Zweite Scene.


[308] Die Vorigen ohne Jette, dann Schrauber und Fähnlein.


HERMINE. Der alte Buchhalter und der junge Konzipist sind die einzigen, denen das Schicksal ihres Chef nahegeht und die seiner Familie Teilnahme bezeugen.

ALWINE. Der junge Mann scheint recht liebenswürdig zu sein Mama – und der alte Herr auch, ja, der auch.

HERMINE. Wir sind ihnen beiden vielen Dank schuldig.

SCHRAUBER mit Fähnlein eintretend. Meine verehrten Damen, da sind wir wieder Wie ich mir wohl denken kann, sind wir für Ihre bange Ungeduld viel zu lange weg gewesen, aber es ließ sich eben nit anders machen. Zuerst fuhren wir getrennt nach entlegenen Bezirken und erkundigten uns auf den Kommissariaten, bei den Rayonsposten und an Anstalten, wo etwas zu erfragen sein konnte, aber –

FÄHNLEIN kläglich. Ach, meine verehrte, gnädige Frau, mein wertes, armes Fräulein! Nichts – gar nichts!

SCHRAUBER halblaut. Aber, Fähnlein, was fällt Ihnen denn ein? Laut. Ich hoffe auch, daß unsere weiteren Exkursionen was die Befürchtungen anlangt – ebenso resultatlos sein werden wie[308] unsere erste. Wir trafen schließlich bei der Polizei-Direktion zusammen und ich fand dort einen sehr menschenfreundlichen Beamten, der bei allen Kommissariaten telegraphisch anfragte; es trafen aber nur verneinende Antworten ein.

FÄHNLEIN wie oben. Kein Leichnam gefunden.

SCHRAUBER gleichfalls wie oben. Reitet Sie denn der Teufel? Bekümmern Sie sich um Ihren eigenen Leichnam und nicht um den anderer Leute! – – Ich finde in diesem negativen Resultate gar nichts Entmutigendes. Wenn irgend ein Unglück vorgefallen wäre, so hätte es schon im Zentrale bekannt sein müssen.

HERMINE. Ich danke Ihnen, meine Herren, für die viele Mühe, die Sie sich genommen, Sie konnten es ja nicht voraussehen, daß das Ergebnis nur die Qual der Ungewißheit verschärfen und verlängern würde. Drückt das Tuch vor die Augen.

SCHRAUBER. Gnädige Frau!

ALWINE sich an sie schmiegend. Mutter!

FÄHNLEIN. Verehrte Frau Doktor!

SCHRAUBER erbittert. Eh, Sie schweigen ganz!

FÄHNLEIN verblüfft. Warum?

HERMINE. O, daß er mich auch das noch hat erleben lassen, der unglückselige, hartsinnige Mann.

FÄHNLEIN. Ach, Gnädige, de mortuis nil nisi bene.[309]

SCHRAUBER. Herrgott, jetzt krächzt der Unglücksrabe gar Latein! Verehrtester Herr Fähnlein, nun ist meine Geduld mit Ihnen zu Ende. Sie benehmen sich da wie ein der Entreprise entsprungener Konduktansager und machen mir die Damen kopfscheu; ich muß Sie dringend ersuchen, sich anderwärts nützlicher zu verwerten.

FÄHNLEIN erbost. Eh – Sie, Herr Schrauber – und wie sollte ich denn das machen? Wie finge ich es denn an?

SCHRAUBER. Sie sagten gestern, Sie wüßten das Haus in Erdberg, wo die Angehörigen des Herrn Doktors wohnen. Fahren Sie hinaus!

HERMINE. Ein glücklicher Gedanke! Ich dachte selbst daran, seine Verwandten zu benachrichtigen, aber durch Arthurs Schuld sind wir den Leuten ganz fremd geblieben, die jetzt wohl tröstend und beratend uns zur Seite stehen würden.

SCHRAUBER. Nun also, Fähnlein, machen Sie sich auf den Weg. Vielleicht bringen Sie etwas in Erfahrung, und wenn nicht, so bereiten Sie die Leute schonend auf das vor, was Sie ihnen zu sagen haben.

FÄHNLEIN wie früher. Ich werde sagen, daß wir hier schon alle Hoffnung aufgegeben haben.

SCHRAUBER. Schön, sagen Sie da draußen, was Sie wollen, hoffentlich hat man dort stärkere Nerven, haben Sie nur die Güte und verschwinden Sie endlich hier einmal von der Bildfläche. Ihm zuraunend. Hol Sie der Teufel! Schiebt ihn zur Thüre.[310]

FÄHNLEIN verbeugt sich gegen die Damen.

HERMINE. Gehen Sie mit Gott, Herr Fähnlein.

FÄHNLEIN. Meine Verehrung! Zu Schrauber. Ihnen nicht! Ab.

SCHRAUBER. Steh' auch nicht darauf an.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 10, Stuttgart 31898, S. 308-311.
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