Einundzwanzigster Gesang

[198] 1.

Mich dünkt, kein Seil so fest die Last umwindet,

Kein Nagel gibt dem Holz so starken Halt,

Wie Treue alle edlen Herzen bindet

Mit ihres Knotens mächtiger Gewalt.

Die heil'ge Treue, stets bekleidet findet

Sie sich im Altertume dergestalt,

Daß weißen Schleiers Falten sie bedecken:

Ein einz'ger Punkt ja könnte sie beflecken.


2.

Das Wort der Treue läßt sich nicht verdrehen,

Ob man es einem gab, ob einer Schar;

Sei das im Höhlengrund, im Wald geschehen,

Der fern von Städten und von Dörfern war,

Sei's vor Gericht, wo Aktenhaufen stehen,

Und Zeugen sich in Menge bieten dar –

Ohn' Eidschwur, ohne nur die Hand zu heben:

Genug, daß das Versprechen ward gegeben.


3.

So hielt die Treue, wie ein Mann sie halten

In jedem Falle soll, der Rittersmann.

Er zeigte klar, was ihm Versprechen galten,

Als er, vom eignen Weg fort, ritt voran

Mit jener ihm verhaßten bösen Alten,

Verhaßt, wie man nur Krankheit hassen kann

Und Tod: er kann die Macht der Sehnsucht brechen,

Doch nimmermehr gegebenes Versprechen.
[199]

4.

Ihm mußte, zeigt' ich, Gram am Herzen nagen,

Daß er der Alten diente, als Geleit,

Und wütend ritt er, ohn' ein Wort zu sagen;

Stumm trabten sie zusammen lange Zeit,

Da wies das Hinterrad der Sonnenwagen,

Und unterbrochen ward die Schweigsamkeit

Durch einen fahrnden Ritter, der inmitten

Des Wegs dem Paar entgegen kam geritten.


5.

Die Alte kannt' ihn; jener ließ sich nennen

Hermonides und kam von Hollands Strand:

An seinem schwarzen Schild war er zu kennen,

Das dunkle Feld durchkreuzt von rotem Band.

Sie ließ nicht weiter Zorn und Hochmut brennen,

Gab sich voll Demut in des Prinzen Hand

Und bat um Schutz für ihr bedrohtes Leben,

Nach dem Versprechen, das er ja gegeben.


6.

Ihr Feind sei und der Feind von all den Ihren

Der Ritter, der zur Stelle werde sein:

Das Leben mußt' ihr Vater schon verlieren

Durch ihn und dann ihr einzig Brüderlein,

Und auch den Rest noch woll' er massakrieren,

Hab' er geschworen, jenen hinterdrein.

»Weib,« sprach Zerbin darauf, »sei ohne Sorgen:

Solang dein Schutz ich bin, bist du geborgen.«


7.

Schon näher kam der Rittersmann indessen,

Bis er verhaßte Züge schaut', heran:

»Du sollst sogleich im Kampf mit mir dich messen,«

Mit wilder, drohnder Stimme rief er dann,

»Oder den Schutz des Weibes hier vergessen,

Daß sie durch mich gebührend sterben kann.

Wenn du für jene kämpfst, so mußt du sterben;

Denn wer das Unrecht schützt, der muß verderben.«
[200]

8.

Höflich zur Antwort gibt Zerbin dem Recken,

Schlecht sei, was er verlang', und bös gedacht.

Es widerspreche ritterlichen Zwecken

Und Tun, daß eine Frau werd' umgebracht;

Doch woll' er Kampf, werd' er sich nicht verstecken,

Nur noch des einen habe jener acht:

Was es bedeute, daß ein Herr von Mute

Die Hand besudeln woll' in Weiberblute.


9.

Er gibt ihm dies und das zu überlegen;

Umsonst: zum Schwerte schließlich greift die Hand.

Sie nehmen Zwischenraum des Ansturms wegen

Und stürzen vollen Laufes aufeinand.

Raketen nicht so schnell zu schießen pflegen,

Die man zur Festzeit hat emporgesandt,

Wie, von den Rennern hin im Sturm getragen,

Hier zum Zusammenstoß die Ritter jagen.


10.

