, da hast du nichts mehr gut zu machen, das ist vorbei, alles vorbei! Von mir weiter keine Rede, komme auf deine Angelegenheit![78]

SEPP ängstlich. Ich komm' lieber morgen, heut könnt'st nit aufg'legt sein, mich anzuhör'n, morgen, wenn's ruhiger im Ort worden ist, komm' ich wieder, da hör mich an und sei g'scheit, Pfarrer, denk auf dein' Vorteil, ich – ich hab' schon ein derspart's Sacherl daheim, wann's a nit viel is, denk halt christlich, ich komm' morgen! Wendet sich.

HELL. Halt! Zu zweien Malen, Sepp, bist du in mein Haus gedrungen; das erste Mal geschah es in keiner freundlichen Absicht, das zweite Mal, ich weiß es – bei dieser leidvollen Stunde – geschieht es in keiner schlimmen. Beide Male trat'st du mir nicht offen entgegen, beide Male kamst du lauernd an mich herangeschlichen; hinter lauernde Demut verbargst du deinen Haß, um mir zuzurufen: zwei Wege ins Elend und keiner ins Freie – und doch, siehe, ich gehe den dritten Pfad, den Weg des Leidens zur Pflicht und auf diesem begegne ich dich! Als ich dies Kleid anzog, hab' ich dem traurigen Anrechte des Hasses, wieder zu hassen, entsagt, dem ewig menschlichen an dem Leid habe ich – konnte ich nicht entsagen; das Leid ist so allgemein wie das Sonnenlicht und wir alle haben oder nehmen teil daran; warum nun verbirgst du hinter lauernde Angst auch dein Leid? Kann dich nicht einmal der Schmerz als Mensch zu Menschen sprechen lehren? Und wenn dir das Mißtrauen mit tausend Fasern im Herzen wurzelte, es soll, es muß heraus! Jetzt habe ich dich da, wo ich dich haben wollte, aber ich freue mich nicht darüber, denn mich bewegt's im Tiefsten der Seele, daß ich dich jetzt markten und feilschen sehen muß. Rede mit halben Worten, stammle unter Thränen und ich will dich verstehen, nur rede mir menschlich! Du willst mir erst Dienst gegen Dienst, dann Geld bieten?! Willst du, daß ich eure Hütte aus den Händen der Gläubiger löse, hast du ein Stück Vieh zu verkaufen? Was willst du denn, daß du mir so sprichst zur nämlichen Stunde, da[79] in deiner Hütte der Leib zum letztenmal auf das Lager gebettet wird, der dich getragen, da das Herz stille steht, unter dem du gelegen, da die Augen gebrochen sind, die manche kummervolle Nacht über dich gewacht haben, da die Lippen geschlossen sind, die oft für dich gebetet!

SEPP sinkt laut schluchzend in den Stuhl.

HELL rückt einen Stuhl nahe an den Sepps und legt dann die Hand beruhigend auf dessen Knie. Sepp!

SEPP erhebt sich aus seiner gebeugten Stellung und blickt den Pfarrer an.

HELL. Rede getrost, ich weiß es nun, du wirst mich um nichts bitten, was ich dir versagen kann und darf.

SEPP trocknet sich die Augen und sieht den Pfarrer groß an. Du kannst's! Mir und ein' jeden!

HELL. Was wäre das?

SEPP. Du weißt, mein' Mutter hat ihr'n Leb'n selbst ein End' g'macht, es laßt sich nicht laugnen; ich sag' dir aber, wenn sie auch letzte Zeit nimmer in d'Kirch' kämma is, sie war doch a fromm's Weib, sie hat ihr Lebtag viel g'halten auf a ehrlich's christlich's Begräbnis, sie hat selbst von ihr'n armseligen Spinnverdienst was auf d'Seit' g'legt aufs letzte, was sie sich g'wünscht hat, Ausbrechend. und wenn ich jetzt denk', daß das alles für nix war, daß 's letzte, was sie begehrt, nit sein soll, daß man sie – als Selbstmörderin – außer'n Friedhof, wie ein' Hund, verscharren wird!

