Dreizehnte Scene.

[264] THOMAS allein. Eine brave Frau – die Xandl – aber ein schreckliches Weib! Wann sie Gelegenheit hätt', mit mir öfter beisamm' zu sein, dann wüßt' ich für mein' Teil wirklich nit, wie weit ich schon war'! Uebrigens bringt s' morgen der Mutter Aachen und das ist für mich die Hauptsach'. Und da leg' ich a paar Stützerln daneb'n und a halb' Dutzend blaue Schnupftücheln und gib ein' Preis dazu an, um den ich mir's hätt' h'naufhängen lassen, daß d' alte Frau d'Händ' über'n Kopf z'sammenschlagt und dann wird mer der Muff und der Kapüschon vorg'ruckt und sie ist seelenvergnügt, wann sie mich klein, ganz klein machen kann, während ich inwendig groß dasteh'! Reibt sich die Hände und lacht vergnügt laut auf. Haha! So is morgen Christkindl bei uns, wie alle Jahr'! Ich kann mir's gar nit vorstellen, daß's einmal anders sein könnt'! Er greift nach einem Spielzeug, das er in die Kiste legt. Ah, wann alle Wochen Weihnacht war' ... Is a Einfall! ... Wann alle Wochen Weihnacht wär' ...


Er pfeift die Eingangstakte des folgenden Liedes.

Im Orchester nimmt die Flöte das Thema auf. Thomas summt den Eingang. – Das Orchester nimmt diese paar Takte piano auf und entwickelt sie

zur Introduktion des Liedes.


Lied.

Wenn alle Wochen Weihnacht wär'

Mit all dem Jubelbraus,[264]

Da hätt' mer stets die Taschen leer,

Es haltet's niemand aus;

Es bringt von Freud', sowie vom Leid

Das Uebermaß Gefahr,

Und Weihnachtszeit – und Weihnachtszeit

Taugt einmal nur im Jahr!


Da freut sich alt und freut sich jung,

Selbst Leut' mit weißen Haar'n,

Sie schwelg'n in der Erinnerung,


Imitierend.


»Wie froh wir Kinder war'n!«

Da wird die Brust ein'm jeden weit,

Da kein'm er wehthun möcht';

Zur Weihnachtszeit – zur Weihnachtszeit

Behalt' das Herz sein Recht.


Wenn ein' der Kummer auch bedrückt,

So soll er nit verzag'n,

Das, was zum Höchsten uns beglückt,

Verlauft ja in paar Tag'n,

So kann sich ihm, wenn er das Leid

Auch zählen thät' nach Jahr'n,

Sein' Weihnachtszeit – sein' Weihnachtszeit

Mit einmal offenbar'n.


Und auf den Engelgruß aus Höh'n,

Der Frieden uns verheißt,

Hat eine Hoffnung, groß und schön,

Gebaut des Menschen Geist:

Daß einst sich aller Haß und Streit

Von dieser Welt verliert

Und eine große Weihnachtszeit

Für alle Menschen wird.


Nach dem Liede tritt er hinter seine Bude zurück.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 264-265.
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