Des Gegners rechte Seite zu durchbohren,

Hermonides von Holland senkt den Speer;

Doch die Gefahr wird für Zerbin beschworen:

Die schwache Lanze bricht an seiner Wehr.

Allein des Prinzen Stoß geht nicht verloren:

Hin durch den Schild dringt und die Schulter quer,

Zur andern Seit' heraus die Lanzenspitze

Und wirft Hermonides von seinem Sitze.


11.

Ab steigt Zerbin, von Mitleid überwunden,

Im Glauben, jener sei dem Tode nah;

Hat ihm den Helm vom bleichen Haupt gebunden.

Und auf den Jüngling stumm der Krieger sah,

Als hab' er sich bisher im Traum befunden,

Und sprach darauf: »Nicht das, was mir geschah,

Empfind' ich mit so schmerzlichem Gemüte,

Denn du erscheinst der edlen Ritter Blüte;
[201]

12.

Doch daß es um ein treulos Weib geschehen,

Ganz unaussprechlich, Ritter, schmerzt mich dies.

Wie kannst du ihr als Schutz zur Seite stehen,

Die deines Adels unwert sich erwies?

Und könntest du auch nur den Anlaß sehen,

Der mich an jener Rache suchen ließ,

Für immer wohl es Reue dir erweckte,

Daß mich für sie dein Arm zu Boden streckte.


13.

Wenn ich so lange kann den Atem heben

(Doch ach, ich fürcht', ich habe nicht die Zeit),

Will ich dir Kunde hier von dieser geben,

Wie sie versunken ist in Schlechtigkeit.

Mein war ein Bruder; in die Fremde streben

Sah ich das junge Blut von Holland weit,

Und für Heraklius, den Kaiser, stritt er,

Den Herren Griechenlands, als treuer Ritter.


14.

Mit einem Edlen – wacker ohne Frage –

Der Jüngling dort den Bund der Freundschaft schloß:

Der hatt' an Serbiens Grenz' in schöner Lage

Ein starkumwalltes, hoh' und festes Schloß.

Argeus, so hieß der Herr, von dem ich sage,

Hier dieses argen Weibes Ehgenoß,

Auf das er so verliebt und zärtlich blickte,

Wie's für so würd'gen Ritter kaum sich schickte.


15.

Doch flatterhafter, als sich Blätter drehen,

Wenn sie im Herbste, trocken und verbrannt,

Aus Baumeskronen durch den Sturmwind wehen,

Der sie mit seinem Wüten jagt durchs Land,

Ließ plötzlich diese hier den Gatten stehen,

Dem sie doch eine Zeit war zugewandt,

Und hatt' in Herz und Sinn nur ein Beginnen,

Als Liebsten meinen Bruder zu gewinnen.
[202]

16.

Doch trotzt so fest Akrokeraun' mitnichten

Dem Meer, dem es die Felsenstirne beut,

Nicht gegen Boreas stehn so die Fichten,

Die hundertmal der Haare Schmuck erneut,

Derweil die Wurzel, wenn sie auf sich richten

Durch Alpengrund, im Boden bleibt verstreut,

Wie fest mein wackrer Bruder blieb inmitten

Von jenes Lasterausbunds Flehn und Bitten.


17.

Wie's aber gehn mag einem kühnen Ritter –

Es bleibt bei dem, der Händel sucht nicht aus –,

Verwundet ward durch einen Eisensplitter

Mein Bruder, nah dem Schloß, in einem Strauß.

Dahin auch ungeladen oftmals ritt er,

Ob Argeus da war oder nicht zu Haus.

So ging er jetzt auch hin, um dort zu weilen,

So lange, bis die Wunden wieder heilen.


18.

Als er darniederlag, trat eine Reise,

Geschäfte zu erled'gen, Argeus an.

Gleich kam dies schamlos Weib geschlichen leise

Zu meinem Bruder, und ihr Spiel begann.

Doch solchen Stachel wollt' auf keine Weise

An sich mehr dulden jener treue Mann.

Und, um in seiner Treue nicht zu fehlen,

Dacht' er das kleinste Unheil zu erwählen.


19.