HELL fährt empor, Sepps Schultern mit beiden Händen anfassend. Sepp, Sepp, was willst du denn aus mir machen?! Nicht dir, noch irgend einem weigere ich die geweihte Erde für seine Toten! O, Sepp, kennst du mich denn gar so wenig, daß du nicht wußtest, bevor du deine Bitte vorgebracht,[80] daß ich nicht nein sagen werde, nicht kann, ja nicht darf, wenn jene Stimme in mir recht hat, die laut aufschreit über diese letzte Barbarei, an dem Wehrlosesten, nicht an dem Toten, an den unser Gericht nicht mehr reicht, nein, an den trauernden Hinterbliebenen, in deren vor Weh erzitterndes Herz wir den glühenden Stachel der Unduldsamkeit drücken! Laß das – davon nichts mehr, Sepp! Deine Furcht war kindisch, deine Bitte ehrt dich, deine arme Mutter soll ehrlich begraben werden.

SEPP sieht ihn groß an. Verzeih mir, Pfarrer, so hab' ich dich nit 'glaubt, du redst viel anders als der frühere; aber die Leut' im Ort denken vielleicht doch noch so wie der! Bitter. Und ich, grad ich, hab's sein müssen, der dir's abg'red't hat!

HELL. Beruhige dich, ich werde ja selbst die Leiche zu Grabe geleiten, ich werde für die Tote sprechen, ich werde die Gemeinde für sie beten lassen und alle werden sie Amen sprechen und keiner wird ihr die geweihte Scholle neiden.

SEPP faßt Hells Hände zitternd in seine beiden. So thust du an mir?! – Das vergiß ich dir all mein Lebtag net! Ich dank' dir zu tausend- und tausendmal! Wendet sich.

HELL. Noch eins, Sepp, ich habe an dich eine Bitte.

SEPP. Du an mich?

HELL. Wenn man die Leiche deiner Mutter zur Kirche bringt, so wirst du nicht außen bleiben können; du wirst sie nach langer Zeit wieder einmal betreten müssen; solltest du etwa Stimmen um dich flüstern hören: daß du nun doch einmal dort bist, so bitte ich dich, verzeihe das, laß dir deinen Schmerz nicht durch ein Gefühl der Demütigung verbittern, denn du kommst ja nicht mir, dein Kommen bereitet mir[81] keine Freude; du kommst ja auch nicht zurück, denn dir steht es frei, zu gehen und wieder fern zu bleiben, wie früher, als ob du nie gekommen wärest.

SEPP ergriffen. Du redst ein' in die Seel' hinein, als ob d' wüßt', was einer sich z' tiefst drein denkt. O du mein Gott, wann du früher kämma wärst, ich wär' nit a so, wie ich jetzt bin!

HELL. Und mußt du denn so bleiben, wie du bist? Sepp, ich habe dich lange gesucht und du wolltest dich nicht finden lassen, und heute suchtest du mich und ich glaube, du hast mich gefunden, wie du mich gesucht hast! Geh darum nicht von mir, ohne mich gehört zu haben. Ich weiß, dir ist in der Zeit des Leidens der Funke der Hoffnung ausgegangen, wie ein Licht, das die Nacht nicht überdauern kann, und der aufsteigende Qualm verschleierte dir den Glauben. Der göttliche Funke kam von oben und wenn er nimmer in dir glimmt, hab' ich ihn anzufachen keine Macht; du glaubst zurückweisen zu können, was Tausenden zu glauben und zu hoffen Trost bringt, und siehe, ich dringe nicht in dich und rufe: glaube und hoffe! Aber eins, Sepp, kannst du nicht zurückweisen, du bedarfst's – du bedarfst es, du hast es bei mir gesucht mit Bangen und Zagen, du rufst es nun bei allem an, dir bringt es Trost, daß ich keinen Vorwurf, kein hartes Wort für dich habe, dir thut es wohl in deinem Leid, daß das ganze Dorf noch wach und betend auf ist – nenn es, wie du willst, nenn es Teilnahme, Mitleid, Erbarmen, es ist eins: es ist die Liebe – es ist die Menschenliebe! O laß dich halten an diesem einzigen Faden, den ich habe, dich zu binden, laß dich herausführen aus deinen Wildnissen, in denen du selbst verwilderst, heraus wieder zu uns, aus der Vereinsamung in die Gemeine – sei wieder unser! Was verlange ich denn von dir, das ich dir nicht wieder zu geben bereit bin? Sei wieder für alle, damit alle wieder für dich seien! Die Arme nach ihm ausstreckend. Willst du, Sepp?[82]

SEPP mit voller Leidenschaft seine Kniee umfassend. Mach du mit mir, was du willst; – du – du bist doch der Rechte!


Gruppe.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 6, Stuttgart 31898, S. 78-83.
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