Achte Scene.


[248] Alwine, dann Doktor Hammer.


ALWINE in Balltoilette, sie trägt ein Theebrett, worauf Geschirr; spricht, während sie über die Bühne geht. Jetzt wird sich's zeigen, ob Papa der Mann ist, der so handelt, wie ich es von ihm erwarte. Sie tritt an die Kabinettthüre und pocht. Papa!

HAMMER innen. Alwine? Was willst du denn?

ALWINE. Ich habe dir Thee gebracht.

HAMMER. Setze das Geschirr nur draußen auf den Tisch.

ALWINE. Ich habe mit dir zu sprechen, Papa!

HAMMER. Gleich!

ALWINE geht nach dem Tische links, das Mitgebrachte niederstellend. Ich habe es mir erbeten, dich bedienen zu dürfen, um hierherkommen und dich sprechen zu können.


Die Thüre wird aufgeschlossen.[248]


HAMMER heraustretend. Nun, was hast du so Wichtiges?

ALWINE eifrig und wichtig. Daß du es nur weißt, Papa, ich habe hier gleich zu Anfang etwas Ungehöriges bemerkt, aber das hätte Zeit gehabt, wenn ich es dir auch erst morgen sagte. Du solltest es wirklich nicht dulden, daß dieser Cousin Zänker Mama in so auffälliger Weise die Cour macht.

HAMMER strenge. Ich dächte, du solltest für derlei noch keine Augen haben Berede nicht, was du nicht verstehst.

ALWINE. Lieber Papa, für meine Augen kann ich nicht – und unser Litteratur-Professor sagt: »Dem Weisen genügt ein Wort – und alle weiteren würden uns beide nur in Verlegenheit bringen und übrigens habe ich ja gesagt, da hätte für ein andermal Zeit gehabt; – was keinen Aufschub leidet, das ist, unter die Gesellschaft da drüben zu treten und sie zur Rede zu stellen: wenn du nicht willst, daß aus den einzelnen Stimmen, welche die garstigsten Dinge sprechen alsbald Chorus wird.

HAMMER. Was für Dinge?

ALWINE. Denke dir nur, als ich mit Mama nach dem Walze in das Spielzimmer trat, da standen sie in Gruppen und flüsterten untereinander, aber eine bissige Alte, der Kinn und Nase schon zusammenwuchsen – wie ein Kreuzschnabel sah sie aus – sagte eben noch laut genug, daß wir es hören konnten: Kopierend. »Die Herrlichkeit hier kann zwischen heut und morgen ein Ende nehmen!« Dann schwiegen sie all verlegen. Und als ich nach dem Tanzsaal zurückging, lehnt dort Cousin Zänker neben einem andern Herrn in eine Fensternische, und wie ich vorüberkam, sagte der Cousin:[249] »Finanzielle Schwierigkeiten hier im Hause wären meinen Absichten nur förderlich. Ich verstand wohl, was er meinte. O, mit dieser Faust hätte ich den Schändlichen ins Gesicht schlagen mögen, der mir meine Mutter zu verunehren dachte. Ein schlechtes Kind, Papa, das nicht eifersüchtig auf die Ehre seiner Eltern ist! Und der andere – Rellmann heißt er, ja, ganz recht, Rellmann – daß du es nur weit, Papa, er versicherte den Gecken, daß du ein Bettler wärst! Wie gefällt dir das? Das wagen diese Menschen in deinem eigenen Hause, so vergelten sie dir deine Gastfreundschaft! O, bitte, lieber Papa, komme nur jetzt gleich mit mir und werfe sie alle hinaus – alle – denn da ist nicht ein besser wie der andere.

HAMMER. Hm, wenn sie aber recht hätten, Kind?

ALWINE. Recht? Wieso? Ich verstehe nicht!

HAMMER. Nun, wenn ich wirklich ein Bettler wäre?

ALWINE. Daß du nach solchen Beleidigungen noch scherzen magst, Papa, das begreife ich nicht! Ist auch recht böse von dir. Mich überläuft eine Gänsehaut bei dem Gedanken, der Institutsvorsteherin schreiben zu müssen, ich könne den letzten Jahrgang nicht besuchen, weil mir das Christkind einen Bettler als Vater beschert!

HAMMER. Und den könntest du wohl gar nimmer lieben?

ALWINE. Wenn du mich auf deinen Scherz einzugehen zwingst, Papa, so gestehe ich aufrichtig, daß es mir nicht mehr so leicht ankäme. Es wäre ja doch ein gar zu ungleicher Tausch. Auch die Kinder eines Bettlers verdanken diesem ihr Leben, aber was für eines? Dafür können wohl die Verpflichtungen[250] nicht gleich groß sein ... pfui, pfui, pfui, was für abscheuliches Zeug machst du mich da denken und sagen, böser Papa! Umfängt ihn liebkosend.

HAMMER. Küsse mich, mein Kind!

ALWINE ihn küssend. Da – und da! Aber jetzt muß ich hinüber, sonst fragt man nach mir. Und nicht wahr, du kommst nach und läßt mich nicht zu lange warten? Ach, wie freue ich mich darauf, wenn du so hereintreten, dieses Gesindel verdonnern und ausjagen wirst, diese erbärmlichen Menschen, die sich's in ihrer Bosheit wohl schon ausgemalt haben, wie Mama und ich in leichten kattunenen Fahnen frierend, Nächte über an der Nähmaschine sitzen! Ach, komm nur bald und gib's ihnen tüchtig, erspare ihnen nichts! Sie läuft nach der Thüre links, sich paarmal umwendend. Gar nichts, Papa, hörst du? Sie verdienen's nicht! Ab.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 248-251.
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