Von vielen Übeln schien ihm dieses kleiner:

Aufgeben jetzt den alten Freundschaftsbund;

So weit davonzugehn von ihr, daß keiner

Auch seinen Namen nur ihr mache kund.

Wohl schien's ihm hart, doch ehrlicher und reiner

Als tun, wonach der Sinn des Weibes stund,

Oder bei ihrem Gatten sie verklagen,

Der mehr sie liebte als des Herzens Schlagen.
[203]

20.

Noch schwach von Wunden, eilt er aufzubrechen,

Fort aus dem Schloß, am Leib das Stahlgewand,

Und gibt im treuen Sinn sich das Versprechen,

Nie wieder zu betreten dieses Land.

Jedoch was hilft es! Schicksalslaunen brechen

Und überwält'gen jeden Widerstand;

Sie lassen Argeus heim zum Schlosse kehren:

Da findet er sein teures Weib in Zähren,


21.

Das Haar zerzaust, das Antlitz ganz in Gluten,

Er fragt sie ängstlich, was sie so verstört:

Allein bevor sie Antwort gibt dem Guten,

Läßt sie sein Bitten lange unerhört,

Nur Rache brütend an dem Kaltgemuten,

Der sie durch seinen Weggang hat empört:

Gar rasch in ihrem leichtbewegten Sinne

Hat sich in Groll verkehrt die heiße Minne.


22.

›Wie soll ich‹, sprach sie endlich, ›nicht erzählen,

Was ich, derweil du fern warst, Böses tat?

Könnt' ich es auch der ganzen Welt verhehlen,

Doch im Gewissen blieb' es früh und spat.

Wie muß in Reue sich die Seele quälen,

Die das Bewußtsein hat der sünd'gen Tat!

Der Leib kann niemals solche Pein erdulden,

Wie sie die Seele fühlt durch ihr Verschulden,


23.

Wenn Schuld heißt, was erzwungen ist geschehen.

Doch wissen sollst du's, sei es, was es sei.

Laß dann den reinen Geist von hinnen gehen,

Und mach' ihn von der schmutz'gen Hülle frei!

Ewiges Dunkel laß die Augen sehen,

Ich mag nicht mehr, nach Qualen vielerlei,

Gesenkt sie halten unter Schmach und Grämen

Und mich vor jedem, der mich anblickt, schämen.
[204]

24.

Die Ehr' hat mir genommen dein Geselle,

Hier diesen Leib geschändet mit Gewalt.

Aus Furcht, daß ich als Rächer dich bestelle,

Ging er dann ohne Abschied alsobald.‹

So ward ihm durch die Arge auf der Stelle

Der Freund verhaßt, der sonst ihm alles galt.

Denn Argeus glaubt' ihr; ohn' ein Wort zu sprechen,

Ergriff er seine Wehr, um sich zu rächen.


25.

Bekannt im Land mit allen Weg' und Stegen,

Holt er in kurzer Zeit den Jüngling ein,

Der, schwach und krank, sich langsam muß bewegen;

Er reitet arglos in die Welt hinein.

An öder Stätte, Hand an ihn zu legen,

Kommt wuterfüllt der andre hinterdrein.

Mein Bruder kann das nächste Wort nicht finden:

Der ist entschlossen, mit ihm anzubinden.


26.

Ein Kranker stand vor einem Kerngesunden,

Dem Zorn'gen zugetan noch immerdar.

Er hat nicht Kraft zum Kampf mit ihm gefunden,

Der jetzt ein grimmer Feind geworden war.

Drum ist Philander, vom Geschick gebunden

(So hieß er, der des Glückes also bar),

Weil viel zu schwer für einen kranken Degen

Die Last so wilden Kampfes war, erlegen.


27.

›Nicht lass' es Gott‹, sprach Argeus, ›dahin kommen,

Wär' auch die Zornestat mit Fug geschehn,

Daß dir durch mich das Leben sei genommen!

Ich liebte dich und du (ich will's gestehn)

Auch mich; ist mir's zuletzt gleich schlimm bekommen,

So möge nunmehr alle Welt es sehn,

Daß ich, wie einst in unsrer Liebe Tagen,

Hab' auch im Hasse besser mich betragen.
[205]

28.

Für dich wird sich die Strafe anders zeigen,

Als daß dein Blut von meinen Händen floß.‹

Er sprach's, und eine Bahr' aus grünen Zweigen

Bereitet man und legt ihn auf das Roß,

Trägt ihn zurück halbtot und läßt ihn steigen

Zu einem festen Turm hinauf im Schloß.

Dort soll er bleiben, allezeit gefangen

Für ein Verbrechen, das er nie begangen.


29.

Im übrigen kann er sich nicht beklagen:

Wie früher ist's; die Freiheit fehlt allein;

Er darf gebieten, braucht es nur zu sagen,

Um gleich nach seinem Wunsch bedient zu sein.

Jedoch noch immer konnte nicht entsagen

Das böse Weib den alten Buhlerein.

Sie hat die Schlüssel, öffnet leicht das Gitter

Und kommt fast alle Tage zu dem Ritter


30.

Und läßt nicht ab, wie sonst in ihn zu dringen,

Und jetzt sogar mit noch geringrer Scheu:

›Da siehst du, was dir deine Launen bringen!

Verrat und Falschheit nennt man deine Treu'.

Welch ein Triumph! Wie die Drommeten klingen!

Wie holst du Beute dir und Ehre neu!

Wie steigt dein Ruhm doch hoch hinauf zum Äther,

Wenn alle dich beschimpfen als Verräter!


31.

Wie ehrenvoll für dich und wie ersprießlich

Wär' es, zu tun, was ich gewünscht von dir,

Statt daß du eigensinnig und verdrießlich

So großen sichern Lohn verscherzest hier!

Du bist in Haft; und frei zu werden schließlich,

Nicht hoff' es, zeigst du nicht dich holder mir.

Doch willst du mir willfahren, so beschere

Ich Freiheit dir zurück und Ruhm und Ehre.‹
[206]

32.

›Nein, nein,‹ sprach der darauf, ›du sollst nicht hoffen,

Daß jemals meine Treue wankend sei!

Hat mich ein grausam hart Geschick getroffen,

Trag' ich daran Verschuldung keinerlei;

Und steht mein Name jedem Unglimpf offen: –

Er, dem Verborgenes liegt klar und frei

Und dessen ew'ger Huld ich will vertrauen,

Wird hell und deutlich meine Unschuld schauen.


33.

Genügt es nicht, gefangen mich zu halten,

Nehm' auch des Lebens Last mir Argeus Hand.

Der Lohn wird dort mir wohl nicht vorenthalten

Der guten Tat, ward sie gleich hier verkannt.

Er, der mich Schurke nennt in Herzens Falten,

Er wird, wenn dieser Seele Hülle schwand,

Wie sehr er unrecht mir getan hat, sehen

Und trauernd um den Freund, den treuen, stehen.‹


34.

Schamlos bemüht sie sich, ihn zu berücken,

Es fruchtet nichts, wie oft sie wiederkehrt.

Allein im tollen Wunsche, noch zu pflücken,

Was sünd'ge Leidenschaft so heiß begehrt,

Sucht sie und sucht, will sich den Kopf zerstücken,

Ob nichts aus alten Lastern Hilfe lehrt.

Viel tausend Pläne durch den Kopf ihr jagen,

Eh sie beschließt, den Nagel einzuschlagen.


35.

Sie läßt sechs Monde lang nicht mehr sich sehen

Und kommt nicht mehr wie sonst zum Kerker hin:

Philander meint, ihr tät die Lust vergehen,

Und ist erfreut darob in seinem Sinn.

Da schickt das Los – denn Unheil soll entstehen –

Gelegenheit für die Verbrecherin,

Zu stillen ihr Verlangen übermächtig

Durch eine Tat verrucht und niederträchtig.
[207]

36.

Mit ihrem Mann war feind seit langen Zeiten

Ein Herr, der schöne Morland zubenannt,

Der, wenn er Argeus sah von dannen reiten,

Den Weg zum Schlosse kühnen Mutes fand;

Wenn der zugegen war, blieb er beiseiten,

Mehr als drei Stunden fern vom Mauerrand:

Ihm stellt nun Argeus listig eine Falle

Und sagt, daß er nach Palästina walle.


37.

Und als er wegging und sich Pilger nannte,

Verbreitet' er davon die Kunde laut,

So daß kein Mensch sein wahres Planen kannte;

Nur seinem Weib hatt' er sich anvertraut.

Wenn er sich nachts zurück zum Schlosse wandte,

Hat sie nur in der Nacht ihn dort geschaut.

Verstohlen ist er dann in frühen Stunden,

Den Wappenschild vertauschend, rasch verschwunden.


38.

Er schweift nach allen Seiten, auszuspähen,

Und reitet rings um seine Burg umher,

Morand, falls er getäuscht sei, dort zu sehen,

Versuche der Galan die Wiederkehr.

Er pflegt am Tag nicht aus dem Wald zu gehen,

Doch sank vorm Abendgraun die Sonn' ins Meer,

Kommt er zum Schloß: durch Türen, die verborgen,

Läßt sie ihn ein; dann bleibt er bis zum Morgen.


39.

Und alle, außer dieser Argen, meinen,

Daß viele Meilen weit schon Argeus sei.

Sie sucht, als ihr die Zeit will günstig scheinen,

Philander auf mit neuer Teufelei.

Ein Tränenstrom – denn immer kann sie weinen –

Rinnt vom Gesicht ihr auf die Brust dabei;

Sie ruft: ›Wer ist's, bei dem ich Rettung finde,

Daß man mir nicht der Ehre Gut entwinde!
[208]

40.

Zugleich des Gatten Ehre; wär' er heute

Nur hier, so fürchtet' ich mich wahrlich nicht.

Morand, du weißt, wenn Argeus fern ist, scheute

Nicht Gott; er trotzt den Menschen ins Gesicht.

Durch Drohn und Bitten zwingt er alle Leute

Zum Äußersten: von meinem Volk besticht

Er jeden Menschen, kann ihm einer nützen,

Mich zu gewinnen; ach, wer soll mich schützen?


41.

Nun er vernahm, auf Reisen sei gegangen

Mein Herr, und ich auf längre Zeit allein,

Tritt er ohn' Anlaß, gegen mein Verlangen

Und ohn' Entschuldigung ins Schloß herein;

Wie würd' er, wäre Argeus hier, voll Bangen

Nicht bloß sich hüten, also frech zu sein,

Vielmehr, beim ew'gen Gott, sogar noch zagen,

Sich auf drei Meilen an die Burg zu wagen.


42.

Was er durch Boten suchte zu erreichen,

Heut hat er es verlangt von Mund zu Mund,

In solcher Weise, daß nach allen Zeichen

Unehr' und Schande mir in Aussicht stund.

Und hätt' ich nicht geheuchelt, ihm zu weichen,

Ihn nicht mit Freundlichkeit gespeist jetzund,

Er hätte mit Gewalt sich das genommen,

Was er nun hofft im Guten zu bekommen.


43.

Versprochen hab' ich's; nicht, um es zu halten

(Des, was die Furcht erzwang, hat man nicht acht):

Mein Plan war, ihn von dem zurückzuhalten,

Was mit Gewalt zu tun er schon gedacht.

Der Fall liegt so: du kannst als Retter walten;

Um meine Ehre bin ich sonst gebracht.

Auch Argeus' Ehre würd' ich mitverscherzen,

Sie liegt dir über alles doch am Herzen.
[209]

44.

Und weigerst du mir das, so werd' ich sagen,

Daß nicht dir Treue über alles gilt;

Daß du aus Grausamkeit nur meine Klagen,

Die flehentlichen, niemals hast gestillt;

Für Argeus nicht, ward auch zur Schau getragen

Von dir beständig dieser eine Schild.

Dort wär's verborgen, unter uns geblieben;

Doch hier werd' ich in offne Schmach getrieben.‹


45.

›Für mich, der meinem Argeus ganz ergeben,‹

Philander sprach, ›braucht's solchen Umschweif nicht.

Sag', was du willst; denn, was ich war im Leben,

Immer zu sein, halt' ich für meine Pflicht.

Hat sich ein Unheil draus für mich ergeben,

Ist doch kein Vorwurf gegen ihn gericht't.

Und ob es gegen Welt und Schicksal ginge,

Selber den Tod acht' ich für ihn geringe.‹


46.

›Erschlagen sollst du‹, klingt's aus ihrem Munde,

›Ihn, der auf unsre Unehr' ist bedacht.

Kein Übel droht dir selbst und keine Wunde:

Dich sichern Weg zu führen, hab' ich acht.

Er kommt zurück, wenn um die dritte Stunde

Ringsum am tiefsten liegt die schwarze Nacht.

Hat er ein Zeichen dann von mir empfangen,

Lass' ich ihn heimlich zu mir hingelangen:


47.

In meiner dunklen Kammer eine Weile

(Es ist kein Licht darinnen) harrst du dann,

Bis er die Waffen abgelegt in Eile,

Dann bring' ich dir den nahzu nackten Mann.‹ –

Verderben wird dem Gatten so zuteile,

Vernimm, durchs eigne Weib – o denke dran! –,

Wenn dieser noch der Name Weib gebührte,

Die besser einer Furie Namen führte.
[210]

48.

Und als die Nacht kommt für die schnöde Rache,

Holt sie Philander ab, der sich bewehrt,

Und hält ihn erst versteckt im Fraungemache,

Bis heim ins Haus der arme Burgherr kehrt –

Wie es geplant, verlief die ganze Sache,

Weil übler Ratschluß meistens sich bewährt:

So kam's, daß der Morand zu treffen dachte,

Den guten Argeus, ach, ums Leben brachte.


49.

Den Kopf durchspaltet und den Hals der Degen;

War doch kein Helm, zu hemmen seinen Streich,

Und Argeus kam, ohn' auch sich nur zu regen,

Zu armen Lebens bittrem End' sogleich,

Durch einen, dem dergleichen ferngelegen,

Der's nie gemeint –, o Schicksal wunderreich:

Er tut dem Freund, im Wahn, ihm beizustehen,

Das Schlimmste, das dem Feinde kann geschehen!


50.

Mein Bruder läßt sodann den Toten liegen

Und gibt das Schwert in der Gabrina Hand

(Gabrina heißt sie, die der Höll' entstiegen,

Um jeden zu verraten, den sie fand).

Sie, die bis jetzt die Wahrheit ihm verschwiegen,

Hat auf den Toten nun das Licht gewandt,

Zeigt ihn Philander, und er muß mit Grauen

Argeus, den teuren Freund, erschlagen schauen.


51.

Sollt' er, droht sie Philander, nicht willfahren

Jetzt ihrer langgehegten Liebesglut,

So werde sie den Ihren offenbaren

Die Tat (und leugnen könn' er sie nicht gut):

Verrätertod werd' ihm dann widerfahren,

Hinströmen schnöd' durch Henkershand sein Blut.

Und woll' er auch gering das Leben achten,

Die Ehre zu bewahren müss' er trachten.
[211]

52.

Philander stand voll Schmerzen und Entsetzen,

Er nahm den grausig argen Irrtum wahr;

Schon wollt' ihn grimme Wut auf jene hetzen,

Das Scheusal zu vernichten ganz und gar:

Sie Stück für Stück mit Zähnen zu zerfetzen,

Weil ihm zu Händen keine Waffe war;

Da warnt ihn doch noch die Vernunft geschwinde,

Daß er in Feindeshause sich befinde.


53.

So wie ein Schiff auf hohen Meeres Wellen,

Getrieben von zwei Winden, wird bewegt,

Die blasend sich einand entgegenstellen,

Daß der es vorwärts, jener rückwärts fegt,

Und jetzt dem Bug, jetzt Backbord sich gesellen,

Bis es der stärkere von dannen trägt: –

So folgt Philander hier nach langem Schwanken

Dem minder schrecklichen der zwei Gedanken.


54.

Vernunft belehrt ihn, was noch außerm Sterben

Jetzund an Schimpf und Schmach für ihn bereit:

Wird kund die Tat im Schloß, ist's sein Verderben;

Sich lange zu bedenken, bleibt nicht Zeit.

Ob er nun mag, ob nicht – den Trank, den herben,

Muß er verschlucken und die Bitterkeit.

So ist die Furcht die Herrin denn geblieben,

Hat aus der wunden Brust den Stolz vertrieben.


55.

Die Furcht vor schmählichem und schlechtem Ende,

Sie preßt Philander tausend Schwüre aus,

Er gäbe sich in jenes Weibes Hände,

Sobald sie sicher wären aus dem Haus.

Die Arge pflückt des Wunsches Frucht am Ende,

Und aus den Mauern ziehen sie hinaus.

So kam Philander heim nach unserm Lande –

Und bei den Griechen läßt er Schmach und Schande.
[212]

56.

Tief trägt er noch den Freund im Herzen drinnen,

Den er so dummerweis hat umgebracht,

Um eine böse Prokne zu gewinnen,

Eine Medea voller Niedertracht.

Läg' ihm nicht immerfort der Schwur in Sinnen,

Der ihn gebunden hält mit starker Macht,

Ihr ging's, als er geborgen, an die Kehle;

So aber haßt er sie mit ganzer Seele.


57.

Von dieser Zeit sieht ihn kein Mensch mehr lachen,

Sein karges Wort ist traurig und gepreßt.

Nur Seufzer sind's, die manchmal Luft sich machen,

Er hat sich ganz verwandelt in Orest,

In dem der Rache Furien erwachen

Und den der Muttermord nicht ruhen läßt.

Und unaufhörlich nagt es ihm am Herzen,

Bis krank aufs Bett ihn strecken wilde Schmerzen.


58.

Nun rechnet diese Metze sich zusammen,

Daß sie gar wenig jenem zweiten gelt',

Und ihres Liebesfeuers Asch' entstammen

Ärger und Haß, der schrecklichste der Welt.

Wie gegen Argeus einst in Zornesflammen,

Glüht sie von schnöder Rache und verfällt

Nun auf den Plan, den zweiten hinzuraffen,

Wie sie verstand den ersten fortzuschaffen.


59.

Sie findet einen Arzt, der, voll von Ränken,

Zu solchem Werk genug Geschick beweist,

Der nicht mit Syrup heilt, doch mit Getränken

Und Giften tötet, rücksichtslos und dreist:

Sie werd' ihm alles, das er wolle, schenken,

Worauf sie ihm noch höhern Lohn verheißt,

Schaff' er mit Säften, die zum Morde taugen,

Ihr seinen Herrn in kurzem aus den Augen.
[213]

60.

Schon kam der Alte mit dem Gift in Händen

(Ich selbst mit ein paar andern war dabei),

Um in die Adern, sagt er, Kraft zu senden,

Damit recht bald gesund mein Bruder sei.

Doch diese will das Ding nun anders wenden;

Sie säh' sich gern von dem Genossen frei,

Möcht' auch wohl des Versprechens sich entbinden:

Bevor des Kranken Mund die Tropfen finden,


61.

Greift sie die Hand (die hebt bereits die Tasse,

Darin verborgen jenes Giftes Kraft)

Und spricht: ›Kein Unmut dich darob erfasse,

Daß große Liebe mir Besorgnis schafft!

Gewißheit will ich, daß nicht schlechte Masse

Du darreichst oder einen gift'gen Saft.

Drum soll er nicht den Trank zum Munde führen,

Eh deine eignen Lippen ihn berühren.‹


62.

Du kannst dir denken, Herr, welch ein beklommen,

Verdutzt Gesicht der Alte hat gemacht;

Ob sonst ein Weg noch sei, davonzukommen,

Des hat er bei der kurzen Zeit nicht acht:

Der Trank wird unverweilt von ihm genommen,

Er käme sonst zu sicher in Verdacht;

Der Kranke zögert nicht, darauf zu bauen,

Und schluckt den Rest hinunter voll Vertrauen.


63.

Dem Sperber, der, im Fang den fetten Bissen,

Das Rebhuhn zu verspeisen war bereit

Und plötzlich sich's vom Hunde sieht entrissen,

Dem er als Helfer hat getraut die Zeit,

Glich dieser Arzt, der, des Gewinns beflissen,

Gehofften Vorteil sah gekehrt in Leid.

Du kannst darin das Los der Frechheit sehen:

So mög' es jedem Gierigen ergehen!
[214]

64.

Der Alte war nun willens, zu verschwinden

Nach Hause rasch, aus diesem Zimmer fort,

Um sich dem drohnden Tode zu entwinden;

Zu Hause gibts ja Gegengift sofort.

Doch konnt' er nicht der Frau Erlaubnis finden,

Die ihn so lange bleiben hieß am Ort,

Bis daß im Magen die verdauten Säfte

Mit Deutlichkeit erwiesen ihre Kräfte.


65.

Kein Bitten half, ihn doch hinauszulassen,

Auch nicht, daß er dafür Belohnung bot.

Als er, verzweifelt, sieht, er müss' erblassen

Und rette nicht durch Flucht sich vor dem Tod,

Aufdeckt er's, daß wir all den Handel fassen,

Und dieser hilft nicht Leugnen aus der Not.

So kann der brave Arzt nicht dem entgehen,

Was oft durch ihn den andern ist geschehen,


66.

Und seine Seele ist dahingegangen,

Wohin des Bruders Geist geschwebt voran.

Doch wir, zu deren Ohr die Worte drangen

Des Alten, der so wenig hier gewann,

Wir nahmen diese Bestie gefangen,

Die schlimmste, die im Wald man finden kann,

Sie einzuschließen und zu Feuerflammen,

Dem wohlverdienten Tode, zu verdammen.«


67.

So spricht Hermonides und will erzählen,

Wie sie entronnen ist aus Kerkerhaft;

Doch weil der Wunde Schmerzen jetzt ihn quälen,

Sinkt er aufs Gras hin, bleich und ohne Kraft.

Zwei seiner Knappen unterdessen wählen

Starkes Gezweig, das eine Bahre schafft:

Auf diese ließ Hermonides sich legen,

Denn anders konnt' er nicht sich fortbewegen.
[215]

68.

Zerbin eilt, um Verzeihung ihn zu bitten:

Ihm selber sei um die Verwundung leid;

Allein, die bei ihm sei, nach Rittersitten

Müßt' er verteidigen zu jeder Zeit;

Es hätte seine Ehre sonst gelitten;

Weil zu dem Schutz der Alten stets bereit

Zu sein, ihr beizustehn in allen Nöten,

Gegebene Versprechen ihm geböten.


69.

Sollt', ihm zu dienen, sonst in seiner Macht sein,

So werd' ihn jener allzeit willig sehn.

Dann mög' er, war die Antwort, wohlbedacht sein,

Von diesem Weib Gabrina fortzugehn;

Sonst werd' ihm Unheil bald von ihr gebracht sein

Und er umsonst in Reu' und Schmerzen stehn.

Gabrina konnte nicht die Augen heben:

Auf Wahrheit läßt sich keine Antwort geben.


70.

Von dannen ritt jetzund mit seiner Plage

Der Prinz Zerbin auf die versprochne Fahrt

Und flucht' im stillen bitterlich dem Tage,

Da jener Herr von ihm verwundet ward.

Nun, da – durch kund'gen Mann, ganz ohne Frage –

Er Aufschluß hat von ihrer bösen Art,

Ist sie, bisher schon häßlich und abscheulich,

Ihm so verhaßt, daß ihm ihr Anblick greulich.


71.

Sie ahnt recht wohl des Prinzen tiefes Grollen

Und will zurückstehn, traun, im Hassen nicht;

Sie zahlt ihm heim jed' Quentchen Übelwollen,

Daß sie auf eine Quart flugs eine Quinte sticht.

Der Haß sitzt ihr im Herzen giftgeschwollen

Und gräbt sich mächtig in ihr Angesicht.

So liebevoll gesellt, durch Waldesmitten,

Uralten, sind die zwei dahingeritten.
[216]

72.

Da, wie die Sonne sich gen Abend wandte,

Scholl Lärm von Hieb und Stoß und lautes Schrein:

Im Kampf, so schien's, man aufeinander rannte,

Und nach dem Schalle mußt' es nahe sein.

Den Handel näher anzusehen brannte

Zerbin und schlug die Richtung dorthin ein.

Ihm nachzufolgen säumt das Weib nicht lange.

Was drauf geschah, meld' ich im nächsten Sange.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 198-217.
Lizenz:
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Der rasende Roland
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Mickiewicz, Adam

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen

Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.

266 Seiten, 14.80 Euro

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Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

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Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

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